DEEP PURPLE, 14.06.2017, Schleyerhalle, Stuttgart
Mit den Höhen hat Ian Gillan (71) Probleme. Beim Auftritt seiner legendären Hardrock-Band Deep Purple in der nicht ausverkauften Schleyerhalle erreicht er sie nicht mehr, sodass Steve Morse (62), hochdekorierter Gitarrenvirtuose, instrumental die stimmlichen Defizite auszugleichen trachtet. Das gelingt ihm auch überaus souverän, nur die für den einzigartigen Bandsound so stilprägenden atemberaubenden Duelle zwischen Gesang und Gitarre fallen dadurch weg und damit einige der besten Stücke – schon seit Jahren spielt man „Child in Time“ nicht mehr und auch den einst klassischen Eröffnungssong „Highway Star“ sucht man vergeblich auf der aktuellen Setlist.
Deep Purple beginnen ihren Auftritt stattdessen mit dem eher öden „Time for Bedlam“ vom aktuellen Album „inFinite“. Doch als man gerade dachte, dass die als „The Long Goodbye“ bezeichnete Abschiedstour besser nicht in Verlängerung gehen sollte, beweisen die Hardrock-Heroen, dass sie es noch können. Steve Morse, der seit den frühen 1990ern zur Band gehört, ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben, aber auch Bassist Roger Glover (71) – natürlich mit (Batik-)Kopftuch– sowie Drummer und letztes verbliebenes Gründungsmitglied Ian Paice (68) – im Tank Top seines Endorsement-Partners Pearl – zeigen ihre enormen Fähigkeiten in der Rhythmussektion.
Nur mit dem Nachfolger des 2012 verstorbenen Keyboarders Jon Lord, Don Airey (68), kann ich mich nicht anfreunden. Wo Morses Soli seinem hohen Können zum Trotz immer dem Deep Purple-Sound zuarbeiten, hüllt Airey die Bühne in erstarrte Virtuosität, was besonders deutlich wird, als ihm die Band gegen Ende des Konzerts Raum für ein ausschweifendes Solo bietet: „Just because he’s worth it“, kündigt der optisch wie habituell wunderbar unprätentiöse Gillan an – und wer möchte, kann darin ein vergiftetes Lob sehen. Denn Airey genügen wenige Minuten, um ein Konzert, das mit Songs wie „Strange Kind of Woman“ und dem „Machine Head“-Klassiker „Lazy“ – Gillans schwächer werdender Stimme ungeachtet – noch richtig gut zu werden versprach, in einem Meer aus Synthieflächen und nervigen Orgeltonleitern zu versenken. Dass die generell häufigen Solopassagen Gillan Zeit geben, die Bühne zu verlassen und die Stimme ein wenig zu regenerieren, ist freilich verständlich. Doch als Airey „Auf der Schwäbschen Eisenbahn“ einflicht, bin ich ratlos. Das Publikum ist aus dem Häuschen, klatscht eifrig mit und die Band findet das sicher lustig. Und ja, es ist eine nette Geste sein Wissen über den Auftrittsort zu verraten, aber letztlich unnötig. Fotograf Micha schaut mich fassungslos an. Er will sterben. Gleichzeitig überlege ich, ob wir nicht einfach humorlose Dauernörgler sind.
Danach vermögen uns jedenfalls auch der sich bei Led Zeppelins „Kashmir“ bedienende Hit „Perfect Strangers“ und der prägende Hardrock-Song „Space Truckin’“ nicht mehr gänzlich mit dem Auftritt zu versöhnen, auch wenn nach dem berühmtesten Riff der Rockgeschichte und „Smoke on the Water“, das unzerstörbar und wahrlich besser ist als sein Ruf, das reguläre Set schon vorbei ist.
Die Zugaben, das wunderbare Cover „Hush“ mit verspieltem „Peter Gunn“-Intro und der Evergreen „Black Night“, sind dann zum Glück aber richtig gut. Gillan bedankt sich herzlich, womöglich zum letzten Mal – so würde der Band fraglos ein Abschied in Würde noch gelingen. Vor der Halle jedenfalls hört man euphorische Stimmen.
Wenig später finden wir uns im „Schlampazius“ im Stuttgarter Osten ein, es läuft ein Deep Purple-Live-Album aus den frühen 1970ern und Ramon, der herzlichste Wirt der Stadt, singt mitunter gedankenverloren mit, während sich Gillans Gesang entfesselt mit Ritchie Blackmores Gitarre duelliert und das Problem des zurückliegenden Konzert offenbar: Zwischen den packenden, psychedelisch angehauchten Hardrock-Meilensteinen der frühen Jahre und dem – handwerklich soliden – Altherren-Hardrock, den wir gerade in der Schleyerhalle erlebten, liegen Welten.
Monster Truck
Deep Purple
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