ELECTRIC CALLBOY, BLIND CHANNEL, ONE MORNING LEFT, 16.05.2022, MHP Arena, Ludwigsburg

ELECTRIC CALLBOY, 16.05.2022, MHP Arena, Ludwigsburg

Foto: Madita Nair

Blendet man die eindeutig dem Metal zugewandten Menschen vor der MHP-Arena aus, so könnte der Eindruck entstehen, dass hier nichts weiter „unnormales“ in Zeiten einer Pandemie passiert. Menschen mit VoKuHiLa, Porno-Schnützer und augenkrebs-förderlichen Trainingsanzügen. Wir haben uns doch alle ein wenig gehen lassen in den letzten zwei Jahren. Sei es modisch, hygienisch oder sozial.

Wenn nichts mehr der vergangenen Norm zu entsprechen vermag, ist es auch ok, wenn man an einem Montagabend zu einem Konzert/einer Party geht, bei der man ansonsten mindestens zwei weitere Tage für die Ausnüchterung und Katerbewältigung einplanen muss.

Ich erwähne es nun einmal zu Beginn für alle, die nicht in der Materie drinstecken. Es musizieren heute die ehemals als „Eskimo Callboy“ berüchtigte Band „Electric Callboy“. Warum eine Änderung des Bandnamens für die Band selbst sehr wichtig war, erfahrt ihr hier.

Im Stress, noch einen Parkplatz zu ergattern und unfreundlichen Security-Angestellten nicht den mittig angeordneten Finger zu zeigen, eilen wir in die „beinahe“ ausverkaufte MHP Arena. Man hat es sich kaum bequem gemacht, da gehen auch schon die Lichter aus. Vorweg darf ich schon verraten, dass heute alle aufspielenden Bands mit zwei Sängern ausgestattet sind – Einer für das Harte, der andere für das Zarte.

ELECTRIC CALLBOY, 16.05.2022, MHP Arena, Ludwigsburg

Foto: Madita Nair

Vor dem überdimensionalen Banner eines Faultiers in angemessener Corpse-Paint Trve Black Metal-Montur starten heute Abend die sympathischen Finnen One Morning Left. Und sie fangen genau damit an, was sich durch den Rest des Abends ziehen soll.

Spaß. Freiheit. Genuss.

„Ruby Dragon“. Das stimmt genau auf das ein, was uns den weiteren Abend erwarten wird. Ein bisschen Metalcore hier, etwas Screamo dort… heraus kommt Trancecore. Ich kenne mich in diesen Gefilden nicht wirklich aus, doch gefällt es mir, weil es Spaß macht zu hören und mit anzusehen und mitzuerleben wie euphorisch die Menschen darauf reagieren. Ich habe es bei Mayhem schon erwähnt, dass solche Konzerte für mich lange her sind – Doch heute Abend ist tatsächlich alles wieder zum ersten Mal so, wie vor Corona.

Nach jedem Song wird nochmals ein Soundcheck durchgeführt, ob die Menschen auch richtig eingestellt sind auf diesen Abend. Der Reaktion nach definitiv ja, mit einem Hauch zur Übersteuerung. Dem „Shake your sexy Arses“ wird zwar noch größtenteils mit einem Kopfnicken folge geleistet, doch die Atmosphäre beinhaltet eindeutig die Mission Abriss.

Mit „Beat it“ von King Michael Jackson in Metalcore-Gewand ist dann endgültig die letzte Hemmschwelle überwunden und dieser erste Akt des Abends endet in einer amtlichen, enthemmenden Wall Of Death. So darf es bitte weitergehen. Um nicht eine Sekunde der Langeweile aufkommen zu lassen, bietet uns Schlagzeuger Niko Hyttinen eine sexy Dance-Einlage, die die Umbaupause zu verkürzt.

Für die zweite Band des Abends möchte ich aus gegebenem Anlass eine Information vorweg einstreuen, die uns erst beim letzten Song „Dark Side“ bewusst wurde. Mit Blind Channel haben wir den Vertreter Finnlands 2021 des Eurovision Song Contests zu Gast, die es mit genanntem Titel auf Platz 6 geschafft haben. Besprechen wir die deutsche Teilnahme etwas später.

ELECTRIC CALLBOY, 16.05.2022, MHP Arena, Ludwigsburg

Foto: Madita Nair

Blind Channel gehen das Ganze etwas softer, doch nicht minder eingängiger an. Eine Mischung aus wirklich anspruchsvollem Gesang und harten Metalcore Elementen wird uns hier geboten. „We are no Saints“ ist hier als wohlwollendes Beispiel anzuführen. Man findet auch teilweise Anleihen des Hip Hops, was anschließend tatsächlich in ein beeindruckendes Cover von Eminems „Lose Yourself“ mündet. Auch Blind Channel wissen mit dem Publikum umzugehen und so führt das nächste Cover von Anastacias „Left Outside Alone“ zwar nicht zu einer ausufernden Wall Of Death, doch einem langsam, sich windenden Malstrom von einem Circle Pit. Es ist wirklich erwärmend, zu sehen, wie Menschen wieder gemeinsam Musik feiern, sich in den Armen liegen und die Emotionen in solchen Momenten ausbrechen. Und mit „Dark Side“ als abschließendem Arschtritt, wird mit erhobenem Mittelfinger den Sorgen des Alltags die Gegenwehr präsentiert.

