GÖTZ ALSMANN, 19.05.2011, Theaterhaus, Stuttgart
Natürlich muss ich an dieser Stelle auf Max Raabe verweisen, nachdem ich nach seinem Konzert Parallelen zu Götz Alsmann gezogen hatte – nicht wissend, dass ich wenige Zeit später tatsächlich nach langer Zeit wieder mal einen Abend mit Alsmann besuche würde.
„Abend“ und nicht „Konzert“ deshalb, weil es eben kein „Konzert“ im engeren Sinn war, sondern eine Mischung aus Lesung und Konzert. Und da ich nach Bauer, Rohleder, Stuckrad-Barre, Strunk und Regener auf den Geschmack von Lesungen gekommen bin, gleichzeitig aber die Musik von Götz Alsmann sehr mag, klingt der „Abend“ sehr vielversprechend.
Genauer gesagt handelt es sich um einen „Herrenabend“, und an dieser Stelle kommt auch gleich der Verweis auf Max Raabe: Was Raabe und Alsmann beide perfekt beherrschen, ist das wieder aufleben lassen längst vergangener und vergessener Epochen deutscher Kulturgeschichte, und zwar des vergangenen Jahrhunderts. Wo Raabe einen Einblick in die fröhliche aber clevere Schlagerwelt der Vor- bzw. Zwischenkriegszeit gibt, entführt Alsmann in die wieder auferblühte Schlagerwelt der Nachkriegszeit. Und, interessant, die Schlager gleichen sich teils sogar – wenn auch sehr verschieden interpretiert.
Doch zurück zum Herrenabend – Herrenabend deshalb, weil Alsmann aus Herrenmagazinen von Ende der 40er bis Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts vorliest. Und jene sind – wie er in seiner unvergesslich ausschweifenden Art erklärt – weniger mit „Schmuddelheften“ aus den 70ern zu vergleichen als vielmehr mit modernen Männermagazinen wie Playboy oder GQ. Nur eben im immer viel zu förmlichen und verklemmten Tonfall der aufkeimenden Wirtschaftswunderzeit.
Die verschämt freizügigen und nur mit großer Anstrengung erotischen Fotos aus jener Zeit werden an eine Leinwand geworfen, die Texte handeln von den missverstandenen Eskapaden einer Ehefrau, dem damals vermutlich tatsächlich verruchten Nachtleben in Düsseldorf, einem kleinen Skandal in der zu jener Zeit immer noch sich im „Underground“ befindlichen Jazz-Szene und der Balance zwischen dem zunehmenden Selbstbewusstsein der Frau einerseits und ihrer nach wie vor festgelegten Rolle am heimischen Herd andererseits.
Wer Alsmann aus „Zimmer frei“ beim WDR kennt, der weiß, dass er die Aufgabe „Betonung“ wörtlich nimmt, und so flüstert er, schreit und lacht und hat sichtlich eine riesen Freude daran, seine – garantiert eigenhändig auf Flohmärkten und in Antiquariaten gesammelten – Fundstücke vorzulesen.
Dazwischen gibt es wunderbar inszenierte Musikstücke, oft instrumental, die Götz Alsmann zusammen mit seiner Band vorträgt, bestehend aus gestandenen Männern, die an Vibraphon, Schlagzeug, Bass und Percussion niemandem mehr etwas beweisen müssen, aber sichtlich unglaublich Spaß am Spielen haben. Genauso wie Alsmann – einerseits Routine und nahezu perfektes Beherrschen des Instruments, andererseits ein Dauergrinsen im Gesicht und gegenseitiges Zuzwinkern nach gelungenen Soli oder einer kleinen, gelungenen Improvisation.
Alsmann diesmal nicht am Piano, sondern an einer, wie er sie nennt, Jazz-Orgel japanischer Bauart, die zwar mehr an Tanzteemusik aus den 70ern als aus den 50ern erinnert, dem „Abend“ aber einen ganz besonderen, eigenständigen Charakter verleiht.
Was ein „Abend“ mit Götz Alsmann aus- und besonders macht? Das, weshalb ihn nicht wenige wahrscheinlich unerträglich finden: Jene Mischung aus musikalischem Genie und Entertainer-Qualitäten, die man – um ein populäres deutsches Beispiel zu nehmen – auch von Stefan Raab kennt. Und von Max Raabe, auch wenn sich dessen Entertainer-Qualitäten gänzlich anders äußern.