JOCHEN MALMSHEIMER, 13.11.2010, Rosenau, Stuttgart
I. Das Ungeheuer ausm Pott
Echt. Hab nur Gerolsteiner getrunken. Ein Liter, rundverglast und sogar schwachgeperlt, der Weinkelch täuscht. War auch nicht allein dabei. Gibt ne ganze Menge anderer Zeugen. Müssen so um die 150 gewesen sein, plus ein paar Zerquetschte. Die haben das alle gesehen, mit eigenen Augen. Die waren mit bei, so zwischen achte und zehne, in der Rosenau.
Habens gesehen.
Das Ungeheuer. Ausm Ruhrpott. Direkt raus. Eins neunzig Meter auf hundert Kilo, oder andersrum. In Zivil, das mans nicht so einfach erkennt. Jeans, schwarzes Hemd, Vollbart. Ziemlich sicher, dass niemand von denen was zu sagen will. Die Zerquetschten ja sowieso nicht. Gibt’s ja auch nicht, Ungeheuer.
Bloß in Gruselgeschichten.
II. Sprachgewitter
„…für einen Ballettabend zu wenig Bewegung, für ein Chansonprogramm zu wenig Gesang, für eine Kaltnadelradierung ein zu breiter Strich, für eine Kontorsion zu wenig Elastizität, für eine Raubtierdressur zu wenig Biss, für einen Winterreifen zu wenig Profil, für eine lexikalische Soireé zu wenig Kenntnisse, für ein Soufleé zu wenig Eier, für ein Resumeé zu wenig passiert, für ein Mus auch; kurz: für einen Abend zu wenig Nacht, erst recht für einen Tag…“ – Ansgar Reimfassnitzer-Bentheim in der >Schlepperpostille Oostnordoostwestfalen, Pansendorfer Ausgabe< vom 24. Februar 2010
(Quelle: Malmsheimers Homepage)
III. Sturmtiefen
Das kabarettistische Ungeheuer in Zivil nennt sich Jochen Malmsheimer, geboren (oder erschaffen) in Bochum. Nebenberuflich, genauer: allmonatlich, ist Malmsheimer als Hausmeister der ZDF-Anstalt tätig und damit größtenteils instandsetzend unterwegs. Die Arbeitszeiten sind fair, es bleibt also Zeit für den Außendienst. Und so hat Jochen Malmsheimer am wohl temperierten elfdreizehnten Samstagabend Ländle-Gang, ab Hafen Rosenau. In der Lunchbox, neben einem Gutebutter-Cervelat-Graubrot, ein aktuell zehn Jahre altes Programm, dessen gestelzter Titel „Wenn Worte reden könnten oder: 14 Tage im Leben einer Stunde“ eine innige Liebe zum Wortspiel vermuten lässt.
Hört sich akademisch, vielleicht etwas bieder, an, doch weit gefehlt. Denn was das Sturmtief Jochen Malmsheimer an schnell gesprochener, bisweilen lyrisch vulkanisierter Wortakrobatik auf die Bühne zaubert, lässt einen nicht aus dem Lachen, auch dem zwerchfellschmerzenden, ungestümen, herauskommen.
IV. Wortakrobatik
Am Anfang steht der Hook. Die wichtige erste Pointe. Malmsheimer wählt dazu Beobachtungen der Örtlichkeit und Hinweise zum abendlichen Ablauf seines Programms. Noch bewegen wir uns in der Zone 30, im Vorgebirge gewissermaßen, noch sind es die Willkommens-Wortkaskaden, die Malmsheimer seinem opulenten Sprachschatz entlockt, mehr zur Eingewöhnung gedacht, doch der Besucher ahnt bereits: alsbald geht es an die Steilwand. Für einen sprachlich nicht nur originellen, sondern auch unverwechselbaren Opener reicht auch dies allemal.
Den ersten Programmpunkt leitet Malmsheimer gekonnt ein, es geht um ihn und seinen „einseitig begabten“ Sohn, der auf Eisenbahnen steht. Ein Umstand, der den Papa zu Weihnachten in einen schmucklosen „Einkaufstempel“ treibt, wie es sie in Bochum, dem „Toys’R’Us mit Rand“, wohl zuhauf geben muss. Eine echte Tortur, besonders, wenn man mit Papa an früher denkt, da es noch schnuckelige Läden gab, deren Glocken bimmelten, Laden rein, Laden raus. Eine echte Tortur, die für das Publikum zur ersten wunderbaren, irre witzigen Geisterfahrt durch das Malmsheimer’sche Sprachlabor wird.
