MALMZEIT, 12.10.2018, Rakete, Stuttgart
Die eigene Komfortzone verlassen, offen bleiben für Neues und Obskuritäten bzw. einfach mal das Freitagabend-Tief überwinden und nochmal vor die Tür gehen – was allgemein im Leben angeblich eine gute Idee ist, kann doch auch im Konzertbesucherinnenkosmos nicht ganz falsch sein. Wieso also nicht mal zum Metalkonzert?
Im Unterschied zu Bluesrock (nein danke) oder Reggae (ohne mich) habe ich zum Metalgenre noch keine endgültige Meinung. Es liegen allerdings Verdachtsmomente vor, die mich skeptisch bleiben lassen. Meine subjektive Fremdeinschätzung: Das Genre neigt dazu, stereotype und rückwärtsgewandte Werte zu transportieren. Die Songstrukturen und Darbietungen erscheinen mir meist überraschungsfrei. Auf der Plusseite: Viele Leute mit Metal-Hintergrund sind eigentlich voll nett.
Meine Berührungspunkte mit Metal beschränkten sich in diesem Jahrtausend (also Kindheit/Adoleszenz ausgenommen) bisher auf den Besuch eines Konzerts der italienischen Coverband Driving Mrs. Satan (wir berichteten), die fand ich allerdings tatsächlich ziemlich gut. Eben weil sie selbstironisch auftreten und das Mackerding im Metal ad absurdum führen – ohne das Genre lächerlich zu machen, das wäre dann auch wieder unsympathisch.
Malmzeit aus Stuttgart, die heute Abend in der Rakete ihr 15-jähriges Bandjubiläum feiern, machen ebenfalls eher Metal auf der Metaebene. Mit vielen Fußnoten. Und im Sitzen. Wird also vielleicht lustig.
Fast pünktlich um 22:15 Uhr geht’s los. Die Rakete ist mit etwa vierzig Zuschauer*innen gut gefüllt. Jochen Neuffer (Gitarre und Gesang) und Jörg Scheller (Bass und Gesang) sitzen mit ihren Instrumenten auf einem abgewetzten Sofa. Beide tragen Hemd und Jackett im semi-casual Deutschlehrerlook. Das farbenfrohe Backdrop im Hintergrund zeigt übers Meer fliegende Teetassen und erinnert mich an irgendeine Nationalflagge. Vielleicht Nicaragua? Da sind doch auch irgendwie seltsame Sachen drauf. Eine spätere Internetrecherche mit dem Suchbegriff „Flagge mit Wellen“ ergibt, dass offensichtlich die Flagge von Kiribati Pate stand. Kiribati ist auch das erklärte Lieblingsland der Band, das erfahren wir später. Von daher passt das ja dann.
Auf dem Couchtisch vor dem Duo steht ein dampfendes Tee-Set. Hinter der Band ist außerdem ein Flachbildschirm aufgestellt, auf dem im Laufe des Abends die Bandhistorie in Bildern gezeigt wird. Die „lieben Metal-Freundinnen und -Freunde“ werden begrüßt und als Opener wird ein Song aus dem Zyklus „über das Wetter“ angekündigt – „Below Zero“. Was als erstes auffällt: Ist auf jeden Fall deutlich leiser als herkömmlicher Metal. Ansonsten gibt es den typischen kehligen Gesang zu hören, dumpfes Wummern, plus irrsinnige Gitarrenläufe. „Danke, das ist sehr freundlich,“ quittiert Jörg den wohlwollenden Applaus. Auf dem Flachbildschirm ist der Slogan „Make Metal Small Again“ eingeblendet. „Malmzeit hat Metal so klein gemacht, wie er immer schon war,“ erläutert Jörg, der als redseliger Gastgeber durch den Abend führt. „Kammermetal“ nennt das die Band auch.
