THE BOLLOCK BROTHERS, THE NERVES, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

THE BOLLOCK BROTHERS, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Nach 2010, 2012 und 2014 sind die Bollock Brothers nun also zum vierten Mal im Schlesinger zu Gast. Keine Frage: Eine passende Location. Wo sonst findet man in Stuttgart ein so schönes Refugium für Alt-Punks und Alt-Rocker? Auch für uns gehörten die Bollock Brothers schon in den 1980ern auf die Setlist jeder Party, ihr Album „The 4 Horsemen Of The Apocalypse“ in jeden Plattenkoffer. Die letzten beiden Auftritte, die ich gesehen habe, waren zwar eher – ähm – mittelgut. Der eine 2013 auf dem UD, der andere irgendwann in den 1990ern in der Blumenwiese. Und ich erinnere mich, dass ich schon damals dachte, diese Band habe ihren Zenit überschritten. Wenn sich aber das Schlesinger erneut den Riesenaufwand antut, für einen Abend aus der Kneipe einen Club zu machen, dann muss das doch einen guten Grund haben…

THE NERVES, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Und der Publikumszuspruch gibt sowohl den Wirten als auch dem Veranstalter Recht. Der Laden ist gut voll, und ein Teil der Besucher auch. Schon als die Lokalmatadoren The Nerves die Bühne nur betreten, fordern schwankende Gestalten in der ersten Reihe „lauter! härter!“ Auweia. Dabei sind The Nerves nicht nur ausreichend laut (überhaupt: der Sound ist sehr erfreulich), sie sind vor allem richtig gut. Klassischer Punkrock, der mit einer japanischen Shakuhachi-Flöte, einem japanischem Streichinstrument und Kastagnetten einen besonderen Twist bekommt. Bass, Gitarre und Schlagzeug performen sehr engagiert und druckvoll. Das macht richtig Spaß. Und Frontfrau Nina H. ist nicht nur optisch überragend, sie beherrscht neben den exotischen Instrumenten auch den Gesang. Wir vermuten hier sogar eine ausgebildete Gesangsstimme. Nicht unbedingt selbstverständlich in diesem Genre. Einziges kleines Manko: für einen Support-Slot ist der Auftritt ein wenig zu lang, der Spannungsbogen kann nicht ganz gehalten werden.

THE NERVES, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Als Jock MacDonald und seine Mannen kurz nach halbelf endlich die Bühne entern, sind die Fans in den ersten Reihen inzwischen voll auf Betriebstemperatur und begrüßen die Band frenetisch. Ein besonders engagierter Anhänger entert umgehend die Bühne für ein Selfie mit Jock und Publikum. Der Frontmann – wie immer im Tartan-Anzug – lässt dies stoisch über sich ergehen, legt dann aber umgehend los. Auf Facebook hatte er noch kurz vorher ganz unbescheiden verkündet „Folks, possibly playing live the best EVER from, the band, seem to have found the blend, power, precesion, as well able to give it some Bollocks“. Und wir können bestätigen: die Band spielt aus dem Stand tight und ordentlich nach vorne. Ein paar kleinere Soundprobleme werden ausgemerzt und dann dreht die Bollock-Brothers-Show auf.

THE NERVES, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Die Kombination aus cheesy Eighties-Keyboard, einem straighten Rockbeat und dem unendlich lakonischen Sprechgesang. Das ist der typische Bollock-Brothers-Sound. Und er tut seine Wirkung. Es ist schon grandios, wie kackfrech die Bollock Brothers den größten Teil ihres Repertoires aus Cover-Versionen zusammen­geschustert haben. So setzt sich „The 4 Horseman of Apocalypse“ zu großen Teilen aus dem Album „666“ von Aphrodite’s Child zusammen. Das Album „Never Mind The Bollocks 1983“ ist eine eins-zu-eins-Übertragung des Sex-Pistols-Klassikers und auch der Bollock-Brothers-Hit „Harley David Son of a Bitch“ ist letztlich ein Cover – eines Chansons von Serge Gainsbourg. Aber was soll’s: Das Rezept funktioniert – und das inzwischen seit fast 40 Jahren. Schon nach wenigen Takten hat sich ein Schubs-, oder sagen wir lieber, Torkelkreis gebildet. Und langsam wird uns auch klar, warum wir hier erstaunlicherweise niemanden kennen und uns in unserer Stammkneipe etwas fremd fühlen: Die Fans sind in größeren Gruppen in Bussen angereist. Zumindest die Freiburger Bollock-Brothers-Ultras lassen durch „Südbaden, Südbaden“-Sprechchöre keinen Zweifel an ihrer Herkunft.

THE NERVES, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Zweimal holt sich Jock mit der Sängerin Elodie Verstärkung auf die Bühne, unter anderem beim Flirts-Hit „Passion“, der in dieser rockigen Version fast besser ist als der Disko-Klassiker. Was aber definitiv das Original aussticht, ist die Bollock-Brothers-Version des Alex-Harvey-Hits „The Faithhealer“. Der große Hit mit der Ben-Hur-Fanfare, dem ewig langen Synthie-Intro, den einsetzenden Gitarren-Riffs und dem manisch-gepressten Refrain „Can I Put My Hands On You?“. Natürlich sorgt er – wie schon auf unzähligen Eighties-Parties – für den Stimmungs-Höhepunkt und lautstarkes Mitsingen.

Jedenfalls kann man konstatieren, dass Jock MacDonald sein Versprechen eingelöst hat: Die Band-Performance ist makellos, große Teile des Publikums dürften voll auf ihre Kosten gekommen sein. Dass dem ein oder anderen das Ganze vielleicht zu viel Ballermann war, das kann nur durch einen Mangel an Alkohol erklärt werden.

THE NERVES, 04.11.2017, Schlesinger, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

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