Fürs Wegwischen der erlachten Tränen bleibt wenig Zeit, die Gondel hält bereits an der nächsten Station: Bastelarbeiten. Denn bevor der Weihnachtssklave Malmsheimer den einen letzten Schritt aus dem Laden machen kann, lässt er sich zur Eisenbahn auch noch einen flach gepackten, in tausend „teppichfarbene“ Teile zerstückelten Bahnhof andrehen. Das Ergebnis: Der zweite Sturm im Wasserglas der Alltäglichkeit, die zweite Schar atemlos vorgetragener Satzkolosse, die Dominostein um Dominostein klacken, bis das Ganze in igelgerecht zahngestocherte Kastanien mündet.
Und ja, Malmsheimer hasst Bastelarbeiten, insbesondere deshalb, weil der Raucher meist nur eine Hand frei hat, und weil sich Leim zur Zigarettenglut wie Romeo zu Julia verhält.
Schwer entzündlich.
V. Das Märchenbuch
Nach einer halben Stunde freier Rede nimmt Malmsheimer ein Notizbuch im DinA4-Format zur Hand, blauer Einband, gedruckte Lettern. Darin, ein Stück Vergangenheitsbewältigung, genauer: eine Kneipenszene mit Teenager Jochen, der beim ersten Bier zum Manne reift. Unterschiede zur freien Rede sind nicht zu bemerken, im Gegenteil, der Vortrag wirkt spritziger. Wieder ist es nicht so sehr der Inhalt, der Malsheimers Kabarett trägt, es sind die stilsicher ausgebreiteten, scharfen Beobachtungen zu ganz profanen Geschehnissen, es ist die Sprachgewalt und der akribisch modellierte Wortwitz, der den Zwerchfellen des Publikums keine freie Minute lässt. So ist auch nicht das Ende dieser Anekdote, ein bestellter Backcamembert, der sich davonmacht, der wirkliche Höhepunkt, sondern das heil- wie rastlose Durcheinander scharf pointierter Schachtelsätze, die den Gästen nur so um die Ohren fliegen.
VI. Reminiszenzen
Eine gewichtige inhaltliche Rolle in Malsheimers Programm spielt die nostalgische Rückschau. Hie und da taucht sie auf, direkt thematisiert erscheint sie im Mittelteil, als Vehikel dient eine exemplarische Ruhrpott-Omma. Früher war alles besser, lautet die Einleitung zur guten alten Zeit, und klar, es geht auf den ersten Blick um den Bruch mit Klischees und die Verhöhnung jedweden Kitsches alter Zeiten. Dem Anschein nach zielt Malmsheimer auch hier auf den Doppelboden des Doppelbodens, doch einen gewissen Hang zur herzensguten Vergangenheit kann er bisweilen nicht verbergen. Spitz-BHs, die Palmolive-Tilly, Klementine und ihr Ariel, die stabil klebende Prilblume, die allem standhält, die Ahoibrause, der Ruhrpottnudelsalat „Walter“ auf altertümlichen Kellerfeten, beschaulich-dröge, aber doch beschauliche drei Fensehprogramme – überhaupt die guten Sechzgerchen und Siebzgerchen, das Bittersüße aus der verstaubten nachkriegsdeutschen Konservenbüchse, haben es ihm angetan.
VII. Das Ungeheuer ausm Pott
Es gäbe noch viel, furchtbar viel, aufzuzählen. Eine vielstimmig vorgetragene Szene beim Hundespaziergang im Park, eine herrliche Fetenszene, eine erstklassig pointierte Abschlussfahrt nach Prag. Aufzählen ließe sich auch Robert Taylor und sein Pferdesprung, Lex Barker (nein, kein lateinisches Bootsgesetz) und seine stabile Frisur, die Radiomeldung zur A70 nach Münster, die gar nicht nach Münster führt, Omma, die immer die Zimmerantenne hält. Das große, richtig große, Finale, in welchem Worte einen Kneipenabend verleben würden, wenn sie sprechen könnten – auch das gehörte dazu.
Allein, der Platz reicht nicht.
Und Nacherzählungen sind mau.
Jochen Malmsheimer – das ist großes Kabarett. Ein rhetorisches Feuerwerk. Eine linguistische Orgie. Die Sprachgewalt, der Sprachwitz, die Experimentierfreude und die Beobachtungsschärfe erinnern an den Altmeister Loriot, doch hier in der oftmals ungehaltenen, schwer ausufernden und nicht selten aufbrausenden Version.
Jochen Malmsheimer ist schwer zu empfehlen.
Malmsheimer ist heute Abend übrigens im ZDF zu begutachten: https://anstalt.zdf.de/ZDFde/inhalt/14/0,1872,8126702,00.html
Wobei M’s Auftritt recht mau war, wie die ganze Sendung, leider.
Schramm fehlt halt mal wirklich.