DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN, 15.05.2014, Schocken, Stuttgart

Liga der gewöhnlichen Gentlemen

Foto: Michael Haußmann

Ich bin ganz froh, dass ich das nicht anschauen muss.

Carsten Friedrichs ist nervös. Unter der coolen Hamburger Fassade brodelt es, wenn es um die akuten Abstiegssorgen des Lieblingsvereins geht. Während Friedrichs mit seiner Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ihren hanseatischen Mod-Rock zwischen Northern Soul und Punk an die Zuschauer im Schocken bringt, kämpft der geliebte HSV zuhause gegen Greuther Fürth im Relegations-Hinspiel um den Verbleib in der ersten Bundesliga. Als sich Friedrichs gemeinsam mit seinem einstigen Superpunk-Kollegen Tim Jürgens (Bass), Tapete-Records-Chef Gunther Buskies (Keyboards), Philipp Morton Andernach (Gitarre und Saxophon) sowie Schlagzeuger Zwanie Jonson zum vertraut-bizarren Pferderennen-Kommentar seinen Weg durch den abgedunkelten Saal hin zur Bühne bahnt, ist gerade die erste Halbzeit gespielt. Zwischenstand: 0:0 unentschieden. „Cherie Cherie Lady an der Spitze…“ Los geht’s.

„Der fünfte Four Top“. Es genügen wenige Akkorde, erste vorsichtige Tanzschritte werden gewagt, während Friedrichs zu formidabel zitierten Rhythmen der Hochzeit des Souls aus Detroit Tribut zollt. Die „I Can’t Help Myself (Sugar Pie, Honey Bunch)“-Referenz, schon ist man gefangen in der Musik vergangener Zeiten. Das ist aufrichtig und niemals plump. Das Hamburger Quintett huldigt Motown und den schönsten Blüten der amerikanischen Popgeschichte mit Leidenschaft und Stil.

Und wär‘ die Welt perfekt und wär‘ sie ein Song
dann von Holland-Dozier-Holland oder Barrett Strong!

beteuert Friedrichs im ihm eigenen Sprechgesang, der schon zu Superpunk-Zeiten der Musik Charakter verlieh, hat damit absolut Recht und bringt das Anliegen seiner Band im idealisierten Schwelgen auf den Punkt: Was könnte schöner sein als Mitglied in Levi Stubbs großartiger Soul-Kombo, als der fünfte Four Top gewesen zu sein? Letztes Jahr als Doppel-7″ anlässlich des Record Store Days ausgekoppelt, könnte das Stück vom 2012 erschienenen Debütalbums „Jeder auf Erden ist wunderschön“ heute als Opener nicht besser gewählt sein. „Alle Ampeln auf Gelb“ Titeltrack des gerade veröffentlichten Folgewerks schließt perfekt an. Seit jeher als ironischer Erzähler mit enormer Beobachtungsgabe bekannt, sind nicht wenige Stücke des Frontmanns Alltagsstudien, gerne mit dem Augenmerk auf skurrile Figuren oder die interessanten Details des Gewöhnlichen. So ist „Alle Ampeln auf Gelb!“ die tragikomische Geschichte von Peter-Ernst Eiffe, dem ersten Graffiti-Künstler Deutschlands, dem schließlich das ständige Hinterlassen seiner Visitenkarte zum Verhängnis wurde. So wurde der stilvolle Eiffe, der stets „ein weißes Hemd“ trug und „ordentlich frisiert“ war, schließlich von der Polizei gefasst, bevor er auf der anschließenden Flucht erfror. Musikalisch eingebettet im klassischen Garagen-Sound der Band mit mitreißendem Refrain, starken Harmonien von Andernach und Jürgens, steht der Song über den einen ’68er, „den ich verehr’“ den Glanztaten Superpunks in nichts nach. Auch wenn es weniger Besucher als auf der Abschiedstour der Vorgänger-Formation vor zwei Jahren ins Schocken zieht und auch die Empore geschlossen bleibt, so muss doch bemerkt werden, wie wunderbar eingespielt diese Band mittlerweile ist, welch‘ neue Facetten durch das Saxophon und Andernachs Vielseitigkeit dazugewonnen wurden.

Liga der gewöhnlichen Gentlemen

Foto: Michael Haußmann

Diejenigen, die da sind, feiern eine Gruppe, die für jeden Freund dieser Art von Musik leicht zur Herzensangelegenheit wird. Die Mitgrölrefrains reißen charmant mit, hier und da werden Fäuste gereckt und manch einer scheint sich extra herausgeputzt zu haben für Deutschlands einzig wahre Modband dieser Tage. Denn so gekonnt retromanisch die Musik ist, so stilvoll ist die Band. Das beginnt bei Carsten Friedrichs braunen Clarks, geht über die Chelsea Boots Andernachs, sein klassisch-kariertes Ben-Sherman-Hemd und die Fred-Perry-Jacke des Keyboarders und reicht bis hin zu Tim Jürgens im schwarzen Sherman-Hemd zu Cardigan und passendem Hut. Den Superpunk-Gassenhauer „Das waren Mods“ mit seinem „I can’t Explain“-Riff gibt es dann sogar als erste Zugabe, doch glänzt die Liga auch im regulären Set zuvor mit Liebgewonnenem vom Debüt und neuen Schönheiten. „Rock-Pop national“ ist beispielsweise eine formvollendete Abrechnung mit der scheußlichen Mittelmäßigkeit deutscher Popmusik an der allgemeinen Radio-Oberfläche und kann durchaus auch als Statement gegen deutschtümelnde Verbrechen am guten Geschmack verstanden werden – erst recht in Zeiten, in denen Frei.Wild die größten Hallen füllen und das Comeback der Böhsen Onkelz unmittelbar bevorsteht.

