MAIFELD DERBY, 16.-18.06.2017, Maimarkt, Mannheim

Maifeld Derby 2017, Primal Scream, Foto: Özlem Yavuz

Primal Scream (Foto: Özlem Yavuz)

Endlich! Endlich haben wir es auch mal auf das Maifeld Derby geschafft. Für uns als Eltern schulpflichtiger Kinder kollidiert es ja mit schöner Regelmäßigkeit mit den Pfingstferien, die man als kostenbewusster Schwabe ja als „kleine Sommerferien“ nutzen muss. Aber dieses Jahr war uns dies egal. Urlaub verkürzt, Maifeld Derby und Hotel gebucht – den Besuch beim Auskenner-Pflicht-Festival kurzerhand zum Wellness-Wochenende in Mannheim erklärt.

Und dies war mit Sicherheit einer der besten Entschlüsse seit Langem. Das Lineup füllte sich im Laufe der Monate mit immer mehr wohlklingenden Namen, schon allein die Vorfreude auf ein stressfreies Festival-Wochenende unter Musikliebhabern war ja schon der halbe Erholungseffekt.

Maifeld Derby, Parcours d'Amour

Foto: Özlem Yavuz

Schon die Ankunft ist erfreulich: Das Gelände ist sehr übersichtlich, der Empfang freundlich. Rechts und links der Open-Air-Bühne befinden sich zwei Zelte, das kleinere Brückenaward-Zelt sowie das riesige Palastzelt, in das locker das gesamte Festivalpublikum hineinpassen würde. Etwas abseits liegt der „Parcours d’Amour“, die Sitztribüne der Reitarena, vor die man eine kleine Bühne gepackt hat und damit den etwas ruhigeren Acts einen außergewöhnlichen Rahmen gibt. Die Inspektion der übrigen Infrastruktur ergibt: keine grauenvollen Dixi-Klos, sondern richtige Toilettenhäuschen (die sogar regelmäßig gereinigt werden), eine Auswahl anständiger Food-Stalls und eine erfreulich große Auswahl von Bieren lokaler und kleiner, anspruchsvoller Brauereien. Unser Favorit nach eingehender Degustation: die Biere der Weschnitztaler Braumanufaktur, deren Ausschank geschickterweise an unserer Lieblingsbühne, dem Parcours d’Amour, liegt. Festivalbedingungen, wie wir sie noch nie erlebt haben. Beim Flanieren übers Gelände bekommen wir das selige Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht.

Freitag

Maifeld Derby, Trentemøller, Foto: Udo Eberl

Trentemøller (Foto: Udo Eberl)

Eins ist klar: Unmöglich, das gesamte Programm zu sehen. Palastzelt und Open-Air-Bühne werden zwar im Wechsel bespielt, parallel dazu aber auch die beiden kleinen Bühnen. Da gibt es mehr als einmal schmerzhafte Entscheidungen zu fällen – nicht selten übrigens zugunsten der kleineren Location. Und manchmal auch spontane Ortswechsel mitten im Gig.

Den Freitag beginnen wir an der Hauptbühne mit Flut, einem weiteren Spross des Austro-Rock-Hypes. Tief in den Achtzigern kramend, modetechnisch und musikalisch für jede Peinlichkeit bereit. Mit Vocoder, Flying-V-Gitarre und Ballonseide-Trainingsjacke. Der Stimmung jedenfalls recht zuträglich, vor allem als Max Gruber alias Drangsal zu einem Gastauftritt dazustößt.

J. Bernardt, der direkt danach im Zelt auftritt, ist uns zunächst unbekannt, legt aber mit seinen Elektropop-Hymnen einen derart mitreißenden und professionellen Auftritt hin, dass wir es gar nicht glauben mögen, dass dies sein erster Festivalauftritt ist, wie er betont. Tatsächlich ist er der Frontmann der belgischen Indierocker Balthazar und natürlich mit allen Wassern gewaschen. Keine Frage: Ein erstes Highlight.

