HALLOWEEN-FESTIVAL, 20.10.–05.11.2017, Burg Frankenstein, Mühltal
Monster und Mörder, Werwölfe, Dämonen, Untote und Geistwesen sind das Personal romantischer Gothic Novels – nicht zu vergessen die Femme Fatale. Beim Halloween-Festival auf Burg Frankenstein gibt es sie fast alle – und vor allem: die Femme Fatalisée.
Dass Halloween bei uns ein ganz neuer und eigentlich ja ein amerikanischer Brauch sei, wurde mir diese Woche erst von jemandem versichert, der mir – von meinem Kostümfoto auf Facebook erschreckt – baldige Genesung wünschte. Dabei ist Halloween, so wie es heute begangen wird, ja vor allem ein Anlass, sich unter anderem als eine der Figuren zu verkleiden, die sowieso spätestens seit der Romantik fest in Deutschland verwurzelt sind.
Die Assoziation Deutschlands mit dem Grauenhaften ist beinahe so alt wie die Gothic Novel, die romantische Schauergeschichte, selbst. Der berühmte Lord Byron stilisierte das Rheintal in seiner Verserzählung „Childe Harold’s Pilgrimage“ zur romantischen Landschaft und machte es bekannt – dort lebt mit der berühmten Loreley sogar die deutsche Nixe mit der fatalsten Wirkung. Bram Stoker andererseits lässt seine Kurzgeschichte „Dracula’s Guest“, die vermutlich zunächst als Kapitel für „Dracula“ verfasst worden ist, in der Gegend von München spielen. Und Mary Shelley verbindet das bayerische Ingolstadt und den Namen „Frankenstein“ mit einer der ikonischsten Gruselfiguren überhaupt: Frankensteins Monster.
Mit dieser „Kreatur“, wie Mary Shelley sie eigentlich nennt, hat die Burg Frankenstein – südlich von Darmstadt in der Gemeinde Mühltal gelegen – trotz der viel diskutierten Arbeit von Radu Florescu ursprünglich vermutlich gar nichts zu tun. Der Namensparallele verdankt die Burg allerdings durchaus ihre Berühmtheit – und möglicherweise auch die Tatsache, dass sie seit den 1970ern Austragungsort einer der größten Halloween-Veranstaltungen Deutschlands ist – auf welcher man natürlich auch Frankensteins Kreatur begegnet.
Mir begegnet diese, als ich auf dem Halloween-Festival gerade am Rand des Burghofes stehe und auf den Bildschirm meiner Kamera starre, ob mir mein Foto trotz 0,5 lx gelungen ist. Etwas streift mich an der Schulter und ich blicke auf: Die Kreatur ist mir so nahe, dass sich unsere Nasen berühren. Wow! Auf Überraschungen muss man sich hier halt gefasst machen. Horror funktioniert schließlich nicht nur durch die Konfrontation mit dem Abseitigen, sondern auch durch Schrecken.
Dabei beginnt der Horror erst einmal damit, dass man den unteren Burghof durch das Westtor betritt. Hier sind wird man kulinarisch wie musikalisch versorgt und durch die Kapelle und den Torturm vom Geschehen abgeschirmt. Noch ist das Burgtor durch eine Leinwand geschlossen, vor welcher sich langsam eine sehr große Menschenmenge ansammelt, die sich recht eindeutig in zwei Kategorien teilen lässt: die Zuschauer und die Mitmacher.
Letztere sind selbst kostümiert und geschminkt und teils nicht vom offiziellen Spuk zu unterschieden, welcher später auf uns losgelassen wird. Die Zuschauer dagegen sind in jeder Facette des Normalen gekleidet und stechen – obschon in der Mehrzahl – deutlich heraus. Der Andrang bei dieser Veranstaltung ist offensichtlich sehr groß. Und es scheint auch gewollt, dass die Zuschauer dem Grauen nur in Scharen gegenübertreten, denn – pünktlich um 20:00 – öffnet sich das Burgtor erst, als der untere Burghof brechend voll ist. Dies geschieht dann nach einem Video-Clip über das Festival und die Sprengung der Leinwand, welche einigen Zuschauern bereits in die Glieder zu fahren scheint.
