THE REMEMBERABLES, 18.05.2018, InDieWohnzimmer, Stuttgart
(Kurze Vorrede: Ungefähr 2014 war es, als ich vom Stammbesucher des InDieWohnzimmer mehr und mehr zum Helfer und inzwischen zum Mitveranstalter wurde. Und da man als Veranstalter schlecht seine eigenen Konzerte öffentlich besprechen kann, wurden auch meine Gig-Blog-Berichte aus dem Wohnzimmer weniger. Das Konzert der Rememberables war allerdings derart umwerfend, dass ich den Interessenkonflikt ignoriere und einfach mal einen Bericht aus Veranstalterperspektive mache. Vielleicht ist’s ja sogar interessant.)
Seit dem Wegzug von Mitgründerin Christine nach Berlin machen Claudia und ich im Durchschnitt ein Konzert monatlich. Streng ehrenamtlich, meist tatsächlich in Claudias Wohnzimmer und immer mit dem Ziel, Bands zu bekommen, die abseits typischer Wohnzimmergigs liegen und die sonst eh niemand nach Stuttgart holen würde. Dass sich darunter nun auch mal so „schwere Jungs“ wie die Grunge-Fuzz-Pop-Rocker The Rememberables befinden, ist dann aber doch eher ein Riesenzufall (und auch ein Glücksfall, wie sich herausstellen wird).
Wie es dazu kam? Letztes Jahr, beim Besuch des Berliner Plattenladens Bis aufs Messer fällt Claudia die im Hintergrund laufende Musik auf. Beim Gespräch mit Ladenbesitzer Robert Schulze stellt sich heraus, dass dieser auch das Label Adagio 830 betreibt und die gerade laufende Platte der Rememberables dort demnächst erscheinen werde. Und man plane gerade eine Europatour für die Band aus Washington D.C. Naja, vielleicht könnten sie dann ja auch im InDieWohnzimmer vorbeischauen… Was nach einer Schnapsidee klingt, wird aber tatsächlich wahr. Und spätestens als die Tourplakate mit 22 Gigs in 10 Ländern ankommen, ist klar: Unter all den Festivals und Hardcore-Clubs findet sich auch unser kleines Wohnzimmer. Ganz schön aufregend!
Auch wenn wir mit mehr als fünfzig Konzerten inzwischen eine gewissen Routine haben, ist der Konzerttag immer ein ganz schöner Aufriss. Als ich direkt vom Feierabend nach Feuerbach eile, steht bereits ein Sprinter mit tschechischem Kennzeichen vor der Tür und fünf recht verwegen aussehende Gestalten schleppen fette Marshall-Amps, Gitarrenkoffer und Flightcases in das kleine Reihenendhäuschen. Bevor sich noch Zweifel einstellen können, ob das wirklich eine gute Idee war, begrüßen mich Binh, Mat, Chris, Tim und Fahrer Scott so superfreundlich, dass ich gar nicht anderes kann, als mich auf den Gig zu freuen. Außerdem ist jetzt eh keine Zeit für Zauderei. In zwei Stunden stehen hier gut 50 Gäste auf der Matte und es muss noch einiges getan werden. In der Küche wird das Abendessen vorbereitet. Das Gästezimmer muss hergerichtet, Betten müssen bezogen werden. Die PA wird aus dem Keller geschleppt, verkabelt und eingestellt und der Soundcheck kann beginnen. Vorher noch ein kurzer Höflichkeitsbesuch bei den direkten Nachbarn. Dass es heute wohl etwas lauter werde, dass man auf Verständnis hoffe und verspreche, um 22:00 Uhr fertig zu sein.
