RED BARAAT, 02.11.2017, Laboratorium, Stuttgart
„Juhuu, fast fertig!“ In großen Kreide-Lettern steht es auf der Tafel neben der Theke des Laboratoriums. Und es ist eine Beschreibung des Bauzustands, wie man sie auch von anderen Stuttgarter Bauprojekten kennt: ein gutes Stück der Realität voraus. (Wobei wir beim Lab die Hoffnung haben, dass es wirklich in absehbarer Zeit fertig wird) Dort wo sich der Eingang, die Toiletten und die ehemalige Kultkneipe „Schlauch“ befanden, steht mal gerade der Rohbau. Die WCs sind in einen Container auf den Hof ausgelagert und das Lab betritt man vorübergehend durch eine große Glastür in der schicken neuen Glasfassade. Aber das wichtigste – der Saal – ist wirklich fertig! Und alle unsere Bedenken waren umsonst. Von der massiven Runderneuerung sieht man kaum etwas, die Atmosphäre hat überhaupt nicht gelitten und die Akustik ist fast noch besser als vorher. Sehr erfreulich: auch die Getränkepreise wurden beibehalten. Das typische Lab-Publikum übrigens auch. Dazu später mehr.
Mit der New Yorker Bhangra-Brass-Kapelle Red Baraat hat man für die Eröffnungswoche jedenfalls ein echtes Schwergewicht des Genres Weltmusik gebucht (eine der unbestrittenen Domainen des Lab). Und die ebenfalls frisch aufgemöbelten Tischchen, die einen dezenten Linoleum-Duft im Raum verbreiten, hat man in Erwartung eines tanzwütigen Publikums beiseite geschoben. Mit rund 100 Zuschauern ist der Laden ganz gut gefüllt, aber etwas mehr Gedränge hätte uns auch gefreut.
Seit 2008 infiziert die Truppe um den Dhol-Trommler Sunny Jain weltweit die Konzertbesucher mit ihrer wilden Mischung aus der Punjab-Musik Bhangra, Balkan Brass, Funk und Jazz. Genau so verwegen wie der Genre-Mix ist auch die Instrumentierung und die Herkunft der Band-Mitglieder. Neben der erwähnten Dhol gibt es ein Schlagzeug und eine Gitarre, sowie eine Brass-Sektion aus Sopran-Saxophon, Trompete und Sousaphon. Wir lernen: Mit Baraat bezeichnet man in Nordindien eine Hochzeitsprozession, zu der spezielle Bands aufspielen. Einen schönen Eindruck davon kann man sich in diversen Bollywood-Blockbustern verschaffen.
Und es scheinen sich auch einige traditionelle Hochzeits-Songs im Repertoire von Red Baraat zu befinden, denn wir stellen mit Erstaunen fest, dass der ein oder andere indische Zuschauer im Lab mitsingen kann. Zu weiten Teilen ist die Musik allerdings instrumental und mit ihren vetrackten Rhythmen und ausschweifenden Soli gleichzeitig höchst tanzbar und anspruchsvoll. Und während diese Band auf dem Sommerfestival der Kulturen wahrscheinlich den Marktplatz in einen Hexenkessel verwandelt hätte, gelingt dies im Lab leider nur teilweise. Zwei Dutzend Tänzerinnen und Tänzer versammeln sich zwar vor der Bühne, die Mehrheit bleibt aber unverständlicherweise wie angetackert sitzen. Schade.
An der Performance der Band liegt dies sicher nicht, denn die ist mehr als treibend. Jeder Musiker ein Virtuose und das Tempo immer im Bereich zwischen sehr flott und atemberaubend, hypnotische Endlosschleifen werden mit überraschenden Breaks aufgelöst. Zwei Stunden spielt Red Baraat inklusive zweier Zugaben. Gegen Ende des Gigs findet sich sogar Schlampazius-Wirt Ramon ein und lässt sich sichtlich von der Kapelle begeistern. Für uns jedenfalls ein fulminanter Start für das neue, alte Laboratorium. (Die Spendenkasse für den Umbau ist übrigens hier erreichbar)