Überhaupt bin ich mir dann gar nicht so sicher, ob das viele Kreischen, welches in den kommenden Stunden aus dem Nebel über der Burg dringt, dem wahren Schrecken und einer seltsamen Überreiztheit der Sinne zuzuschreiben ist, welche die Besucher angesichts des Erhabenen überwältigt, oder ob es mehr der Wille ist, erschreckt zu werden, welcher manche schon bei der leisesten Gelegenheit wilde Symptome von Hysterie zeigen lässt. So werde ich später einem jungen Mann begegnen, der aus dem Kreischen gar nicht mehr herauskommt.
Zunächst führt mich mein Schritt auf den oberen Burghof hinauf, wo mir gehörnte Dämonen, langnasige Hexen, einige Vampire und ein besonders gehässiges Es begegnen. Es ist größtenteils viel zu dunkel, um zu fotografieren, ja, mehr noch: um überhaupt richtig zu sehen. In der Mitte, wo sich das Gros des Publikums zwischen den ersten unheimlichen Wesen hindurchschiebt, ist es so dunkel, dass es Freddy Krüger und Konsorten sehr leicht haben, einzelnen Besuchern zu nahe zu kommen und erst zu spät – und schreiend – bemerkt zu werden.
Unter den Besuchern gibt es diejenigen, die vorsichtig zusehen – immer bedacht, um die Spukgestalten einen möglichst großen Bogen zu machen, diejenigen, die sich vortasten, um dann doch kreischend davon zu rennen, wenn der Teufel unvermittelt auf sie zuspringt, und schließlich diejenigen, die mitmachen, die sich von dem Vampiren in ihren Sarg legen lassen oder um ein Foto mit einem Monster bitten, auf welchem sie dann sehr unglücklich blicken, ob der Krallenhände, welche sich fester um ihren Hals geschlossen haben, als sie sich das vorgestellt hatten.
Allgemein ist Horror ja nur bedingt ein passives Vergnügen. Klar kann man sich in Ruhe die Tanzaufführung zu „This is Halloween“ auf der Hauptbühne unterhalb des Wohnturmes ansehen. Diese Ruhe ist aber ein Vergnügen, dass nicht jedem vergönnt ist, denn die 99 Schreckgestalten langen gerne mal etwas heftiger zu – und nicht nur das …
Um den oberen Burghof herum kann man im Uhrzeigersinn einen niedriger gelegenen Hof begehen, wo mich unversehens zunächst eine Vogelscheuche anfällt und einige Meter weiter unten eine Gruppe Zombies. Hier ist ein Galgen aufgebaut und ein Friedhof voller bekannter Toter und Untoter. Auf dem Weg durch diesen ringförmigen Hof, den ich zwei Mal beschreite, bedrohen mich besessene Nonnen, einige sehr vermoderte Guhle und Gerippe, weiter hinten vergeht sich Pinhead an einer Frau, während die Lament Configuration in einem der wenigen hellen Strahler glänzt und darauf wartet, geöffnet zu werden.
Dem folgen die verführerischeren Wesen, wie der Nix, der mich bei der Hand nimmt und in seinen Sumpf hinabführt. Seine Einladung schlage ich gerne aus, nicht nur weil meine Schuhe nicht wasserdicht sind, sondern auch aus Prinzip. Der Einladung der Rauhen Else gebe ich dafür aus dem entgegengesetzten Prinzip nach – daran erkennt man meinen Hang zum Schönen, wie ich frei nach Baudelaire gestehen und noch schneller auf sehr stachelige Weise büßen muss. Aber Erotik und drohender Tod fallen bei Nixen bekannter Maßen in einer Figur zusammen.
