ISOLATION BERLIN, KAUFMANN FRUST, 09.04.2016, Goldmark’s, Stuttgart
Es gibt Tage, an denen man sich gerne teilen würde, um all den interessanten Konzerten gleichzeitig beiwohnen zu können. Die untere Hälfte hätte ich gerne ins Esslinger Komma zu XTR Human, Karies und Motorama geschickt, um spätestens bei den Letztgenannten mit seligem Lächeln zu schwofen. So fiel die Entscheidung im Gegensatz zur Mehrheit der gig-blog-Kollegen auf die bisher noch nicht erlebte Formation Isolation Berlin, die im ausverkauften Goldmark’s aufspielte. Allein der Name ist dabei schon interessant: Ist die Schmach, den ersten Platz in der bundesweiten Relevanz-Rangfolge in Sachen Gitarren-Musik seit zwei Jahren an Stuttgart, respektive Esslingen, abgegeben zu haben so groß, dass man sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als den Namen der Millionen-Stadt in den Bandnamen zu integrieren?
Der Städtevergleich liegt am Samstagabend zugegebenermaßen auch aufgrund der Vorband in der Luft: „Kaufmann Frust“ bereiten die Bühne für das Berliner Quartett und das in noch überzeugenderer Manier als bei den ersten beiden Gigs, bei denen ich sie erleben konnte. Es ist einiges des inzwischen schon als typisch geltenden Stuttgarter Sounds zu vernehmen und die Vier legen ein teils ordentlich krachendes Set auf die Bretter. Die Melancholie ist dabei ein immer wiederkehrendes Gefühl und wird durch einer guten Mischung aus noise-artigen und sphärischen Gitarrensounds sowie einen für die Atmosphäre passenden, am Ende gar dreistimmigen Gesang (der in Reihe zwei leider nicht genügend zur Geltung kam) auf das Beste bedient. Neben den beiden auf „Hinter den Fenstern“ schon veröffentlichten Songs „Schweigeminuten“ und „Felsenkeller“ werden zum Teil neue Songs präsentiert, die absolut hörenswert sind. Das aufmerksame Publikum jedenfalls ist völlig zu Recht angetan und wird hoffentlich reichlich das Release-Konzert des neuen Albums am 13. Mai im Laboratorium besuchen.
Isolation Berlin haben anlässlich der Veröffentlichung gleich zweier Alben („Und aus den Wolkentropft die Zeit“ und „Berliner Schule/Protopop“) im Februar einen kleinen Hype in den Redaktionsstuben der Republik ausgelöst. Okay, vor allem in jenen in Berlin. Im Rückblick wirkt dieser allerdings fast wie ein Warmup für die eine Spur größer ausgefallene Aufregung hinsichtlich AnnenMayKantereit. Die Frage nach dem Grund für die Unterschiedlichkeit könnte man breit diskutieren. Ich mache es mir einfach und schiebe es – ohne Wertung – auf die höhere Massenkompatibilität des knuffigen Reibeisen-Quartetts.
Das Quartett verwertet zwar auch die üblichen Themen wie Beziehungsende und den daraus entstehenden Frust für ihre Songs, die vom Sänger Tobias Bamborschke geschrieben werden, versehen diese zusätzlich aber noch mit einer musikalischen und gesanglichen Schnoddrigkeit, welche der Melancholie ab und an den Mittelfinger entgegenstreckt. Diese Haltung vermitteln sie auch mit ihrem Auftreten: Sänger Bamborschke und Gitarrist/Organist Max Bauer wirken mit ihren Mützen wie die Idealbesetzung für einen Berlin-Film über die 20er, ergänzt durch den Bassisten David Specht, der direkt der Berliner U8 entstiegen sein könnte und de unermüdlichen Drummer Simeon Cöster.
Dem nahe liegenden Opener „Produkt“, einer kleinen Hymne über den Wunsch geliebt zu werden, folgt mit „Annabelle“ einer der eingängigsten Songs der Band. Eine nonchalante, luftige Gitarre, ein Beat, der etwas an die Hamburger Schule und der Gesang, der ein wenig an Bands der Neuen Deutschen Welle erinnert. Und mit den Assoziationen geht es munter weiter: Hier ein wenig Wanda (nicht nur aufgrund der Lederjacke des Frontmanns), dort Spuren von The Cure. Mal tanzbar, dann sogar für eine kleine Pogo-Einlage gut, bei „Ich küss dich“ dann viel Verzweiflung in der Stimme und Post-Punk-, bei „Prinzessin Borderline“ New-Wave-Elemente. Ein bunter Mix aus Stilelementen wird da präsentiert, was immer schnell den Verdacht der Beliebigkeit hervorruft. Dieser ist im Fall von Isolation Berlin allerdings kaum haltbar, denn erstens kann man die Songs des Abends auch sehr gut ohne diese ständigen Assoziationen und Vergleiche hören und wird bestens unterhalten. Es bleiben Zitate und somit entsteht keine billige Copy-Paste-Masche. Demzufolge ist es eher die positive Variante der Beliebigkeit, nämlich Vielseitigkeit. Sie legen sich auf keinen der Stile und Sounds fest und sind dadurch – ob gewollt oder nicht – ein ideales Spiegelbild der Stadt, die sie offenbar bis hin zur Namensgebung beeinflusst.
P.S.: An einem Heimspieltag des VfB gegen Bayern München die letzte Ansage in einem zwar süddeutschen, aber eben bayerischen Slang zu formulieren, wird zwangsläufig mit Unmut quittiert.