GENERALAUDIENZ PAPST BENEDIKT XVI, 09.05.2012, Petersplatz, Rom

Generalaudienz Papst Benedikt XVI.

Foto: bertramprimus

Und dann kommt er, der Joseph Aloisius Ratzinger, a.k.a. Benedikt XVI., im offenen Papamobil und winkt seinen Fans, a.k.a. Gläubige, zu. Er ist 45 Minuten zu spät.

Ich bin beruflich in Rom, habe ungeplant zwei Tage Zeit und möchte mir Bauwerke des großartigsten italienischen Bauingenieurs des 20. Jahrhunderts, Pier Luigi Nervi, anschauen – was soll man sonst auch tun in der ewigen Stadt. Bei meinen Recherchen stoße ich auf den Sala Nervi, die päpstliche Audienzhalle – und lese, dass dort jeden Mittwoch eine Audienz stattfindet. Super, es ist Mittwoch, also kann ich mir das Bauwerk anschauen, und den Papst dazu. Allerdings, so lese ich weiter, muss man sich mindestens zwei Wochen vorher anmelden, es sei denn, das Wetter ist gut, dann steigt das Event open air. Anmeldung habe ich nicht, Wetter ist aber gut: also zum Papst, ohne Sala Nervi. Um 10 Uhr soll es losgehen.

Der Petersplatz ist rundherum abgesperrt, alle Audienzbesucher müssen sich einem Sicherheitscheck unterziehen wie am Flughaben mit Tasche durchs Durchleuchtungsgerät, an dessen Kontrollbildschirm allerdings niemand sitzt. Es wird konservativ abgetastet, progressive Nacktscanner kommen selbstverständlich nicht zum Einsatz.

Die Piazza San Pietro ist bestuhlt, man kennt das aus dem Fernsehen. Nun sitze ich mitten drin, um mich herum Italiener aus allen Regionen, Schweizer, bayrische Landsleute und natürlich Chinesen, die die klischeebehafteten japanischen Besuchergruppen in ihrer Auffälligkeit bei weitem abgehängt haben, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich – gelinde gesagt – wesentlich expressiver verhalten (siehe Fotos). Es werden vereinzelt Fahnen geschwenkt, Handyfotos gemacht, es herrscht eine gespannte Atmosphäre. Zwischen den bestuhlten Blöcken sind breite, abgeschrankte Fluchtwege eingerichtet. Vor dem Petersdom ist ein Baldachin aufgebaut. Rechts davon sitzen Kardinäle, links Nonnen aus allen Herren Ländern.

10.00 Uhr. Nichts passiert. Geschätzte 3.000 Leute warten. Die Veranstaltung wird auf Großleinwänden übertragen, Personenschützer mit Knopf im Ohr tauchen hoch oben zwischen Berninis Heiligenstatuen auf den Kolonnaden auf. Schweizer Gardisten halten Schwätzchen mit italienischen Polizisten.

10.30 Uhr. Immer noch nichts. Die Chinesen packen Sonnenschirme und Mützen aus, sie wollen verhindern, braun zu werden. Energische Franzosen zwingen sie, die Schirme wieder einzupacken weil sichtbehindert.

10.40 Uhr. Von Shockrocker Marilyn Manson würde ich nichts anderes erwarten als zu spät zum Konzert zu kommen, aber dass nach 40 Minuten Pralle-Sonne-Sitzens nicht eine Durchsage kommt, wie lange es noch dauert, finde ich kein gutes Veranstaltungsmanagement.

Endlich: Nach einem akademischen Dreiviertelstündchen kommt Bewegung in die Menge, irgendetwas geht vor sich. Und da biegt das weiße Papamobil (seit 2007 ein Mercedes-Benz G 500 in Perlmutt) um die Ecke, die Leute stehen auf, jubeln. Papst Benedikt XVI. fährt stehend, winkend, lächelnd und segnend auf den Fluchtwegen durch die Menge, eine Runde, noch eine Runde, kreuz und quer wie auf einem Fahrgeschäft, gesäumt von begeisterten Gläubigen, fotografierenden Touristen und gestresstem Sicherheitspersonal. Die anwesenden Jugendgruppen, ausgestattet mit gelben Gasluftballons, geben ihr typisches Benedetto… klatschklatsch-klatschklatschklatschklatsch von sich. Der Ride endet vor den Treppen zu seinem Baldachin, der Fahrer schaltet runter in den ersten Gang und rauf geht´s die Stufen mit dem holy SUV zum heiligen Stuhl – was für ein Auftritt.

Benedikt XVI. spricht ein paar Worte auf Italienisch und setzt sich. Die Audienzteilnehmer setzen sich ebenfalls. Sieben Geistliche zitieren anschließend in sieben Sprachen die Bibelstelle, um die es heute gehen wird: dem Sinn nach erscheint Petrus (der in Haft ist) ein Engel, der ihm die Fesseln löst. Petrus soll aber so tun, als wäre er immer noch in Handschellen und so weiter. Vielleicht habe ich da auch was falsch verstanden und überlagere die Bibelstory mit den typischen Gefängisbefreiungsaktionen in Italowestern. Die darauf folgende Predigt, die den eigentlichen Kern der Audienz darstellt, könnte diese Zweifel auflösen, allerdings wird sie vom Papst natürlich auch auf Italienisch gehalten. Und weil ich das nicht so gut kann, überlege ich mir nach einer halben Stunde, einen Motorroller zu mieten, um damit durch Rom zu brausen. Ciao Joseph, es war ein Erlebnis.

Generalaudienz Papst Benedikt XVI.

Foto: bertramprimus

7 Gedanken zu „GENERALAUDIENZ PAPST BENEDIKT XVI, 09.05.2012, Petersplatz, Rom

  • 12. Mai 2012 um 13:31 Uhr
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    sehr schön bp! Wenn er ins Schocken oder in den Waggon kommt, bin ich dabei beim nächsten Mal.

    interner Witz: die Bilder-Galerie hier ist die Nummer 666. Kein Scherz!

    hier noch der Polt als Benedikt:

    Caro Diario, Nanni Moretti auf der Vespa durch Rom:

  • 12. Mai 2012 um 17:21 Uhr
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    Extrem super, Bertram!

  • 12. Mai 2012 um 18:09 Uhr
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    So ein Blick über den Tellerrand des Musikgeschehens ist auch mal was Feines!

    ->Es wird konservativ abgetastet<-
    Hört und liest man in letzter Zeit oft, dass das bei den Katholiken gerne gemacht wird.

  • 14. Mai 2012 um 10:53 Uhr
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    Lustig. Vor allem die Chinesen hab ich mir sehr lebendig vorstellen können.

  • 14. Mai 2012 um 12:19 Uhr
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    Herr-lich, wie immer – vor allem der Papst-Manson-Vergleich!

    Noch ein Tipp für den nächsten Rombesuch: Auch die Bauwerke der großartigsten italienischen Bauingenieure des 1. Jahrhunderts ansehen – nur so’n Gedanke. In manchen davon wurden auch damals schon Christen vorgeführt.

  • 14. Mai 2012 um 15:17 Uhr
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    bertramprimus: bigger than jesus.

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