RUN ON SENTENCE, 08.04.2016, InDieWohnzimmer, Stuttgart
Manchmal befallen mich ja leise Zweifel. Sind Wohnzimmerkonzerte vielleicht schädlich? Nimmt man den kleinen Veranstaltern, die mit ihrem harten Job einerseits für die kulturelle Vielfalt sorgen und andererseits kaum das Geld zum Leben verdienen, nicht Publikum und Künstler weg? Wenn ich mir die letzten Wohnzimmerkonzerte anschaue, bin ich aber beruhigt: die Indie-Postpunker Desparate Journalist hätte man – da hier noch nicht ausreichend bekannt – bestenfalls in einen ganz kleinen Club buchen können (aber sicher nicht an einem Sonntagabend), das zauselige amerikanische Duo Run On Sentence, das wir heute an altbekannter Stelle in Feuerbach sehen, hätte so schnell keinen Veranstalter in Stuttgart gefunden. Allzu sehr sitzen Dustin Hamman und Dan Galucki zwischen allen stilistischen Stühlen.
Gypsy-Acoustic-Folk-Gospel-Pop oder Indie-Soul-Folk nennen die beiden kauzigen Herren aus Portland ihr musikalisches Gebräu. Und es ist sicher nur mit dem unerschütterlichen Vertrauen in Gastgeberin Claudias Musikgeschmack zu erklären, dass sich trotzdem gut vierzig Zuschauer eingefunden haben. Das ist übrigens wohl einer der größten Unterschiede zum öffentlich veranstalteten Club-Gig: eine Einladung an die gut gepflegte Liste eingeschworener und aufgeschlossener Musikliebhaber reicht aus, um aus dem Stand ein ausreichend großes Publikum zusammenzubekommen. Zum guten Teil übrigens Leute, die sonst überhaupt nicht auf Konzerte gehen.
Das Setup aus einer Akustikgitarre und einem kleinen Schlagzeug gibt noch keinen Hinweis auf die zu erwartende Musik. Vermutlich sind die meisten auf Singer-Songwriter-Folk mit etwas mehr Rhythmus eingestellt. Als dann aber Dustin Hamman, der wie eine Mischung aus Kris Kristofferson und Jeff Bridges in jung daherkommt, in die Saiten greift und den Mund aufmacht, klappt den meisten Zuschauern erstmal die Kinnlade runter. Das ist nicht nur erstaunlich dynamisch und breitwandig, das geht vor allem sofort als das lauteste Wohnzimmerkonzert in die Annalen ein.
Die irgendwo geäußerte Einordung „Hamman plays folk music that is as much Gogol Bordello as it is Billy Bragg“ ist schonmal nicht schlecht, beide der zitierten haben aber die nicht die mächtige soulige Gesangsstimme von Hamman. Und dazu gesellt sich, zum Beispiel im Wüstensong „Sparkle“, noch der Eindruck eines breitwandigen Americana-Sounds à la Calexico. Vor allem als Hamman zu seinem dynamischen Gitarrenspiel noch eine mariachi-mäßige Trompete packt. Natürlich kann kein Mensch gleichzeitig Trompete und Gitarre spielen, Hamman imitiert vielmehr mit den Lippen das Geräusch einer Trompete. Und zwar so täuschend echt, dass ich im ersten Moment glaube, das Blasinstrument würde von irgendwo aus der Konserve eingespielt. Das Publikum ist begeistert über das Kabinettstückchen. Die Stimmung steigt.
Aus einer Setliste mit circa fünfzig Titel suchen die beiden Musiker immer spontan das nächste Stück aus. Von ihrem aktuellen Album „Feelings“ spielen sie nicht nur den Opener „Albion“ sondern auch gegen Ende des Sets das wunderbare Titelstück. Hamman entlockt dabei seiner kleinen Wandergitarre mit seinem kraftvollen Spiel (und der Bedienung der Effketgeräte mit dem großen Zeh) nicht nur einen beeindruckenden Rock-Sound, sondern schreddelt sich im Laufe des Abends tatsächlich durch die schon hauchdünne Holzdecke des malträtierten Instruments, so dass am Ende des Gigs ein deutliches Loch sichtbar wird. Was ihn zu dem lakonischen Kommentar bringt, nun befinde er sich endlich in der gleichen Liga wie Willie Nelson.
Weitere Highlights sind ein Song mit einem uramerikanischem Country-Yodeling, das aber bei ihren Auftritten in der Schweiz immer sehr gut ankomme und die urige Sauf-Ballade „Stoned, Drunk and Blind“, die das gesamte Publikum lautstark und durchaus wohlklingend mitsingt. (Kleiner Hinweis an zukünftige Wohnzimmer-Musiker: mit Singalongs könnt ihr hier immer punkten. Ein gesangswütigeres Publikum werdet ihr kaum woanders finden.) Mit dem besagten wunderbaren „Feelings“ endet das Set und in der Zugabe darf Schlagzeuger Dan Galucki ans Mikrophon und gibt einen Achtziger Hiphop-Klassiker zum besten, der das Publikum dann sogar noch zum Tanzen bewegt. Fazit: die Portland-Connection, die nach Lost Lander, Zoe Boekbinder und Nick Jaina mit Run On Sentence wieder zwei großartige Musiker ins InDieWohnzimmer gebracht hat, muss unbedingt weiter gepflegt werden.
Das hier war übrigens der „Hip-Hop-Klassiker“ aus der Zugabe, aus dem Jahr 1989: https://vimeo.com/31661360