KATAKLYSM, FLESHGOD APOCALYPSE, STILLBIRTH, 28.02.2024, Im Wizemann, Stuttgart
This is the life we chose, the life we lead,
And there is only one guarantee
None of us will see heaven
Meine erste Partizipation auf einem Schlachtfeld vor der Bühne eines Kataklysm-Konzerts liegt mittlerweile ganze 17 Jahre zurück und immer noch macht sich ein Grinsen breit, wenn ich daran denke, dass mit dem Beginn des ersten Songs mein damaliger Kumpel eine Flasche von weit hinten an den Kopf bekam und ich einige Songs später, während der Wall of Death gestolpert bin und einfach überrannt wurde.
10 Jahre später wurde mir, während einer Wall of Death beim Summerbreeze, mein komplettes Gesicht umgepflügt – am ersten Festivaltag – und ich habe die restlichen Tage mit einem angeschwollenen Gesicht, blauem und genähtem Auge genossen.
Heute Abend liegt mir nichts ferner, als meine maroden Knochen allen potenziell aufkommenden Gemengelagen zu entziehen. Ich halte es mit Danny Glover in Lethal Weapon – „I´m too old for this shit“.
Die „Europe vs. Goliath“ Tour dürfen heute Abend im ausverkauften Wizemann die Grindcore-Brutal-Death-Metal-Surferboys Stillbirth eröffnen. Auch Stillbirth rufen denkwürdige Erinnerungen hervor, als ich sie bei 36° C auf dem völlig vertrockneten Acker des Summerbreeze gesehen habe. Binnen weniger Augenblicke entstanden unzählige Circle Pits und man hat vor lauter Staub die eigenen Hände nicht mehr gesehen. Da half nur T-Shirt aus und damit Mund und Nase bedecken. Dachte ich beim Summerbreeze noch den Jungs ist einfach heiß und sie treten deswegen alle in den gleichen Badeshorts auf, werde ich heute eines Besseren belehrt. Das Schlagzeug wird flankiert von zwei Surfbrettern und am Bühnenrand sind aufblasbare Bongs platziert. Wäre heute schon der 1. April, würde man sicherlich wieder die eigenen Hände nicht mehr sehen. Mundschutz wäre dann allerdings unangebracht. Total sympathisch kommen die fünf Jungs aus Hagen in ihren Shorts auf die Bühne und bekunden ihre Freude über den ersten Besuch in Stuttgart und blasten dann mit „The Hunt“ unbarmherzig nach vorne. Das werden 30 Minuten durchgedrücktes Gaspedal. Schon beim zweiten Song „Seed Of Judgement“ entsteht stetig wachsender Neid auf die gewählten Badehosen. Es wird verdammt warm und Sänger Lukas Swiaczny weiß mit humorvollen Ansagen die Hitze noch zu steigern. Ein absolut top ausgewählter Opener, der alles mit sich bringt. Circle Pits, Mosh Pits und eine kleine Wall of Death, bei der Swiaczny es sich nicht nehmen lässt, selbst daran teilzunehmen. Die acht Songs vergehen extrem schnell und irgendwann im Laufe des Auftritts ist die Luft erfüllt von herumfliegenden Wasserpfeifen, während sich darunter schwitzende Leiber zu Krachern wie „Autonomous Eradication“ oder „Unleash The Mutation“ ineinander verkeilen. Starker Auftritt.
Der zweite Support ist für mich nur ein bekannter Bandname, den ich immer wieder auf den verschiedensten Festival-Line-Ups sehe. Ich habe noch keinen einzigen Song von Fleshgod Apocalypse gehört und bin gespannt, ob sie eher in die Stillbirth- oder Kataklysm-Kerbe schlagen oder in eine komplett andere Richtung gehen.
Von unserem Standort aus sehen wir die Bands bereits bevor sie die Bühne betreten. Grüne Badehosen werden abgelöst von viel Make Up und barocken Kostümen. Rein optisch für mich eine Mischung aus Powerwolf und Dimmu Borgir.
Wirkte bei Stillbirth alles natürlich und spontan, hat man während der Umbaupause extrem viel Zeit für die Ausjustierung des Bühnenlichts aufgebracht. Mit dem Opener „Healing Through War“ lösen die Italiener mehr Staunen als Bewegung hervor. Geschickt lenken sie durch passende Lichtspiele die Blicke der Fans auf besondere Momente der einzelnen Musiker und setzten diese in Szene. Keyboarder Francesco Ferrini sitzt dabei etwas abwesend mit dem Rücken zum Publikum und schreitet immer wieder an den Bühnenrand und sucht den Kontakt zu den Fans oder filmt den Rest der Band. Ich werde leider nicht wirklich warm mit dieser Mischung aus extrem schnellem Death Metal und Elementen der Klassik, muss aber zugeben, dass „Sugar“ einem gar keine andere Wahl lässt, als begeistert mitzunicken. Auch der perfekt abgemischte Gesang von Sängerin Veronica Bordacchini ist zwar nicht meins – dennoch beeindruckend.