Maifeld Derby, Foto: Özlem Yavuz

Foto: Özlem Yavuz

Mit Gemma Ray sehen wir unseren ersten Gig auf dem Parcours d’Amour. Nicht überraschend: die hinreißend charmante Britin liefert wieder großartig ab. Herrlich verschickerte Americana-Songs, dazu ihre markante, mächtig verhallte Gitarre und ein Hauch Nancy Sinatra. Dass sie – anders als kürzlich in der Manufaktur – eine Keyboarderin und Backroundsängerin dabei hat, tut dem Sound ebenfalls gut. Gemma Ray tut übrigens später das, was ich auch auf noch keinem anderen Festival gesehen habe, auf dem Maifeld-Derby aber häufiger passiert: Sie mischt sich unter das Publikum, um sich andere Künstler anzusehen.

Szenenwechsel und krasser musikalischer Kontrast: im Brückenaward-Zelt tritt das kanadische HipHop-Kollektiv The Lytics auf. Großartiger Old-School-HipHop mit maximalem Einsatz. Das Publikum ist binnen Minuten komplett aus dem Häuschen. Und die Kanadier staunen nicht schlecht. Als sich vor der Bühne spontan eine „Wall of Love“ entwickelt, packen alle fünf ihre Handys aus und filmen das wilde Treiben.

Maifeld Derby, Cigarettes After Sex, Foto: Udo Eberl

Cigarettes After Sex (Foto: Udo Eberl)

Mit Why? werde ich nicht warm und Cigarettes After Sex opfere ich den gleichzeitig spielenden Friends of Gas. Diese haben mich mit ihrem lakonischen Noisepunk in der Manufaktur allerdings weit mehr begeistert. Mit Sohn kann ich ebenfalls nicht viel anfangen. Fraglos eine opulente Show, musikalisch ist mir das ganze aber zu aufgeblasen. Ärgerlich, da hätte ich bei Rue Royale wahrscheinlich mehr Spaß gehabt.

Maifeld Derby, Sohn, Foto: Udo Eberl

Sohn (Foto: Udo Eberl)

Nun ist es aber an der Zeit, eine Bildungslücke zu schließen: ab zu Bilderbuch ins große Zelt. Und ja: Partyqualitäten kann man den Österreichern nicht absprechen. Ihr Funk-Feuerwerk zündet sofort, das Freitagspublikum scheint zu großen Teilen wohl ihretwegen da zu sein, die Textsicherheit ist jedenfalls beeindruckend. Vor dem berühmten Backdrop aus hunderten weißer Snickers zieht die Band um Maurice Ernst zwar eine beeindruckende Show ab, spätestens beim Refrain „Coca-Cola, Fanta, Sprite“ habe ich dann aber genug vom Kindergeburtstag. Muss ich nicht nochmal haben. Letztlich alles nur auf Effekt getrimmt und über allem schwebt der Geist von Hans Hölzel.

Maifeld Derby, Bilderbuch, Foto: Udo Eberl

Bilderbuch (Foto: Udo Eberl)

Samstag

Der Samstag ist der erste ausverkaufte Tag in der siebenjährigen Geschichte des Festivals und ein schöner Prüftstein, ob das ganze auch mit Maximalbelegung funktioniert. Und das tut es. Die Schlangenbildung bei Flüssigkeitsver- und Entsorgung hält sich in Grenzen, das Gedränge ebenfalls. Feuertaufe bestanden. Darf zukünftig ruhig immer so sein. Und würde mich sehr wundern, wenn dies nicht so kommen wird.

Wir beginnen den Nachmittag gemütlich im Parcours d’Amour bei leichtem Synthiepop von Anneli Ben alias Alaska bevor wir uns zu Zeal & Ardor trauen. Die Schweizer machen eine krude Mischung aus Metal, Southern Rock und Chorgesang. Das ist superlaut, absolut heftig und sehr professionell dargeboten. In dem Getöse bieten nur ein paar vertraute Bluesharmonien dem verstörten Hörer halt. Ob dies unbedingt auf ein Festival dieser Art gehört und ob hier nicht das erklärte Ziel stilistischer Vielfalt überstrapaziert wurde, darüber kann man sicher streiten. Uns hat’s Spaß gemacht. Und als Gegenpol zu den darauf folgenden Tall Heights funktioniert es ohnehin. Diese Progfolk-Band aus Boston – natürlich im Parcours d’Amour – haut uns mit ihrem unglaublich schönen Harmoniegesang, symphonisch-breit angelegten Songs, rhythmischer Vielfalt und einem elektronisch verzerrten Cello komplett aus den Latschen. Tim Harrington und Cellist Paul Wright werden mit stehenden Ovationen und der ein oder anderen Freudenträne belohnt. Definitiv eine unserer Top-5-Bands auf dem Maifeld.