Der Soundtrack der Umbaupause für Electric Callboy ist gefüllt mit Songs, die allein schon für eine legendäre Party mit Filmriss reichen. „Kickstart My Heart“ von Mötley Crüe wird vorsichtshalber gleich zweimal gespielt. Natürlich dürfen auch Bon Jovi mit „It’s My Life“ und Queen’s „Don’t Stop Me Now“ in dieser Hangover-Setlist nicht fehlen. Vor der Bühne wird ein Vorhang mit XXL-Bandfoto herabgelassen. Schnützer. Vokuhila. Trainingsanzug und eingestopfte Socken.

In den Augen mancher ist das nicht repräsentativ für Deutschland. Auch die Musik kann man doch nicht im Radio anhören. Sonst hätten wir am Samstagabend nicht die gewohnte, belanglose, seichte Pop-Ballade gehört, sondern „Pump it“ in Trainigsanzug und Vokuhila. Wäre Deutschland dennoch letzter geworden, so zumindest mit Stil und einem Augenzwinkern. Aber Leberwurst.

ELECTRIC CALLBOY, 16.05.2022, MHP Arena, Ludwigsburg

Foto: Madita Nair

Und mit genau diesem Pump It startet unser „Beinahe“-Vertreter. Ich habe Electric Callboy einmal aus dem Augenwinkel beim Summerbreeze erlebt. Ich stand vor einer anderen Bühne, habe mir eine Black Metal Band angesehen und dachte „Fuck“, was ist dort für eine Party. Das ist sicherlich mehrere Jahre her und heute schaffe ich es endlich mal. Ich kenne also keine Auftritte mit dem ehemaligen Frontmann Sushi, noch weiß ich, was mich da live erwartet. Doch schon während des ersten Songs wird mir klar, dass das zwar musikalisch nichts Innovatives werden wird, doch in Sachen Unterhaltung werde ich noch lange, gerne daran zurückdenken.

Eine konkrete Verbindung zu Electric Callboy habe ich als jahrelanger Betrachter von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“, bei welchem Schlagzeuger David Friedrich teilnahm und einen stolzen vierten Platz erreichte! Auch den bewanderten Bachelorette-Zuschauern sollte er kein Unbekannter sein.

Doch zurück zur Musik. Jeder Song ist seine eigene Party. Jeder Song bedeutet heute Abend Spaß und Freiheit. Ich möchte gar nicht weiter auf einzelne Elemente eingehen, sondern viel mehr schildern, dass an diesem Abend für mich der Spaß an Live-Konzerten zurückgekommen ist. Wir dürfen weitere Wall Of Deaths’erleben, Circle Pits, „springt 8 Schritte nach links und 8 Schritte nach rechts“, Pyro, Konfetti, Crowdsurfing, Laola-Wellen und jede Menge weiterer Spaß.

ELECTRIC CALLBOY, 16.05.2022, MHP Arena, Ludwigsburg

Foto: Madita Nair

Heute scheint die Sonne nur für mich!
Sie mag mich
Meine Augen sind rot und glasig
Ich sitz‘ im Park und mach die Arbeit eines Habichts – gar nichts

„Best Day“. Das wäre natürlich zu viel des Guten verlangt gewesen, wäre auch noch Sido auf der Bühne erschienen. Zwischen all den Stürmen der Gefühle gewähren uns Electric Callboy mit „Prism“ einen kleinen Moment des Verschnaufens, bevor mit dem anschließenden „Spaceman“ wieder das Gaspedal auf Anschlag durchgedrückt wird.

Ich habe mir vor dem Konzert ein paar Videos angesehen und mit dem anschließenden „We Got The Moves“ stieg meine Vorfreude noch weiter an und als sie an diesem Abend auch noch alle mit den unangenehm, dämlichen, selben Perücken auf der Bühne standen, saß ich nur noch mit breitem Grinsen auf meinem Platz und habe genossen.

„Hypa Hypa“ rundet diesen Abend perfekt ab. Wir haben alles erlebt, was wir vermisst haben. Emotionen. Spaß. Geile Musik und beste Unterhaltung. Glückliche Menschen, betrunkene Menschen, die versuchen im Takt zu tanzen. Gestresste Securities wegen der ganzen Crowdsurfer. Teures Bier und noch teureres Merch, das man sich am Ende trotzdem kauft.

Vielen Dank, Electric Callboy.
Achja:

Es versteht mich eh kein Schwanz deswegen kann ich sagen was ich will.

ELECTRIC CALLBOY

BLIND CHANNEL

ONE MORNING LEFT

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