DIE! DIE! DIE!, SOVIET SOVIET, 20.05.2014, Komma, Esslingen
Habe ich eigentlich schonmal meine geheime Formel für gelungene Gigs verraten? Geht so: „wenn Anzahl der Bandmitglieder = 3 & Besetzung = Gitarre, Bass, Schlagzeug, dann zu erwartende Konzertqualität größergleich 90%.“ Ganz einfach und funktioniert immer. Die Nerven, The Movement, Joy Formidable, Peter Parker’s Rock ’n‘ Roll Club, Wolf Mountain, … Habe ich in einem Langzeitversuch empirisch ermittelt und will erstmal widerlegt sein. So viel vorab.
Wenn dann an einem Abend gleich zwei Trios gebucht sind, kann eigentlich nichts schiefgehen. Vor allem dann nicht, wenn beide dem Genre Postpunk zugeordnet werden können und bekannt dafür sind, das Maximale aus dieser Minimalbesetzung rausholen. Erfreulich, dass das – trotz plötzlichen Sommereinbruchs und Dienstagabend – nach anfangs zögerlichem Zulauf, dann doch gut sechzig Leute im Komma sehen und hören wollen.
Soviet Soviet eröffnen den Abend. Andrea Giometti (voc, bass), Alessandro Constantini (voc, git) und Alessandro Ferri (drums) und kommen aus Pesaro und haben ihre Wurzeln tief in den Achtzigern. Allein der Vox Phantom Bass mit der markanten Bauform von Ian Curtis‘ Gitarre gibt die musikalische Richtung an, ohne dass ein Ton gespielt wäre. Und schon nach wenigen Takten stellt Giometti einige Musiker-Klischees auf den Kopf. Singende Basser gibt es ja hin und wieder, singende und tanzende habe ich aber bisher selten gesehen. Und „Tanzen“ beschreibt seinen furiosen Auftritt nur unzureichend. Wie ein Rumpelstilzchen mit Ballettausbildung schleudert er seinen Bass um sich, und zwar derart, dass man um Bühnenaufbauten und Mitmusiker fürchten muss.
Aber auch musikalisch sind Soviet Soviet beeindruckend – und mit einer ordentlichen Portion Wave und Retro-Touch. Ferri bearbeitet das Schlagzeug in infernalischem Tempo und Constantini legt in klassischer Shoegazer-Pose sparsame Gitarrenriffs auf Gimoettis Bass-Trommelfeuer. Stimmlich erinnert Giometti – wenn auch mächtig verhallt – ein wenig an Brian Molko. Das Set umfasst zehn Titel, größtenteils vom aktuellen Album „Fate“, und wird heftig beklatscht. Ein toller Auftritt und weiterer Beweis meiner Drei-Mann-These.
Wenn man die Zahl der Facebook-Follower als Maßstab für den Bekanntheitsgrad nimmt, ist Soviet Soviet übrigens die deutlich relevantere Band. Insofern ist die Reihenfolge der Auftritte an diesem Abend eigentlich verkehrt. Dafür haben Die! Die! Die! allerdings eine erheblich weitere Anreise hinter sich. Aus Neuseeland kommt das Trio, und ich muss mir eingestehen, dass mir die dortige Musikszene doch weitgehend unbekannt ist. Außer Fat Freddy’s Drop, dem One-Hit-Wonder OMC und den Reggae-Brüdern The Black Seeds fällt mir da nicht viel ein. Aber diese kleine Liste lässt schon erkennen: Das ist alles leicht und wohlklingend und passt zu diesem idyllischen und immergrünen Inselstaat. Oder zumindest zu dem Klischee, das wir hier pflegen. Nun kommen Die! Die! Die! allerdings aus dem südlichen Dunedin, und dies kann zumindest wetter- und wohl auch stimmungsmäßig mit der gleichlautenden Stadt in Schottland mithalten. Also doch ein Umfeld, in dem düsterer Postpunk glaubhaft entstehen kann.
Andrew Wilson (vocals/guitar), Michael Logie (bass) und Michael Prain (drums) stellen jedenfalls die klassischen Rollen wieder her. Der Gitarrist und Sänger ist an der Front, der Bass agiert unauffällig am Rand. Und Wilson will es wissen: so harmlos er optisch daherkommt, so intensiv ist sein Kontakt zum Publikum. Schon beim ersten Song springt er von der Bühne und rempelt sich durch die Reihen. Und ich muss zugeben: die Band überrascht mich sehr. Hatte ich doch eher den etwas gefälligeren, manchmal an Bloc Party erinnernden Sound ihres aktuellen Albums „Harmony“ erwartet, besinnen sie sich die Kiwis live doch eher ihres Frühwerks im Hardcore-Stil.
Und das ist für einen Ungeübten in diesem Genre eine heftige Packung. Nicht nur, dass die drei in Sachen Intensität die zuvor spielenden Italiener locker in den Schatten stellen, es ist schlicht infernalisch laut und Wilsons schneidende Kopfstimme ist, sagen wir mal, nicht immer nur angenehm. Das zweite Mal in vielen hundert Konzerten, dass ich dankbar zu den angebotenen Ohrstöpseln greife. Der Rest des Publikums – bis auf ein paar, die wohl eher der Italiener wegen hier waren und den Saal verlassen haben – scheint jedenfalls genau diese Art von Musik erwartet zu haben und lässt sich auch gerne in Bewegung bringen. Wilson hat inzwischen sein Mikro in die Saalmitte gestellt und spielt dort die Zugabe.
Wem es hier gefallen hat und all diejenigen, die dieses formidable Konzert verpasst haben, können sich auf einen Gig ähnlichen Kalibers freuen. Schon am 11. Juni geht’s in dieser Richtung weiter: dann spielen die dänischen Punk-Newcomer Lower im Komma.
Du hast vergessen, die spektakuläre Beinbekleidung von Andrea Giometti zu erwähnen… :)
Erwähnenswert wird’s erst, wenn du so einen Stretch-Schlauch trägst, Holger D. ;)