Maifeld Derby, American Football, Foto: Özlem Yavuz

American Football (Foto: Özlem Yavuz)

Die hochgelobten American Football hören wir nur aus der Ferne, wir stärken uns erstmal für einen langen Abend. Natürlich lassen wir uns Dear Reader nicht entgehen. Anfangs etwas mit technischen Problemen kämpfend verzaubert die All-Girl-Band um Cherilyn McNeill mal wieder uns und die gesamte gut gefüllte Reitbahn-Tribüne.

Maifeld Derby, Kate Tempest, Foto: Özlem Yavuz

Kate Tempest (Foto: Özlem Yavuz)

Den Höhepunkt des zweiten Festivaltages bildet aber Kate Tempest. Gewarnt durch Konzertberichte hatten wir uns auf eine heftige Vorstellung eingestellt. Was die Poetin aus London dann aber in einem einstündigen Ausbruch über das teils versteinerte Publikum auskotzt, ist mit zorniger Spoken-Word-Performance nur sehr unzureichend beschrieben. Mit geradezu schmerzhaft spürbarer, Shakespeare’scher Vehemenz schreit, spricht, flüstert, singt sie sich durch ihr Werk. Das sonst von einem Beat unterlegte „Europe is lost“ wird zu einer wütenden Predigt, bei der sich jeder direkt angesprochen fühlen muss. Verglichen mit der Tempest sind die notorischen Nörgler Sleaford Mods geradezu ein Kasperltheater. Unter frenetischem Jubel wird die Sängerin, die sichtbar bis an die Grenzen der Erschöpfung gegangen ist, von ihrer Band von der Bühne geführt.

Maifeld Derby, Kate Tempest, Foto: Özlem Yavuz

Kate Tempest (Foto: Özlem Yavuz)

Manche haben nach dieser Performance keine Lust mehr auf weitere Unterhaltung und treten den Heimweg an. Hätten wir auch machen sollen, denn alles danach wirkt eher schal. Moderat sparen wir uns und für Gewalt, die leider erst um zwei Uhr auftreten, reicht unsere Energie nicht mehr.

Sonntag

Maifeld Derby, Thurston Moore Group, Foto: Özlem Yavuz

Thurston Moore Group (Foto: Özlem Yavuz)

Der Tag für Nostalgiker, Feinschmecker und Supergroup-Sammler. Kein Wunder, dass die komplette Auskenner-Gang aus Stuttgart und Köln anrutscht. Das Wetter – die letzten zwei Tage waren warm, trocken und meist leicht bewölkt – hat auf Hochsommer umgestellt. King Khan & the Shrines beginnen im gleißenden Sonnenlicht bei gut dreißig Grad im Schatten (den es leider nirgends gibt). Die Band kämpft sich wacker durch die Hitze, einen Totalausfall der Technik und bringt alle, die der Hitze trotzen, zum Tanzen. Respekt.

Maifeld Derby, Mitski, Foto: Özlem Yavuz

Mitski (Foto: Özlem Yavuz)

Bei der New Yorkerin Mitski Miyawaki, kurz Mitski, verbreitet sich eine etwas sprödere Stimmung. Die Songs sind durchaus eingängig aber wir fragen uns dauernd, ob es ein Stilmittel ist, dass sie sich immer an den korrekten Ton heranarbeitet.

Maifeld Derby, Whitney, Foto: Özlem Yavuz

Whitney (Foto: Özlem Yavuz)

Whitney mit ihrem Gute-Laune-Pop verbreiten im großen Zelt viel Spaß, uns steht aber der Sinn eher nach etwas finsterem. Und da sind wir bei Holygram im kleinen Zelt bestens aufgehoben. Die Kölner haben sich derart eingenebelt, dass wir lange nicht wissen, ob hier ein Drumcomputer werkelt oder sich in der Nebelwand ein echter Trommler verbirgt. Ihre Mischung aus Post Punk und Dark Wave bringen sie jedenfalls sehr glaubwürdig. Die Achtziger lassen grüßen. Ein großartiger Gig. Würden wir gerne mal in Stuttgart sehen.