Und da dem nur Abstoßendes folgt, Orks und Werwölfe, muss ich feststellen, dass mir doch von allen Figuren aus dem Ensemble der Romantik eine am meisten fehlt: die Femme Fatale, die verhängnisvolle Frau, der man bedingungslos verfällt. An ihr wäre es nun noch, mir wirklich das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Denn sie ist eine, die nicht mit kalter Hand, sondern mit heißen Küssen oder wenigstens einem Versprechen derselben den Weg in die Hölle ebnet. Und sie ist aus Fleisch und Blut und nicht aus Mythen geformt – so sehr ich diese auch schätze.
Das Problem mit den Frauen aus Fleisch und Blut auf Burg Frankenstein ist aber, dass sie sich alle in keiner Weise zur Femme Fatale eignen. Sie sind Femme Fatalisée. Es sind – wenn man mir diesen Kunstbegriff vergeben mag – Frauen, die nicht verhängnisvoll sind, sondern solche, an denen das Verhängnis dargestellt wird. Es sind diejenigen, welche zum Kreischen gebracht werden müssen, weil gekreischt werden muss; es sind sie, welche als Futter für die Monster dienen; es sind sie – allesamt eigentlich dem Publikumsteil der Zuschauer angehörig –, welche die ersten, die letzten und die stetigsten Mitspieler sind.
Sie sind arglos und schnell gefangen – und in die große Kiste an der Burgmauer gesteckt. Und auch die Zweite kreischt so schön – wenn man sie in die große Kiste steckt. Und sie sind schön zierlich – da passt noch eine Dritte rein. Und weil sie so arglos sind und es nicht glauben wollen, sondern neugierig die Hälse vorstrecken – kann man ihnen zeigen, dass da locker auch noch eine Vierte schreiend und tretend in die Kiste gesteckt werden kann, bevor sich die glubschäugigen Untoten darauf zur Ruhe niederlassen.
Es sind sie, die auf die Streckbank gebunden und gefoltert werden:
Aber ich bitte Dich! Wen sonst sollten die Werwölfe fressen:
Es ist eben doch so, dass Horror nicht nur durch das Abseitige, durch die schlimme Fratze, durch die Todeskälte der Nixenhand, sondern auch durch den Schrecken des Erhabenen entsteht: Dadurch, dass man sieht, was einem hätte passieren können, was aber zum Glück jemand anderem passiert ist! Die Scream-Queen muss kreischen, damit sich all die anderen potentiellen Scream-Queens bei den nächsten Orks noch mehr fürchten, könnten es doch sie sein, welche in den Käfig gesperrt oder an den Pranger unterhalb des Wohnturmes von Burg Frankenstein gebunden werden.
Damit fängt das Halloween-Festival alle Besuchertypen ein: die Zuschauer und die Mitmacher; die einen, die selbständig mitmachen, und die anderen, die mitgemacht werden. Und wenn sich auch die eine beschweren mag, dass der Peitschenschlag der verrückten Nonne doch zu heftig schmerzt, und sich der andere, nachdem er endlich dem Käfig der Orks entkommen ist, vor lauter hysterischen Schreiens gar nicht mehr einkriegt, als säße ihm vielleicht ein unsichtbarer Schausteller im Nacken, so wogt die Menschenmenge doch glücklich und voller Geschichten zurück aus 3.000 qm Spukschloss hinunter zu den Sardinen-Bussen in die Wirklichkeit, in welcher einen Tag später überall Halloween ist.
Gründer des in diesem Jahr zum 40. Mal ausgerichteten Halloween-Festival waren in Darmstadt stationierte Amerikaner, welche das ursprünglich ja aus Irland stammende Brauchtum offensichtlich gründlich bei uns verankerten. So gründlich, dass sich solche eine Veranstaltung jährlich elf größtenteils ausverkaufte Spieltage um Halloween herum leisten kann.
Den Rest besorgen die Macher des Halloween-Festivals selbst, haben sie doch wohl recht mit der Behauptung aus ihrer Werbebroschur: „Schon der einmalige Besuch kann süchtig machen!“
Das Halloween-Festival auf Burg Frankenstein findet noch bis zum 05. November 2017 statt.