CANDELILLA, 29.04.2017, Manufaktur, Schorndorf

Konzertbericht: CANDELILLA, 29.04.2017, Club Manufaktur, Schorndorf. Foto: Steve Sonntag

Foto: Steve Sonntag

An krachigem Noise und Punk herrscht ja in Stuttgart wahrlich kein Mangel. Und auch das Interesse daran ist ungebrochen. Also eigentlich fast ein Heimspiel für Candelilla, sollte man meinen. Zumal sie mit den Lokalhelden von den Nerven nicht nur bereits zusammen im Merlin aufgetreten sind, sogar eine gemeinsame Split-Single haben sie produziert. Umso erstaunlicher, dass sich in der Schorndorfer Manufaktur nur ein spärliches Publikum – und niemand aus dem Stammpublikum der Lokalmatadoren – einfindet. Dabei sind Candelilla als reine Frauenband ein Unikum in diesem Genre. Aber noch viel wichtiger: die vier Musikerinnen produzieren variantenreichen Krach voll überraschender Wendungen, der weit über die genannten Stilrichtungen hinausreicht.

Konzertbericht: CANDELILLA, 29.04.2017, Club Manufaktur, Schorndorf. Foto: Steve Sonntag

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Seien es die deutsch-englisch gemischten Texte, die Bassistin Mira Mann mal lakonisch rezitiert, mal – ganz Riot Grrl – wütend rausschreit. Seien es die verqueren Soundstrukturen und teilweise überraschend vertrackten Beats. Candelillas Musik ist fordernd und sperrig, aber immer intensiv. (Immer wieder fühle ich mich an Gudruns Guts Malaria! erinnert) Der Auftritt ist minimal und stilvoll. Alle vier Musikerinnen in schwarz gekleidet, kaltes Licht und großzügig eingesetzter Nebel schaffen den passenden Rahmen. Das ist ästhetisch, packend und dicht, vor allem dann, wenn sich die Rhythmus-Sektion in lange repetitive Sequenzen hineinspielt.

Konzertbericht: CANDELILLA, 29.04.2017, Club Manufaktur, Schorndorf. Foto: Steve Sonntag

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Was Candelilla auch von den anderen Krachmachern unterscheidet, ist das Keyboard. Mit eingestreuten Klavierläufen und Keyboardsounds verleiht Rita Argauer dem Candelilla-Sound eine markante Klangfarbe. Und sie haben einige Soundtricks auf Lager, die wir so noch nicht gesehen haben. Da wird fieses Getöse erzeugt, indem man die Kabel aus den Gitarren zieht, über die Handfläche und den Bühnenboden scheuert. Da entstehen pulsierende Effekte durch rhythmisches Drehen an den Reglern der Gitarren. Oder die Pianistin schlägt mit der flachen Hand auf die Gitarren-Saiten, womit sie einen weiteren, bedrohlichen Sound hinzufügt.

Konzertbericht: CANDELILLA, 29.04.2017, Club Manufaktur, Schorndorf. Foto: Steve Sonntag

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Kurzum: hier bewegt man sich schon deutlich in den Bereichen der Experimentalmusik. Das aber ohne jegliche Kopflastigkeit. Was zu einem guten Teil auch daran liegt, dass Sandra Hipold am Schlagzeug den Laden immer zusammenhält. Ein angenehm tief angelegtes Drumset übrigens, mit einer mächtigen Stand-Tom, die die markante Drummerin mit einem gewaltigen Punch bearbeitet.

Konzertbericht: CANDELILLA, 29.04.2017, Club Manufaktur, Schorndorf. Foto: Steve Sonntag

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Die Gesangsparts werden nicht alleine von Mira Mann übernommen, auch Gitarristin Lina Seybold und Rita Argauer steuern ihre Stimmen bei, gerne auch mal im mehrstimmigen Wechselgesang. Schon fast einschmeichelnd poppig und melodisch: Seybold in „Transformer“ vom aktuellen Album „Camping“.

Achja, zu den Tonträgern von Candelilla gibt es natürlich auch einiges zu erzählen. Haben sie auf ihren ersten beiden Alben noch konsequent alle Titel durchnummeriert, bekommen die Songs des aktuellen plötzlich sprechende Titel. Dass sie ihr zweites Album live im Studio des Star-Produzenten Steve Albini eingespielt haben, wird freudig in jedem Bericht über Candelilla zitiert. Natürlich macht „Camping“ auch den Großteil des Programms aus. „Hand“ als Opener, „Trocken und Staubig“ und auch „Intimität“ sind Höhepunkte des durchgängig hochklassigen Sets. Kein schwacher Titel dabei.

Konzertbericht: CANDELILLA, 29.04.2017, Club Manufaktur, Schorndorf. Foto: Steve Sonntag

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Das einzige, was an diesem formidablen Konzert nicht gefallen mag: Dass nach bereits 35 Minuten das Set gespielt ist. Natürlich werden noch zwei Zugaben drangehängt, darunter das fulminante „28“ vom zweiten Album „Heart Mutter“. Dass sie aber keine weiteren Titel auf ihrem Schlussgig der „Camping“-Tour parat haben, mögen wir fast nicht glauben. Da sie ihr Repertoire ja freundlicherweise durchnummeriert haben, kommen wir auf einen Fundus von mindestens 44 Titeln, in dem sich sicher noch der ein oder andere spielenswerte gefunden hätte. Trotzdem verlassen wir die Manufaktur hochzufrieden. Allerdings nicht ohne uns vorher nochmal versichern zu lassen, dass man vom strikt qualitätsorientierten Booking trotz manchmal enttäuschender Zuschauerresonanz keinesfalls abrücken werde. Danke dafür.

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