ODD HUGO, 20.06.2015, InDieWohnzimmer, Stuttgart
Terviseks!
„Healthy sex!“, das sei die wörtliche Übersetzung des estländischen „Prost“. Ich bin mir nicht sicher, ob uns Rauno Vaher, Drummer und Manager von Odd Hugo, mit dieser Erklärung auf den Arm nimmt. Hilfreich ist es aber auf jeden Fall, das zentrale Wort der Völkerverständigung auch in dieser Sprache zu kennen. Und Gründe anzustoßen gibt es nach dem fulminanten Gig des estnischen Quintetts auf jeden Fall. Denn dieser Gig ist mal wieder einer dieser Glücksmomente, die man nur im Rahmen eines Wohnzimmerkonzerts erleben kann.
Welcher Veranstalter, der davon leben will, kann es sich leisten, eine unbekannte Band mit dem Label „Epic Folk aus Estland“ zu buchen? Da braucht es schon enthusiastische Privatveranstalter, die nicht nur nix damit verdienen, sondern auch Nebenkosten reduzieren können, indem sie die Band bei sich zu Hause einquartieren. Und zudem auf einen zuverlässigen Freundeskreis zählen können, der selbst zu skurrilsten Gigs anrutscht und immer großzügig für die Künstler spendet. Und wenn man dann – eventuell auch durch ein bisschen Gigblog-Berichterstattung – der Band ein bisschen mehr Bekanntheit verschafft, dann wird damit ja vielleicht sogar der Boden bereitet für einen echten Club-Gig.
Zwei Tage hat die Fahrt aus dem heimischen Tartu via Lettland, Litauen, Polen und Berlin zu ihrem Tour-Start in Stuttgart-Feuerbach gedauert. Und eine gewisse Müdigkeit ist der Combo um die beiden Frontmänner Rando Kruus und Oliver Vare anfangs auch anzumerken (oder ist es baltische Gelassenheit?). Aber schon nach wenigen Takten wird klar: Diese Band könnte vermutlich noch im Halbschlaf ein perfektes Set abliefern. Hier haben wir es mit absoluten Könnern zu tun, ausgebildete Musiker eben. Sparsam gesetzte Gitarren- und Ukulele-Melodien, begleitet von zweistimmigem Harmoniegesang – vermutlich keiner im Raum, der nicht nach wenigen Minuten eine Gänsehaut hat. Spätestens wenn die butterweich gepielte Posaune von Sten Valdmaa und das Flügelhorn von Aigor Post einsetzen, dürfte es auch um den letzten geschehen sein. Die selbst gegebene Einordnung „Epic Folk“ oder auch „Baroque Pop“ trifft es jedenfalls ganz gut.
Aber ich glaube, im Lauf des Abends auch durchaus Elemente aus Blues oder gar Jazz zu finden. Eine schöne Murder Ballad ist auch dabei. Die Vergleiche mit Andrew Bird, Beirut oder gar ihren Landsleuten Ewert and the Two Dragons kann ich nur zum Teil nachvollziehen, ich versteige mich mal zu der Behauptung, dass Odd Hugo einen komplett eigenständigen Sound haben. Und vor allem: Fast jeder Titel beinhaltet mindestens einen rhythmischen oder harmonischen Break, der gerne mal ins Bombastische geht. Da wird es durchaus auch mal richtig laut und eckig. Und eine Schreibmaschine als Live-Musikinstrument haben wir bisher auch noch nicht gesehen („I Have A Story“).
Und wir stellen mal wieder fest: Was die Damen vom Stuttgarter InDieWohnzimmer buchen, das muss man sich anschauen. Sei es noch so skurril und unbekannt. Und seine Fremdsprachen-Kenntnisse kann man bei diesen Events auch noch erweitern.
Terviseks!