Maifeld Derby, Holygram, Foto: Özlem Yavuz

Holygram (Foto: Özlem Yavuz)

So langsam stellt sich bei uns eine gewisse Festivalmüdigkeit ein. Wenn eine Attraktion die nächste jagt, kann es durchaus passieren, dass man einen Ausnahme-Act wie die Thurston Moore Group nicht ausreichend würdigt. Sorry dafür. Die in Scharen angetretenen Sonic-Youth-Fans sind jedenfalls auf ihre Kosten gekommen.

Wir können uns eine kurze Verschnaufpause bei der Solistin Josin, die mit Synthie und Gitarre und wunderbaren Melodien das Publikum im Parcours d’Amour begeistert, bevor wir zum Endspurt antreten.

Maifeld Derby, Spoon, Foto: Özlem Yavuz

Spoon (Foto: Özlem Yavuz)

Spoon präsentieren im Palastzelt ihr aktuelles, gefeiertes Album „Hot Thoughts“ und überzeugen mit einen sehr präzisen und zu weiten Teilen mitreißenden Live-Show. Ihr eingängiger Indie-Pop sorgt für tanzende Massen.

Maifeld Derby, King Gizzard & the Lizard Wizard, Foto: Özlem Yavuz

King Gizzard & the Lizard Wizard (Foto: Özlem Yavuz)

Höhepunkt in der Hitzeschlacht des Nachmittags sind die Australier King Gizzard & the Lizard Wizard, die mit ihrem kruden, orientalisch anmutenden Psych-Rock, einem Doppelschlagzeug und ihren einzigartigen Viertelnoten-Gitarren einen der wenigen Moshpits erzeugen. Staubig, verschwitzt und extatisch, das Publikum schont sich so wenig wie die Band.

Maifeld Derby, Amanda Palmer, Foto: Özlem Yavuz

Amanda Palmer (Foto: Özlem Yavuz)

Szenenwechsel und krasser Gegensatz: Amanda Palmer & Edward Ka-Spel im Palastzelt. Zuerst von einem Computerausfall gebeutelt, spielt Amanda Palmer ihre ganze Routine aus: Sie parliert mit dem Publikum und spielt einige Nummern aus ihrem älteren Werk. Als dann Edward Ka-Spel mit seinem wiederbelebten Computer dazustößt, entwickelt sich eine geradezu magische Performance, irgendwo zwischen Operette und Vaudeville-Theater, grandios unterstützt vom Geiger Patrick Q. Ein ungewöhnlicher Act, der erstaunlicherweise sogar im Riesenzelt hervorragend funktioniert.

Maifeld Derby, Primal Scream, Foto: Özlem Yavuz

Primal Scream (Foto: Özlem Yavuz)

Zu den Klängen der Rocklegende Primal Scream müssen wir den Heimweg antreten, und die Shoegaze-Legende Slowdive – für die sicher nicht wenige eigens angereist sind – müssen wir komplett ausfallen lassen. Und trotzdem verlassen wir das Maimarkt-Gelände mit einem klaren Fazit: das beste und liebenswerteste Festival, auf dem wir jemals waren. Von Musikfans für Musikfans. 2018 sind wir garantiert wieder dabei.

Bilderbuch (Fotos: Udo Eberl)

Why (Fotos: Udo Eberl)

Trentemøller (Fotos: Udo Eberl)

Friends of Gas (Fotos: Udo Eberl)

Cigarettes After Sex (Fotos: Udo Eberl)

Sohn (Fotos: Udo Eberl)

American Football (Fotos: Özlem Yavuz)

Whitney (Fotos: Özlem Yavuz)

Dear Reader (Fotos: Özlem Yavuz)

Kate Tempest (Fotos: Özlem Yavuz)

Moderat (Fotos: Özlem Yavuz)

Mitski (Fotos: Özlem Yavuz)

Whitney (Fotos: Özlem Yavuz)

Holygram (Fotos: Özlem Yavuz)

Thurston Moore Group (Fotos: Özlem Yavuz)

Spoon (Fotos: Özlem Yavuz)

King Gizzard & the Lizard Wizard (Fotos: Özlem Yavuz)

Amanda Palmer & Edward Ka-Spel (Fotos: Özlem Yavuz)

Primal Scream (Fotos: Özlem Yavuz)

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