Fleshgod Apocalypse versuchen das Publikum ebenfalls zu einer Wall of Death zu animieren, doch das Ambiente reicht nur für eine sehr abgespeckte Variante. Schon im Vorfeld habe ich in mehreren Gesprächen aufgefangen, dass für viele Fleshgod Apocalypse das Highlight des Abends sind. Ich kann da leider nicht mitgehen, da es für mich zu perfekt durchstrukturiert ist und kaum Platz lässt für Spontanität auf und Chaos vor der Bühne. Nach „nur“ acht Songs gibt es noch eine theatralische Verbeugung vor einem zu größten Teilen überwältigtem Publikum.
Die Bühne wird komplett geräumt und das massive Geschütz auf einem Drum Riser thront in der Mitte. Mit dem Fallen der Abdeckung brandet sofort die erste Welle der Begeisterung herauf. Das Schlagzeug und was es in wenigen Minuten auf uns abfeuern wird, ist das Herzstück von Kataklysm. Mitte der 2010er Jahre brandeten Gerüchte auf, dass der ehemalige Schlagzeuger Max Duhamel nicht live spiele. Die Reaktion auf diese Vorwürfe seitens der Band war top. Man hat nicht lange herumgeschwafelt – Max hat sich bei jedem Soundcheck einfach selbst ans Schlagzeug gesetzt und ein Solo gespielt mit gefühlten 300 bpm. Ein perfekter Mittelfinger an die Zweifler.
Die Franko-Kanadier haben sich in ihrer mittlerweile 33-jährigen Bandgeschichte nicht nur zu einem der erfolgreichsten Flaggschiffe von Nuclear Blast empor geblastet, sondern zählen schon seit vielen Jahren zur Death Metal Elite. Im Vergleich zu Fleshgod Apocalypse betreten Kataklysm beinahe schon heimlich und völlig unspektakulär die Bühne. Keine spezielle Lichtshow oder sonstige Gimmicks. Jetzt wird es ungeschliffen, rabiat und direkt in die Fresse, wie ich es von Kataklysm kenne und liebe. Mit „Goliath“, dem Titelsong des gleich betitelten neuen Albums, steht sofort das gesamte Wizemann Kopf. Die Bassdrum prügelt unglaublich erbarmungslos und druckvoll auf uns ein und Sänger Maurizio versprüht Gift und Galle und verlangt immer wieder zwischen den Zeilen nach mehr Bewegung und mehr Gewalt. Schon mit dem dritten Song „Let It Burn“ kommt eines meiner Highlights der Setlist. Das Album „In The Arms Of Devastation“ 2006 war mein Einstieg in die Faszination für Kataklysm.
All the traitors in the world
Let them burn!
They want it all?
Let them burn!
Fuck them all, kill them all
Let them burn
Die perfekte Hymne, um in einen Moshpit zu ziehen und mit Gleichgesinnten auf „freundliche“ und „respektvolle“ Art und Weise der Frustration des Alltags zu entkommen und sich „auf die Schnauze“ zu hauen. Maurizio treibt immer weiter und weiter zu mehr Bewegung an. Nach jedem Song wird die Band frenetisch mit Kataklysm-Sprechchören gefeiert und angehalten sofort und für immer weiterzuspielen.
Und Kataklysm wissen, was abzuliefern ist, wenn die Menge nach mehr Spektakel lechzt. Vor dem nächsten Song wird den Securities mitgeteilt, dass nun Arbeit auf sie zukommt. In Form von Menschen – vielen Menschen. Maurizio nennt es den Securitiy-Stress-Test und fordert den kompletten Saal zu „As I Slither“ zum Crowd-Surfen auf. Und die Leiber kommen angeflogen in jeder körperlichen Verfassung. Beinahe lückenlos geht es gleich in den nächsten Hit über. „Crippled and Broken“ war damals ein Dauerbrenner in der Rofa, bei dem man nur noch wirbelnde Haare auf der Tanzfläche gesehen hat. Der Midtempo-Part ist mit das Geilste, was ich von Kataklysm kenne und es klingt heute so unglaublich gut abgemischt und dennoch absolut „natürlich“ und roh. Nun kommt ein absolut denkwürdiger Moment, nachdem man kurz zuvor mit „In Shadows And Dust“ einen weiteren Wirkungstreffer auf die Nackenmuskulatur abgegeben hat. Maurizios Sohn hat heute Geburtstag und wird fünf Jahre alt. Und welch besseren Moment gibt es, als ihn während eines Death Metal Konzerts mitten von der Bühne aus per Video-Call anzurufen? Papa Maurizio gratuliert dem kleinen Matthias und dieser bekommt dann von einem Saal voller „knallharter“ Metalheads Happy Birthday gesungen.
Back to business. Man schaut wieder grimmig ins Publikum, wirft die Doublebass nochmal an und verabschiedet sich mit Blick auf ein baldiges Wiedersehen und „The Road To Devastation“ in die Nacht.