NEW MODEL ARMY, 22.10.2016, LKA, Stuttgart
Sommer in den 90er Jahren, Open-Air Festival am Tanzbrunnen Köln. Wow, New Model Army spielen. Was für eine Aufregung. Zum ersten Mal erlebe ich, was es heißt mit eingefleischten Fans zu tun zu haben, die sich breitbeinig, mit vollem Körpereinsatz vor der Bühne positionieren. Freier Oberkörper, sichtbar für alle: die seiner Zeit angesagten keltischen Tätowierungen. Sänger Justin Sullivan als einnehmender Charisma-Typ wurde förmlich angebetet. Wie schaut es 20 Jahre später aus mit der in den achtziger Jahren im nordenglischen Bradfort gegründeten Band? Sie verfügen bis heute über eine treue mitgewachsene und mitgealterte Fangemeinde. Hier lebt nicht nur der Nachruhm. Fans sind weit hergereist, die „Winter – Tour“ in anderen Städten ist ebenfalls ausverkauft.
„Slime“ und „Suicide Tendencies“ T-Shirt Träger sind zu sehen. Die Shirts werden sicher echte Erinnerungsstücke sein und keine H&M- Fanshirt-Kopien. Das LKA ist ausverkauft und an der Bar wird es zunehmend eng. Auf der Treppe, die vom Backstage auf den seitlichen Bühnenbereich runterführt, herrscht reges Treiben. Warmhaltebehälter vom Catering werden heruntergetragen. Bestens gestärkt taucht die Band in das rötliche Bühnenlicht ein. Das ausgewiesene Fanpublikum benötigt keine lange Aufwärmphase. Die einladende Mit-Singzeile „Burn The Castle Down“ wird aus vollen Kehlen mitgesungen und ein dicker Fan-Applaus folgt. „White Light“ wirkt mit seinen folkigen Nuancen wie eine Verschnaufpause. NMA haben vieles musikalisch vereint, den britischen Punk mit seiner Unvollkommenheit, Teile des New Wave und Rock.
Die charismatische Note ist Justin Sullivan geblieben. Michael Dean beackert sein Schlagzeug, puscht die Takte nach vorne, dass „Part The Waters“ schon an einen Marsch anmutet. Der Bassist ist mit vollem Bewegungsradius dabei, das rotgefärbte Haar wird ordentlich hin und her geschüttelt. Auf die musikalische Beschleunigung folgen die mehr folkigen Noten, wenn Justin Sullivan zur akustischen Gitarre greift. Mit den Klassikern „51st State“ und „Vagabonds“ darf sich jeder Besucher in seine vergangenen Jugendtage zwischen Bierrausch-Party und erste Küsse beamen. Die dabei zarten unterstützenden Töne der E-Violinistin wirken schon sehr zart gestreichelt und haben es leider schwer, gegen Rest des Sounds anzukommen.
Die NMA Alben der vergangenen Jahre habe ich nicht mehr verfolgt. Die Fans hier schon. Der Applaus und die Textsicherheit des Publikums sind die ganzen zwei Stunden da. Das ist schon eine Wucht, die begeisternde Energie von Justin Sullivan zu erleben. Alles hat eine Ansage und ein Statement mit gesellschaftlichen Komponenten. NMA sind sich treu geblieben, ohne in der Starre eines Stillstandes zu verharren. Aber irgendwie bin ich raus, so richtig packt es mich dann doch nicht mehr und wir verlassen das Klassentreffen der 80er und 90er Jugend.