Liga der gewöhnlichen Gentlemen

Foto: Michael Haußmann

Derweil bangen Friedrichs, Schlagzeuger Jonson und Bassist Jürgens mit ihrem Verein, fragen immer wieder nach dem Zwischenstand. „Noch immer 0:0“, schallt es aus dem Auditorium. Friedrichs wirkt erleichtert, nur um hinzuzufügen, dass es traurig sei, als erwachsener Mann solchen Dingen noch so viel Bedeutung beimessen zu müssen. „Nicht exakt das, was ich hören wollte, aber immerhin“. Fußball ist im Bandkontext von entscheidender Bedeutung. So ist Bassist Jürgens auch stellvertretender Chef-Redakteur der 11Freunde, dem einzig wahren Fußballmagazin. Gunther Buskies hingegen ist Fan des anderen Hamburger Clubs und drückt seine Solidarität mit dem FC St. Pauli mit einem Sticker am Keyboard aus. Die sarkastischen Dialoge zwischen den HSV-Fans („den Prolls aus Pinneberg“ – Friedrichs) und Buskies unterhalten in der ersten Konzerthälfte blendend.

Die aktuelle Single, „Das Unglück bin ich“ und Songs „Ich lass mich gehen in letzter Zeit“, „Meine Jeans“, sowie die Ska-Nummer „The Out-Crowd“ über Außenseiter und inklusive der bitteren Erkenntnis „Wir wären die Größten, wären wir nicht wir“ tun ihr übriges. Die Lösung – „Scheiß drauf, was soll’s, hören wir Platten bei mir“ – ist da nur konsequenter – weil angenehmer – Eskapismus. Trotzdem: „Fußball ist immer noch wichtig“, wie die aus einer Kollaboration zwischen Fettes Brot, Kettcars Marcus Wiebusch, Bela B. und eben Carsten Friedrichs hervorgegangenen Single nahelegt, und so bezaubern die Fußballnummern „Nimm mich mit zum Spiel“ und der beste Song zum Thema, „Die Gentlemen Spieler“, besonders. Als Zwischenspiel wird „Begrabt mich bei Planten un Blomen“, die einzige Ballade im Band-Kanon über den Wunsch im bekannten Hamburger Park einmal beerdigt zu werden, eingeschoben. Anschließend folgen Gedanken über das gehäufte Auftreten des Imperativs in Songtiteln der Gruppe, und was das über den Texter aussagte. Das passt genauso zum hanseatisch-trockenem Humor der Band wie der Zufall, dass ausgerechnet während „Die Gentlemen Spieler“ das Spiel in der Imtech Arena zu Hamburg abgepfiffen wird. Buskies, der auf seinem Smartphone immer wieder den Zwischenstand abrief, könne dieses nun weglegen, fordert Jürgens, der sich mit ironischer Förmlichkeit beim Publikum entschuldigt. Immer im „Sie“ verharrend, erklärt der Bassist, dass die Band nun nicht mehr „mit angezogener Bremse“ fahren würde. Hat sie ohnehin nicht und so bleibt die stilvolle Party im Gange und mit Songs mit aussagekräftigen Titeln wie „Meine Kicks krieg ich von Dir“ oder „Der Amateur“ der Mitgrölfaktor hoch. Die Würdigung des Lieblingsschauspielers Werner Enke („Kennst Du Werner Enke“) ist den Zuschauern schon von der vergangenen Tour bekannt und ein echtes Highlight. Dass der Münchner Enke sich für das Konzert am Folgetag im Atomic Café angekündigt hat, ehrt die Band, die dem Held aus „Nicht fummeln, Liebling“ und „Zur Sache Schätzchen“ ein liebenswürdiges Denkmal in Musik gegossen hat.

Liga der gewöhnlichen Gentlemen

Foto: Michael Haußmann

„Jeder auf Erden ist wunderschön (Sogar du)“, dann ist Schluss. Das titelgebende Lied des Debüts schließt mit seiner Trabrennbahn-Eleganz einen großen Abend famos ab.

Dass die Zugaben zunächst aus zwei Superpunk-Evergreens besteht – das erwähnte „Wir waren Mods“ und „Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen“ – ist ein Geschenk an die Fangemeinde, das aber – wie bereits im Vorjahr – ohne Jürgens überreicht wird. Andernach spielt Bass und macht seine Sache ausgesprochen gut. Vor dem Mid-Tempo-Schunkler „Allein auf Parties“ und dem tadellosen Ska-Instrumental „Nach dem Spiel“, covert Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen noch „Viel zu glücklich (um es lange zu bleiben)“ aus der Feder des größten Pop-Dichters Deutschlands, Bernd Begemann, auf dessen Gala zum 50. Geburtstag die Band 2012 erstmals live auftrat: „Ich hab‘ heute in die enttäuschten Gesichter vieler Fußballfans geschaut – und egal mit dem Pokal, es wird Zeit, sich auf die Liga zu konzentrieren“, erklärte Friedrichs damals und bringt auch das heutige Credo auf den Punkt. Seine Band ist längst etabliert als legitimer Nachfolger Superpunks und die stilvollste Band des Landes. Dass sie dabei hochklassiger als der HSV spielt, steht fest. In die erste Liga gehören dennoch Beide. Die einen aus eigener Kraft, der andere zumindest aus nostalgischer Tradition.

Ein Gedanke zu „DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN, 15.05.2014, Schocken, Stuttgart

  • 16. Mai 2014 um 19:36 Uhr
    Permalink

    Formidabler Einstand, Jens! Willkommen bei den Giggi-Bloggern.

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