ROCKO SCHAMONI, 06.10.2009, Schocken, Stuttgart

Schamoni

Foto: Lino

Es gibt Dinge, die versteht man nicht gleich. Und auch nicht bald darauf, sondern vielleicht irgendwann. Mit viel Glück. Und dann auch eher unverhofft. Oder eben nie.

Auf der Platte „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ der Goldenen Zitronen von 1987 gibt es das Lied „Freunde“. Das beginnt damit, dass ein scheinbar talentfreier junger Mann mit griffigem Namen ruft: „Hallo, ich bin Rocko Schamoni!“ Woraufhin der Rest der Band: „Oh nein! Entsetzlich! Hau ab!“ Später dann Gitarrengeschrammel.
Wer war dieser Mann mit dem geheimnisvollen Namen? Und warum stößt er auf so viel Ablehnung? Überhaupt: Was für ein Name! Schamoni, wie der Regisseur und Rocko wie Rocky – nur anders. Das klang wild und zugleich bürgerlich, wie wenn da einer auf dem Flohmarkt ein Elektrogerät kauft, und dann zu Hause merkt, dass das überhaupt gar nicht funktioniert.
Wie sollte ich mit meinen 16 Jahren wissen, dass Rocko 1986 einen catchy Gassenhauer veröffentlicht hatte:

Hallo, ich bin Rocko Schamoni
Hallo, die Sonne sie scheint.
hallo, ich bin Rocko Schamoni und wo ich bin ist überall Sonnenschein.
Aus Mexiko da komm ich her, da ist das Leben hart,
doch ich muss Euch sagen, ich fühl‘ mich wohl hier in Eurer Gegenwart.
usw.usf.

Nun also ist der Schamonimann im Schocken und liest laut Ankündigung „irgendwas“. Zum Glück liest er dann doch nicht irgendwas, sondern aus seinen drei bisher erschienenen Büchern. Er ist gut drauf, erklärt die Veranstaltung kurzerhand zur Handy- und Raucherlesung und sieht mal wieder wahnsinnig gut aus: schwarzes Hemd, schwarze Cordhose und braune Slipper. Was soll da schiefgehen? Fünf bis zehn Kilo good-looking mehr stehen ihm eigentlich auch ganz gut.
Er liest einige Seiten aus allen drei Büchern vor, singt einen Songtext seiner ersten Band warhead und schlägt eine Polonaise der Gewalt bis Halsschlag vor (Süß von Dir, Rocko. Aber es muss Hallschlag heißen.).

Der Meister gibt uns einen Einblick in seine Schaffensweise: Die spontane Idee, eine eigene Bushaltestelle zu kaufen oder zu bauen, die nicht an irgendeine Buslinie angeschlossen ist, wird ausgebaut und Rocko freut sich diebisch darüber, wie ein Typ in Glockenjeans und grauen Haaren dort auf den Bus wartet und vor sich hin flucht. Auf diese Weise hat Schamoni bestimmt auch sein Erstlingswerk – seinen ganz persönlichen Einstieg in die zeitgenössische Literatur – „Risiko des Ruhms“ gefüllt, diesen Fiebertraum eines zurückgebliebenen 6-Jährigen.
Eine unveröffentlichte Geschichte aus seinem bald erscheinenden Buch liest er dann auch noch. Dabei ist die Verbindung zu den beiden halb-fiktionalen Erwachsenwerd-Romanen „Dorfpunks“ und „Risiko des Ruhms“ deutlich. Klingt gut, bin gespannt.
Und Lino und mir hat er dann auch noch bestätigt, dass folgendes ihm zugeschriebene Zitat wirklich von ihm ist:

„Der Name den du mich nennen tust, tu ich nicht heißen. Ich heiß heut Fotzen-Günther.“

Mintes Material, Alder!

P.S.: Auf dem Cover der Platte Porsche, Genscher, Hallo HSV ist er übrigens auch verewigt. Wer genau hinsieht erkennt ihn im wütenden Hafenstraßen-Prügel-Mob (mit Aktentasche und vor Entzückung verzerrtem Gesicht, neben dem hässlichsten Mädchen, das je auf einem Plattencover abgebildet wurde. Auch über sie habe ich viel nachgedacht in jenen endlos langen Tagen der sweet sweet Adoleszenz).

10 Gedanken zu „ROCKO SCHAMONI, 06.10.2009, Schocken, Stuttgart

  • 7. Oktober 2009 um 08:45 Uhr
    Permalink

    sammal lucas gehts eigentlich noch? wie super geschrieben!!! ich bin begeistert. ganz großartig. fan.

  • 7. Oktober 2009 um 08:49 Uhr
    Permalink

    Hey Lucas,
    cool, Schöner Bericht!

  • 7. Oktober 2009 um 09:05 Uhr
    Permalink

    extrem guter Text Mister Smartie Pants, extrem gut aussehender Mann der Rocko, hätte den Schmoudi als Fotograf verdient gehabt.

  • 7. Oktober 2009 um 10:22 Uhr
    Permalink

    Besser hätte man den Abend kaum zusammenfassen können. Ich sach nur: Stuttgart 30% ;o)

  • 7. Oktober 2009 um 10:27 Uhr
    Permalink

    @Hieke: was war das nochmal gleich mit den 30%?

  • 7. Oktober 2009 um 11:13 Uhr
    Permalink

    @Lino:
    War doch zu Beginn als Herr Schamoni zärtlich versucht hat, die Stuttgarter Begeisterungsfähigkeit zu umschreiben. Eben Stuttgart auf 30%. Ich fand wir haben uns dann mächtig gesteigert. ;o)

  • 7. Oktober 2009 um 13:32 Uhr
    Permalink

    ich fand ja die Idee des „visuellen Hörbuchs“ brillant.*

    *sein eigenes Hörbuch transkribieren und als Buch veröffentlichen

  • 7. Oktober 2009 um 20:26 Uhr
    Permalink

    Danke, süß von Euch!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.