Nach dem ersten Song vergrößert sich das Mini Line-up etwas. Auf die Bühne wird das dritte Bandmitglied Maciek Lubieniecki gebeten, dessen Aufgabe darin besteht, das Schlagzeug-Playback vom Smartphone (in den Anfangszeiten der Gruppe noch von CD) abzuspielen. Genau das tut er dann auch ohne sichtbare Gefühlsregung für den Rest der Show. „Er hat sich kaum verändert“, merkt ein Zuschauer an, der Maciek entweder mit den gezeigten alten Aufnahmen verglichen hat oder von früher kennt. „Das ist auch im Metal nicht gängig, dass man sich ändert“, wird von Bandseite erklärt.
Zweiter Song ist „Celsius Sons“. Das Thema Wetter bleibt und auch die bekannten musikalischen Stilmittel werden beibehalten. Bei Malmzeit komme auch gut die „Verhocktheit“ des Metal zum Ausdruck merkt Jörg an, der ein bisschen wie ein schwäbischer Martin Sonneborn klingt. Weiter geht es mit einem Stück über den Wettermoderator Uwe Wesp (mir bisher nicht bekannt). „Der mit der Fliege!“, weiß jemand aus dem Publikum. Der Song mit durchaus melodischen Zwischenparts bekommt viel Applaus.
Der bereitgestellte Tee wird übrigens tatsächlich getrunken. Es handelt sich um eine Fenchel-Anis-Kümmel-Mischung, erfahren wir. Zwischendrin berichten Jochen und Jörg über die verschiedenen Veranstaltungen, für die sie mit ihrem „Metal-Lieferservice“ in den vergangenen Jahren gebucht wurden.
Das vierte Stück ist „Albatros 747“, das so etwas wie Gitarren-Fanfaren enthält (sagt man das so?) gefällt mir eigentlich ganz gut. Zum fünften Stück wird kurz die Nebelmaschine angeschmissen. „Es riecht nach Teenie-Disco auf dem Land“, fasst Jörg meine Geruchserinnerung in Worte.
Zum sechsten Song wird die Anlage auf ausdrücklichen Publikumswunsch etwas lauter gedreht, allerdings immer noch weit weg von ohrenbetäubend. Die Teetassen klappern und die Band erzählt von einem Auftritt bei der Manga-Convention in Groß-Gerau, „vor 500 Jugendlichen, die als Fabelwesen verkleidet waren.“ Nach Song Nummer acht folgt ein Block mit (sehr wenigen und sehr kurzen) Metal-Gedichten. Beispielhafter Titel: „Schweden im November“. Jochen reimt „Pechmarie“ und „Schwarzmagie“, Jörg dichtet eher Goethe-inspiriert, soweit ich das beurteilen kann. Es folgt passenderweise eine „sinfonische Metaldichtung“, also wieder Musik, ein ganz neues Stück, das erst am Nachmittag fertiggestellt wurde. Dann wird in einem nicht ganz transparenten Verfahren, das sich auch etwas zieht, ein Wetterhäuschen verlost.
Der Saal hat sich inzwischen deutlich geleert. „Die letzte Bahn fährt bald,“ kommt der dezente Hinweis aus dem Zuschauerraum. Egal, hier werden 15 Jahre Bandgeschichte zelebriert, das dauert halt. Jörg und Jochen berichten von Auftritten in Osteuropa, der Schweiz, Belgien, Italien; alles mit Bildmaterial belegt, da kommt schon was zusammen. Rakete-Betreiber Vogel reicht zwischendurch den Umschlag mit der Gage auf die Bühne („Nur so als Impuls.“). „Maciek, kannst du die Tracks doppelt so schnell spielen?“, wird zumindest als Idee in den Raum gestellt.
Gegen 0:20 Uhr muss ich dann allerdings auch mal los. Mein Fazit: Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und habe einiges dazu gelernt, z.B. die korrekte Aussprache von Chișinău (Kischinau) und wieviel Fahrenheit 23 Grad Celsius entspricht (ungefähr 73). Genretypisch unterstellter, doofer Sexismus ging praktisch gegen Null (einmal komische Anspielung zu Claudia Kleinert aus dem Publikum). Der Zauber des Metal an sich bleibt mir allerdings weiterhin verschlossen, da kann aber Malmzeit nichts dafür. Denn wer nach eigenen Angaben „Feenstaub“ ( <3 ) im Sounddesign einsetzt, hat auf jeden Fall verstanden, um was es bei Musik geht, Genre egal.