SOMMERFESTIVAL DER KULTUREN, 12.-17.07.2022, Marktplatz, Stuttgart

Also, man kann ja über den Marktplatz sagen, was man will, als städtischer Partyraum ist er jedenfalls bestens geeignet. Dem Sommerfestival der Kulturen wurde durch die Pandemiepause der Umzug auf den Schlossplatz erspart, sodass es sich jetzt wie ein nahtloses Anknüpfen an das letzte Festival vor drei Jahren anfühlt. Das ist allerdings auch das einzig positive, was man dieser Auszeit abgewinnen kann. Wie groß die Sehnsucht der Stuttgarter:innen nach diesem buntesten aller Stadtfeste ist, beweisen sie mit einem beeindruckenden Andrang an Besuchern und Besucherinnen. Auch wir haben uns vorgenommen, möglichst oft vor Ort zu sein.

Am Eröffnungstag stehen wir jedenfalls Punkt 18 Uhr an unserem Stammplatz unter der Platane, strategisch geschickt auf halbem Weg zwischen Bühne und Bierstand. Vereinsvorstand Sami Aras, Geschäftsführer Peter Graser, Schirmherr OB Nopper und die Bezirksvorsteherin Kienzle übernehmen den offiziellen Teil. Während der OB bei allgemeinen Grußworten bleibt, setzt Veronika Kienzle in einer eher nachdenklichen Rede das Festival nicht nur in den weltpolitischen Kontext, sie erneuert auch nochmal nachdrücklich die Forderung nach einem Haus der Kulturen, das der Stadt so schmerzlich fehlt.

Einen besseren Opener als die Stuttgarter Weltmusik-Allstars Lakvar konnte man kaum wählen. Bereits in den ersten Festivalminuten kommt Partystimmung auf. Die 80 beteiligten Migrantenvereine und 200 ehrenamtlichen Helfer haben den Platz mit einem Riesenaufwand wieder in eine Mischung aus Hocketse und internationalem Foodcourt verwandelt. Die Bühne mit amtlichem Soundsystem ist wegen Bauarbeiten ein wenig näher gerückt, was dem Ganzen eine noch größere Dichte verleiht. Den Montag beendet der Kongolese Ray Lema mit einer Mischung aus Afro-Beat und afrikanischer Rumba.

Am Mittwoch sehen wir zuerst einen bewegenden Auftritt der ukrainischen Band Luiku, der zwischen ergreifenden Ansprachen des Frontmanns Dmytro Tsyperdyuk und exzessiven „Trans-Karpathen-Ethno-Beats“ seiner formidablen Band changiert. Der nachfolgende Auftritt der chilenischen Cumbia-Stars Chico Trujillo wird von einer überraschend großen Gemeinde feierwütiger chilenischer Fans zu einem besonders intensiven Festival-Highlight gemacht.

Überhaupt besteht der Reiz des Festivals ja genau darin, dass man jeweils eine Top-Band aus einem fernen Land einlädt und sich dann darauf verlassen kann, dass es in Stuttgart immer eine große Gemeinde von Landsleuten gibt, die diese Band abfeiern. Das funktioniert bei türkischen und griechischen Bands ohnehin, aber auch bei entfernteren Ländern wie Chile. Keine Band lässt sich die Gelegenheit entgehen, kurz ihre Landsleute in der jeweiligen Landessprache anzusprechen, was die Stimmung noch mehr anheizt.

Mein Highlight des Festivals ist die koreanische Band Ak Dan Gwang Chil – kurz ADG7 – die den Donnerstag eröffnet und mit ihrer Mischung aus beat-lastigem Pop und traditioneller koreanischer Musik nebst authentischer Instrumentierung für Staunen und Begeisterung sorgt. Ihre anwesenden Landsleute freuen sich eher etwas zurückhaltend, die Stuttgarter:innen aller Länder dafür umso ausgelassener. Die englisch-palästinensische Band 47Soul kann im Anschluss auf eine beeindruckende Fan-Gemeinde blicken, die ihren „Shamstep“, eine Mischung aus traditioneller Dabke-Musik und elektronischen Beats wie Dubstep, für eine ausgelassene Party nutzen.

Wir freuen uns jedenfalls auf 2023, wenn das Festival sein 20-jähriges Jubiläum feiert, die Pläne für ein Haus der Kulturen hoffentlich unter Dach und Fach sind und uns die Programmmacher wieder mit musikalischen Highlights aus aller Welt überraschen. Und vielleicht reihen wir uns ja auch mal bei den Ehrenamtlichen ein und stehen nicht immer nur vor, sondern auch mal im Bierstand.

Lakvar

Ray Lema

ADG7

Sommerfestival der Kulturen