JESPER MUNK, 23.04.2015, clubCANN, Stuttgart
Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein. Als greiser Musiknerd hat man ja seine mannigfaltigen Wege, wie man auf interessante Musik stößt. Bestimmte Blogs, geschmackssichere Freunde, und auf keinem dieser Wege ist mir jemals dieser Jesper Munk untergekommen. Die Konzertplakate samt Namen sahen für mich auch eher nach so einem Oberstufengymnasiasten aus, der Formatmusik für Formatmedien macht. Jetzt, warum also doch hier? Weil beim sinnlosen TV-Zappen auf einem Livemitschnitt hängengeblieben, in welchem besagter Jüngling so eine herzerfrischende, rotzige Bluesrockgitarre zu spielen pflegte, dass ich mich spontan entschloss hierher zu kommen.
Ausverkauft ist der clubCANN, eindeutiges Zeichen, dass wieder mal der eigene Finger an einem ganz anderen popmusikalischen Puls rumtastet. Punkt 20 Uhr spielt schon die Vorband Nick & The Roundabouts. Zwei Leute mit Akustikgitarren, die oft zweistimmig poppigen Folk, oder Alternative Country wie es anderswo heißt, spielen.
Und jetzt wird’s unangenehm für mich, denn ich hasse es schlecht über das musikalische Werk, zumal junger Leute, die durch ihre Musik (noch) nicht zu Millionen gekommen sind, zu schreiben. Aber das hier trifft leider gar nicht meinen Geschmack. Es klingt für mich nach in jeder Note unüberraschender Radiomusik, 100% gefällig, wirklich nix dabei, was mich auch nur ansatzweise ansprechen könnte. Selbst Banjo oder Mundharmonika, die zum Einsatz kommen, sorgen für keinerlei positiven Moment bei mir. Da stört es mich sogar nicht einmal, dass das Publikum wie wild durcheinander plappert.
„Unsere aktuelle Single läuft im Radio“, bekommen wir in einer Ansage mitgeteilt. Die deutsche Radiolandschaft kennend, verheißt allein der Satz schon nix Gutes. Aber der Vortrag gefällt dem Publikum, und ich halt jetzt lieber den Rand, weil: ist ja eh alles Geschmackssache, und die wirklichen Probleme sind auch andere auf dieser Welt. Und handwerklich musikalisch gab’s auch nix zu meckern.
Die Pause zum Beginn von Jesper Munks Set ist erstaunlich lang, wenn man bedenkt, dass die Vorband ja eigentlich so gut wie nix auf der Bühne stehen hatte. Aber egal, um 21 Uhr kommt die Band auf die Bühne, und ja, das spricht mich Gottseidank gleich an. Die vier Leute spielen, bei bestem Sound wohlgemerkt, sehr organisch klingenden, rauen Bluesrock, der auch mal den Soul streift. Jespers Stimme und Gitarrenspiel wollen so gar nicht zu dem Aussehen des jungen Herren passen, den man sich eher als Bravo-Posterboy vorstellen kann.
Jesper benutzt zwei Mikros für seine sehr raue Stimme, wobei das eine für einen leicht verzerrten, dämpfenden Effekt sorgt. Bei den Riffs fühlt man sich teilweise etwas an Hendrix oder Alvin Lee erinnert, wobei das vierte Stück „Morning Coffee“ eine fast schon Amy Winehouse artige Retrosoul-Ballade ist. Sehr fein das alles, die Band klingt frisch, die Musik hat Wärme und Dynamik. Erstaunlich, wie man ein so eigentlich als Altherrenmusik verschrieenes Genre wie Bluesrock, so erfrischend und mitreißend neuinterpretieren kann.
Ein Grund dafür ist auch die relativ große stilistische Spannbreite, die Jesper innerhalb des Genres sich erlaubt. Passagen oder Songs mit jazzigeren Akkorden können da genauso dabei sein wie leichtere Songs, mit fast schon poppigen Refrains, sowie ganz klassisch anmutende Blues-Shuffles. Wenn das hier im Mainstream angekommen ist, dann ist das eben einer der Fälle, in denen der Massengeschmack ausnahmsweise mal zeigt, dass er nicht automatisch ein dummer Hund sein muss. Eine von null auf hundert sich steigernde Gitarrensolopassage, die für Begeisterung auch bei mir sorgt, unterstreicht gerade diesen versnobbten Gedanken.
Und jetzt stört mich das Dauergequatsche einiger Leute doch. Eindeutiges Zeichen dafür, dass mich die Musik fesselt. Ach, und kurzer off-topic Einwurf an die lieben Pegida-Spinner, Deutschlandalternativen und Bildungsplangegner: in dieser für euch so verwirrenden, neuen Welt, ist es durchaus möglich, sich genauso über das dauerplappernde Schwulenpärchen, wie über die laut tratschenden Heteros aufzuregen, so wie ich das gerade tue. Die Gedankenpolizei und Luxusbehandlungen für Minderheiten existieren nur in euren lustigen Schädelchen.
Aber die Konzertschwätzer ausgeblendet, macht das Konzert von Anfang bis Ende einfach sehr viel Spaß. Die Leute sind berechtigterweise begeistert, und bekommen mit über 90 Minuten auch viel Musik zu hören, da die allermeisten Stücke auch recht kurz sind. Die Dämpfer für die gute Laune gibt es erst nach dem Konzert. Erst meint Fotograf Steve, das Ganze sei ein doch recht eindeutiger Johnny Lang Abklatsch, nur dass der aber gut Gitarre spielen könne. Und für unruhige Träume sorgt dann noch die unterbewusste Verarbeitung der Heimfahrt, die mit „Atemlos“ Gesängen der Wasen-Trachten-Bagage einen wieder sauber in die Realität zurückholt.