THEES UHLMANN, 01.09.2020, Freilichtbühne Killesberg, Stuttgart
Normalerweise – oder wie wir mittlerweile sagen – „früher“ sind wir mit Bechern beim Konzert rumgestanden, das war blöd beim Klatschen und deshalb haben wir immer „Yeah!“ gerufen, wenn etwas Gutes passiert ist. Wenn der Becher leer war, haben wir schnell wieder Nachschub geholt, damit mit wir wieder besser „Yeah!“ rufen können. So ging das, so wurde das gemacht.
Dienstagabend auf der Freilichtbühne am Killesberg: Thees Uhlmann und Miniband. Wir trinken im Freien Bier aus Flaschen (wie von Professor Drosten empfohlen), stellen sie neben unserem Klappstuhl ab, damit wir zeitgleich klatschen UND „Yeah“ rufen können. Klar, kannste jetzt „Scheiß Corona!“ sagen oder halt einfach klatschen und gleichzeitig „Yeah!“ rufen. Neue Möglichkeiten sind schließlich dazu da, dass man sie mal versucht.
Und selten waren die Zeiten besser, mal etwas ganz arg Neues zu versuchen. „Bestuhlt könnte auch ‚beschissen‘ heißen“, haben wir früher auch gesagt. So schlimm ist das hier bei Thees Uhlmann und Band aber gar nicht, es überwiegt die Freude, überhaupt mal wieder zugucken zu dürfen, wie jemand auf der Bühne Kunst, Quatsch und Musik macht und das Herz aus der Hose plumpst. Platsch.
Und was lernen kann man auch beim uhlmann’schen Rockenroll: Magic Nails in der Stuttgarter Straße in Feuerbach ist der Place to be. Uhlmann hat sich beim ungelenken Gitarrenspielen den Fingernagel ramponiert und sich dort das Ding ambulant wieder schick modellieren lassen. Neues wagen. Und wahrscheinlich war’s auch für das Nagelstudio in Feuerbach eine Art Premiere. Solche, äh, „Hoschis“ wie Thees Uhlmann zählen da sicher nicht zur Stammklientel. Und vor allem: einen Nagel. Keine Hand, nicht die Füße. Einen Nagel nur. Stark.
Auch wenn Uhlmann ständig von Dingen erzählt, die „nicht vorgesehen“ waren: Nagelstudio hin, Corona her. Nix was zur Zeit passiert, war jemals vorgesehen – aber es könnte keinen besseren als Uhlmann geben, die Musik dazu bereitzustellen. Wir haben Masken dabei und halten Abstand. Die Musik von Uhlmann hält aber keinen Abstand. Nah am Leben gebaut, nah am Herzen und halt ohne Platz für zynischen Scheißdreck.
Uhlmann spielt in Kleinbesetzung auf der Freilichtbühne: Er, (Gitarre, Gesang, Anekdoten, Geschichten), Rudi Maier (Gitarre, Bass, Bassdrum) und Simon Frontzek (E-Piano) – im Hintergrund steht „Thees Uhlmann“ auf ein Banner geschrieben. Das war’s dann auch schon. Weil’s mehr manchmal halt auch nicht braucht.
Olle Uhlmannkracher runtergerechnet auf das Nötigste: Lieder. „Fünf Jahre nicht gesungen“, „Danke für die Angst“, „Und Jay Z singt uns ein Lied“, das – hihi – „Fischelied“, das herzergreifende „48 Stunden“ von Kettcar, „Liebeslied“ von den Toten Hosen und „Ich sang die ganze Zeit von Dir“ und „Die Schönheit der Chance“ aus dem Hitfundus von Tomte – Hits. Hits. Hits. Teils wunderschön neu arrangiert mit viel Popo an der Hüfte. Zwischendrin gibt’s lustige Geschichten, Quatsch, Anekdoten und Späßchen. Das hätte Uhlmann von mir aus bis Mittwoch nächster Woche einfach so weitermachen können. Nonstop. Herz in die Luft werfen, dann macht’s „Bumm“ und es fliegt völlig unironisch Konfetti.
Blöd bei diesen bestuhlten Konzerten: Pipi oder Getränke holen (Kausalitätskette!). Im Club früher konnte man sich locker davonschleichen. Aber hier: keine Chance und ein bisschen Angst, dass er das Lied anhalten würde weil man bei 300 Zuschauern halt einfach sieht, wenn einer gerade aufsteht. Man will ja nicht unhöflich wirken. Kurz: hätte mir fast in die Hose gemacht.
„Fuck Corona“, sagt Uhlmann und ich habe leider vergessen, wann er das gesagt hat. Ob es nach einer Stunde, zwei Stunden oder wann auch immer war. Danach war das Konzert auf der Freilichtbühne aber vorbei, auch weil „Fuck Corona“ ein gutes Schlusswort ist. Wahrscheinlich gibt’s gerade kein besseres Schlusswort.
Ah, vielleicht noch, dass wir „bitte aufeinander aufpassen sollen“. Das rutschte Uhlmann so nebenbei durch. Und es ist wichtig. Seit Monaten beschäftigen wir uns alle notgedrungen viel zu viel mit uns selbst, gesund ist das nicht. Stellen wir uns selbst in den Mittelpunkt, wird das alles schnell fürchterlich eindimensional. Und dumm. Manche haut’s gerade voll aus der Kurve, andere schleudern seit Monaten. Komm, lieber zwei Mal zu viel anrufen und fragen, wie’s geht.
War schön, mal wieder unter Menschen zu sein, die lächeln und das ein oder andere Tränchen verdrücken. Man weint ja nicht wegen der Lieder, sondern weil die dabei waren, als gerade das Herz explodiert ist.
P.S.: Äh, ein gutes Schlusswort habe ich noch vergessen. Vom Wachmann im Stuttgarter Pressehaus. Er ist Schalke-Fan. Seit Monaten machen wir das so wenn ich abends gehe. Er sagt: „Und wie immer gilt …“, dann zeigen wir uns je zwei Fingerpistolen und sagen gleichzeitig: „GESUND BLEIBEN!“
Schön war es dabei zu sein!