ANDREAS DORAU, 14.05.2014, Merlin, Stuttgart
Erst sehr spät habe ich es gemerkt, aber Andreas Dorau ist ein relevanter Popmusiker internationalen Formats. Der Gedanke kam mir das erst Mal, als ich mit Madame P. vor paar Jahren in einem Madrider Club stand und der Elefant Records Chef persönlich Platten auflegte, unter anderem Andreas Dorau. Wer es noch nicht weiß, die Elefant-Leute sind Geschmackschefs, spielen keinen Schrott. Der Konzertbesuch knapp einen Monat später im Merlin bestätigte die Qualitäten des Hamburgers eindrucksvoll.
Nicht ganz so viele Leute sind es heute wie damals an gleicher Stätte, aber mit 70-80 Leuten ist das Merlin doch sehr nett gefüllt, als es so viertel nach Neun losgeht. Trioformation ist wieder angesagt, Typ an den Laptops und der Elektronik, Matthias Strzoda, altbekannt als Schamonibegleiter und von noch mehr anderen Hamburgern Projekten und Bands am Schlagzeug. „Das weißt nur Du“ ist der schon mal sehr tanzbare Einstieg, geht gleich ins Bein, und Dorau, mit kleinem Entertainer-Bäuchlein, groovt sich auch bewegungstechnisch langsam ein.
„Ich bin Löwe“ aus dem neuen Album „Bibliothèque“ ist weniger elektronischer Disco, aber genauso bewegungsanimierend. Die neuen Songs wurden ja auf Platte von den Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen eingespielt, und klingen dementsprechend viel analoger und retro, aber stellen eine gelungene Facette im Dorauschen Universum dar. „Die Schande kommt“ hat hingegen schon mindestens 22 Jahre auf dem Pop-Buckel, das hohe Alter merkt man dem Liedchen aber gar nicht an. Ein Konzert, das einen schon nach den ersten Minuten am Wickel hat und nicht mehr loslässt.
Die Bühne ist übrigens mit Pappmachékameraden aus dem „Ich bin Löwe“-Video ausgestattet. Stars und Styler aus vergangenen, gut gekleideten Epochen. Der gut frisierte Dorau trinkt derweil ab und an aus einem Weizenglas gefüllt mit irgendwas. Scheint aber gute Laune zu verursachen. Kann aber auch an der Musik liegen, und das obwohl seine leicht quäkende Stimme nicht wirklich als guter Gesang zu bezeichnen wäre. Aber wen kümmert’s, wenn man weiß, wie man großartige Refrains schreibt, wie die folgenden Songs, die live übrigens so viel besser und begeisternder klingen als auf Platte, beweisen. U.a. „Stimmen In der Nacht“ (bekannt aus der Schlagerwand in „Schlag Dein Tier“).
Strophen kann er derweil sich ja nicht so gut merken, wie er in unserem Q&A gestand, dazu dient ein DIN A3-Ordner mit Liedtexten als Gedächtniskrücke. Daraus gilt es nun „Flaschenpfand“ vorzusingen. Das Lied hat fast schon als Northern-Soul zu bezeichnende Elemente, ist ein veritabler Hit, und der mit begeisterndem Stoizismus oder stoizistischer Begeisterung gesungene Halbgaga-Text ist von typischer Dorauscher genialer Schlichtheit. „Faul und bequem“ ist ebenfalls aus dem letzten Album und erinnert mit seiner unelektronischen Rauheit und Upbeat nicht schon wieder zufällig an DLDGG.
Eh schon fast nicht mehr steigerbar, kommen mit „Größenwahn“, „So Ist Das Nun Mal“ und „Girls In Love“ drei weitere Höhepunkte. Vor allem letzteres mit einem Refrain aus der Kategorie „muss es schon mal gegeben haben“, weil er so nach zeitlosem Superhit klingt. Kurz vor Ende des regulären Sets geht Dorau von der Bühne, und Strzoda darf den „Kaffee-Song“ („Eine Tasse Kaffee bringt mich nach vorn“) vortragen. Selten klang ein Intermezzo musikalisch so gelungen nach, dings eben, Intermezzo.
Letzter Song vor der Zugabe ist dann der Klassiker „Telefon Sagt Du“, auch dies natürlich wunderbar. Schon wieder vergessen wie viele Perlen der Mann an seiner Karrierekette hängen hat. Die Begeisterung des Publikums ist mal so dermaßen echt, und wir bekommen erst mal zwei weitere Songs beschert mit „Kleines Stubenmädchen“ und das fantastische „Gehen“. Letzteres auch super, da im Refrain „Where Did Our Love Go“ von den Supremes gehuldigt wird.
Dann sollte eigentlich Schluss sein, aber nix da, Publikum will mehr. Also nochmal paar Songs, das ruhige „Nordsee“ und das arg schöne „Blaumeise“. Band verabschiedet sich, Publikum singt einfach das Lied weiter, Band muss nochmal zurück. Diesmal wirklich zum letzten Mal, denn „Im September“ ist wohl tatsächlich das letzte Stück aus dem Livefundus. Großartiger Abschluss eines begeisternden Konzerts. Dorau ist nicht nur ein gutaussehender, stilbewusster Mann mit einer NDW-Hit-Leiche im Keller, sondern ein großer Popkünstler und live eine Macht.
am Merchandise übrigens, wie bei Fraktus, Schamoni und anderen Hamburger Acts der guten Seite: Gereon Klug. Der Typ, der die fantastischen Hanseplatte-Newsletter schreibt, und Autor des Kochbuch „Zum Scheißen reicht’s“.
OH NEIIIIN!
Ich habe „Tasse Kaffee“ in der Live-Performance verpasst. Dieser Song begleitet mich seit nun knapp 20 Jahren, nachdem ich ihn auf dem legendären Indie-Deutschpop-Sampler „RO 3003“ (Bungalow) entdeckt habe. Ich war ja schon glücklich, letzten Sommer den urhebenden Künstler Matthias Strzoda zusammen mit Schamoni mal live zu sehen.
Rückblickend ist dieser Sampler ein Manifest. Schaut mal hier:
https://www.pocoloco-shop.ch/shop/products/de/CDs/Pop/Deutsch/Ro-3003-Sampler.html
Bugge Wesseltoft – You might say (Andreas Dorau remix)
https://www.youtube.com/watch?v=hDbEI0AdD20&pxtry=1 <3