MASTER BOOT RECORD, AROTTENBIT, 28.11.2023, Jugendhaus West, Stuttgart
Ich mach es mir mal leicht. Warum sich selber ’nen flotten Spruch ausdenken, wenn Master Boot Record auf ihrer letzten Album „Personal Computer“ einen griffigen Claim auf dem Cover kleben haben:
100% Synthesizer
100% Dehumanized
Bay Area meets Commodore 64!
Die Liaison Metal & Fantasy-Rollenspiel ist ja jetzt beileibe weder selten noch neu. Die Ästhetik von 8-bit-, 16-bit-, Arcade- oder sonstigen oldschool Videogames im Metalkontext ist es meines Wissens nach noch nicht, von einzelnen Beiträgen wie diesen hier abgesehen. In Mailand scheint das jedoch ein Ding zu sein, wie uns heute Abend Arottenbit und Master Boot Record zeigen werden.
Die (hoffentlich Früh-) Pensionierung schon näher im Blick als den Schulabschluss, verschlägt es mich erst jetzt zum ersten Mal in das Jugendhaus West. Sehr gut gefüllt ist der Laden, als Punkt 20 Uhr ein Mann mit schwarzer Gesichtsvermummung die Bühne betritt. Aus einer bunt beschmierten Mülltonne (der DIN-Norm EN 840) holt er ein handliches Elektrogerät raus. Das Ding sieht zwar aus, als würde es bei Betätigung selbstgebastelte Bomben hochgehen lassen, aber…SPOILER: Überleitung aus der Hölle…er lässt damit nur Sounds explodieren.
Arottenbit tritt alleine auf. Dabei tigert er meist auf der Bühne rum, bangt, tanzt und feuert das Publikum an. Mit besagtem „Gerät“ steuert er wohl irgendwie das, was an Musik zu hören ist. Und oh boy girl, das ist wild. EBM, Metal, Breakbeats, Techno und Drum’n Beats in einem atemberaubenden Tempo. Die Verzerrtheit und Rohheit der Sounds fühlen sich an, als sei ein Dämon in einen Amiga gefahren, bzw. als würden eben verrotete Bits Sounds produzieren. Ich lerne im Nachgang, dass es das Genre Chip Music gibt, und Arottenbit kann man wohl dazu zählen, allerdings mit Metal flavour. Dementsprechend sind nicht nur die T-Shirts am Merch Stand herrlich blasphemisch und wunderbar geschmackslos, der Künstler fordert und bekommt vom Publikum auch circle pits, walls of death und viel Gebange. Ein Metalpublikum, das zu einem Song, der wie übersteuerte Kirmesmusik from hell klingt, frei dreht, kein gewohnter Anblick. Anstrengender Auftritt, toller Auftritt, es gibt verdientermaßen viel Applaus.
Master Boot Record sind bei dem altehrwürdigen und verdienstvollen Metal Blade Label untergekommen, was an und für sich schon was heißen will. Im Sinne von: die nehmen nicht Jeden. Im Gegensatz zum Support tritt der Künstler Viktor Love mit zwei Mitmusikern auf, die auch „traditionell“ ihre Instrumente (Gitarre und Schlagzeug) spielen. Er selbst spielt auch Gitarre, und bedient nebenher noch PC-Relikte und füttert sie mit Floppy Discs.
Im Vergleich zu Arottenbitt kommt einem die Musik von MBR fast schon konventionell vor. Es sind Melodien zu hören, in den Liedern ist mehr Struktur erkennbar, und es gibt Parts, die einen gewissen Bombast entwickeln. Inspiration der einzelnen Songs sind jeweils Games aus den 80ern, bzw. Anfang 90er. Die Zuschauerreaktion und die des Fotografen zeigen, dass viele einen nostalgischen Bezug dazu haben. Diese Elemente werden ziemlich gut in ein Metalgewand eingekleidet. Das mal klassischerer Heavy Metal, mal derberer, schnellerer Extreme-Metal ist.
Interessanterweise kommen die schnellen Arpeggien, die für diese Gamermusik in Teilen so charakteristisch sind, nicht aus dem Computer. Der Leadgitarrist, dessen Look Stranger Things vibes aufkommen lässt, spielt diese rauf und runter. In den 70ern wäre jemand mit so einer famosen, virtuosen Spieltechnik ein Phänomen gewesen. Seit Mike Varney in den 80ern und der Flut an Shreddern ist das ja nicht mehr so. Aber ich gestehe: ich mag dieses Hochtempo-Gespiele immer noch. Aber wo bleibt denn da das Gefühl bei diesem Gefidele, heißt es da immer. Um ein abgewandeltes Bonmot einem verstorbenen Altkanzler in den Mund zu legen: Wer Gefühle hat, sollte zum Arzt gehen! Mal davon abgesehen, wo könnte dieser Spielstil besser passen als zu dehumanized Computermusic?
Ein Problem, bei aller Energie und spaßiger Verrücktheit des Sounds samt den tollen Visuals, gibt es für mich dann aber doch. Die Soundabmischung ist zu verwaschen und ziemlich laut. Auf die Dauer wird mir so die Musik, die eh schon die Sinnesorgane überreizt, etwas zu anstrengend. Die steigenden Temperaturen tun dann noch ihr Übriges. Weiter hinten im Saal ist der Sound aber besser, und so lässt sich der Rest des ziemlich langen Auftritts noch gut genießen. Am Ende wird der High Score für mich nicht ganz erreicht. Aber eben selbst schuld, wenn man keine gamer-Vergangenheit sein Eigen nennen kann.
Ich war in München dabei. Arottenbit ist ganz klar ein super Einheizer. Ich hätte gerne mehr davon gehabt. MBR war auch nice, dagegen aber sehr schwerfällig.
Auch war die Show von Arottenbit einfach geiler, finde ich. Mehr Chiptune, aber auf eher blasphemischer Art (fuck ey, die Samples die er da nutzt, einfach derbe).
Auch zu erwähnen ist dass, zumindest in Muc, nach dem Konzert dann nette Diskussionsrunden entstanden sind mit den Künstlern die sich dafür zur Verfügung stellten.
Hoffe arottenbit kann man bald wieder live geniessen.
Danke für deinen Kommentar! Wie man an dem Artikel merkt bin ich ja komplett ahnungslos was diese Musikrichtung angeht. Insofern umso interessanter deine Anmerkungen!