Und dann wird das Häuschen in den Grundfesten erschüttert. Der Soundcheck ist derart laut, dass selbst Tourbegleiter Scott das umwerfende Erlebnis für das Internet dokumentiert. Hektisch schließe ich alle Fenster und Türen und prüfe das Ergebnis von außen: meine Güte, ist das heftig, das ganze Haus scheint zu beben. Ich mache mir Sorgen über die Bausubstanz. Meine Frage, ob man auch etwas leiser spielen könne, wird mit einem Grinsen beantwortet. Nun denn, unsere vollmundige Ankündigung, dieses werde das lauteste Wohnzimmerkonzert aller Zeiten, werden wir jedenfalls locker erfüllen.
Das Abendessen ist die erste Gelegenheit, sich näher kennenzulernen. Was man denn sonst so macht, wie die Tour so verläuft, wie es in Europa gefällt. Die ersten Bier werden geöffnet, beste Stimmung. Claudias Küche wird in den höchsten Tönen gelobt. Durch die Anforderungen der vielen Band-Rider hat sie sich inzwischen zu einer Spezialistin der veganen Küche entwickelt und die Zucchini-Carbonara schmeckt tatsächlich sensationell. Größte Gefahr an dieser Stelle: dass man sich festschwätzt und von den ersten Gästen überrascht wird. Deshalb ruckzuck die Küche aufgeräumt, Massen von Bier und anderen Getränken aus dem Keller geholt und schon stehen sie da: unbekannte Gesichter und alte Freunde, Stammgäste aus der Nachbarschaft, Musiknerds aus nah und fern.
Noch schnell eine Runde Gehörschutz an die Zartbesaiteten verteilt und das 52-ste InDieWohnzimmer kann – nach der obligatorischen Einleitung durch die Hausherrin – endlich beginnen. Mit „Miles“ vom aktuellen Album beginnt das Set und The Rememberables zeigen sofort ihre ganze Live-Erfahrung. Aus dem Stand auf 180. Und umgehend stellt sich die Gefühl eines echten Rock-Clubs ein. Die Songs gehen direkt ineinander über, der Druck ist unfassbar hoch und das Publikum sofort in Bewegung. Nach dem dritten Songs reißt die erste Saite und Tim muss erstmal Nachschub aus dem Keller holen. Sänger Binh erzählt derweil etwas über den Hintergrund seiner Songs. Durchaus ernste und traurige Geschichten. Mit unverminderter Intensität geht es nach der Zwangspause weiter, das Set ist heftig. Zwei weitere Saiten müssen im Laufe des Abends noch dran glauben. Das gesamte Album wird gespielt, einige ältere und ganz neue Titel fügen sich nahtlos ein und ein Wipers-Cover rundet alles ab.
Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind inzwischen in Grenzbereichen angelangt, die Scheiben beschlagen. Ein Gast ist geflüchtet und schaut sich das Spektakel von außen aus dem Garten an. Keine Frage: dieser Gig wird in die Annalen des InDieWohnzimmers eingehen. Noch schnell den Spendenhut durch die Zuschauerschar kreisen lassen und schon ist alles bereit für das Grande Finale und die After Show. Der Merch geht weg wie geschnitten Brot, alles mögliche muss signiert werden und Band und Publikum genehmigen sich zusammen noch ein paar Bierchen.
Für uns endet das ganze erst am nächsten Morgen. Mit einem üppigen Frühstück, der obligatorischen GEMA-Liste, ein paar Erinnerungsfotos und dem gemeinsamen Beladen des Sprinters. Eine ernstgemeinte Einladung nach Washington, viele Umarmungen – und schon sind sie wieder auf ihrem Weg durch Europa, die supersympathischen und wirklich „erinnerungswürdigen“ Rememberables.
Und auf die häufig gestellte Frage „Warum bürdet ihr euch diesen Stress und die viele Arbeite eigentlich immer auf?“ kann ich nur antworten: Wegen Abenden wie diesen. Wegen Bands wie den Rememberables, die wir sonst vermutlich nie gesehen hätten. Und weil wir Live-Musik lieben!
Sehr schöner Bericht, Holger! Und ich wäre gern dabei gewesen… : )