DAGOBERT, LAING, 26.01.2015, Wagenhallen, Stuttgart

Dagobert

Foto: X-tof Hoyer

Ich bin Dagobert-Fan und wenn der Fachmann für Schlagerpathos zwischen den eigenen Touren und kurz, bevor das neue Album „Afrika“ erscheint, in meine Stadt kommt, dann gehe ich natürlich hin. Er supportet die Band Laing. Von denen kenne ich nur den Hit „Morgens immer müde“, der ist im Original von Trude Herr und hübsch ballerig von der Berliner Band 2012 geupdated worden. Frohgemut besteige ich den gelben Blitz und lasse mich in die Wagenhallen chauffieren.

Doch irgendwie sind Dagobert und ich am falschen Ort. Als der Schweizer Sänger mit Band die Bühne betritt und sein Set beginnt, reagiert mein Umfeld mit leichter Panik und wird sichtlich und hörbar nervös. Ich hingegen bin begeistert. Zwei Mal habe ich den Herren bis jetzt in Stuttgart gesehen. Bei beiden Auftritten wurde er immer nur von einem Musiker begleitet, der entweder Keyboards oder Leuchtdioden-E-Gitarre spielte und der Rest kam vom Band. Nun hat er eine vierköpfige Band dabei und nix kommt aus der Dose. Er spielt einige Songs vom Debütalbum von 2013 und neues Material vom kommenden Tonträger. Besonders darüber freue ich mich wie ein Schnitzel. Angezogen ist er wie gewohnt mit spitzen Lederschuhen und Gammaschen, neu im Schrank hat er einen langen, schwarzen und ärmellosen Zweireihermantel mit Goldknöpfen. Kein Wunder, dass er letztes Jahr in der deutschen GQ Dieter Meier von Yello als „bestangezogensten Schweizer“ auf Platz Zwei verwiesen hat. Großen Spaß gemacht hat mir von Anfang an die Debatte im deutschsprachigen Feuilleton, wie authentisch und echt seine ganze Legende wohl wäre, was davon der Meister selbst erdichtet habe und was wohl wahr sei. Aus Liebeskummer sechs Monate auf der Alm sein Soloalbum eingespielt und dann gleich mit Plattenvertrag belohnt worden, kirchenmausarmes Bohèmedasein in Berlin undsoweiter….

Dagobert

Foto: X-tof Hoyer

Voller Inbrunst und Pathos singt er seine schönen Lieder, die natürlich meist von der großen und einzig wahren Liebe handeln. Mit den ganz großen Gesten wird sein Gesang untermalt und mit liebevollsten Fingerzeigen die Band dirigiert. Das ist neu: Dagobert bewegt sich mehr als früher und das steht ihm gut. Und er lächelt mehr. Niemand in der Halle hingegen scheint ihn und seine Stücke zu kennen. Hinter mir höre ich aufgeregtes Gekicher und empört-verstörte Ausrufe wie „O Gott, o Gott!“ oder sogar „Um Himmelswillen“. Bei den Textzeilen: „Ich will ein Kind von dir/ Denn du bist viel zu schön, um auszusterben/Lass unsre Kinder deine Schönheit erben“ meine ich sogar zu sehen, wie der ganze Saal erschrocken einen Schritt zurückweicht. Alle Mitsinganimationen laufen ins Leere, außer mir singt niemand „Lalalalalala“, wenn es von der Bühne eingefordert wird.

Dagobert

Foto: X-tof Hoyer

Dabei sieht der Schweizer Schlagerfürst doch dem größten Dichter des Landes verblüffend ähnlich. Noch nie vorher hab‘ ich bemerkt, wie sehr sich Johann Heinrich Danneckers Schillerbüste und das edle Haupt des Sängers in etlichen Details ähneln. Das müsste doch in Stuttgart wirklich Sympathiepunkte geben! Falsch gedacht. Einen Bilderlink stelle ich hier jetzt natürlich nicht hin. Das Original steht in der Stuttgarter Staatsgalerie, da kann das jeder selber überprüfen, ein Museumsbesuch hat noch niemandem geschadet. Immer nur so hochspezialisierte Auskenner-Blogs lesen lässt schleichend die Allgemeinbildung verkümmern. Hilft alles jedoch nix, nach einer halben Stunde ist Schluss, Dagobert gibt die Bühne frei und tritt ab. Gottseidank kommt er im Mai wieder und bis dahin werde ich auch die Stücke vom neuen Album aus vollem Hals mitsingen können – hiermit hoch und heilig versprochen!

In der Umbaupause unterhalte ich mich mit dem mitgereisten gig-blog-Fotografen X-tof und empöre meinen Nebenmann mit Bauch durch den Satz: „Irgendwie sieht das Publikum doch ein wenig so aus wie auf dem Kirchentag und verhält sich auch so.“ Er fühle sich da „nicht angesprochen“ und müsse „widersprechen“. Okay, ist notiert, aber mir kam’s halt so vor.

Laing

Foto: X-tof Hoyer

Laing betreten nach einer Weile die Bühne und legen los und nun bin ich komplett falsch hier unten. Das Publikum verwandelt sich, singt mit, jubelt, klatscht und flippt völlig aus. Ich versteh’s nicht. Von Anfang bis Ende werde ich mit dem, was nun starke anderthalb Stunden dargeboten wird, einfach überhaupt nicht warm. Ist halt so, hängt mich höher. Drei Sängerinnen, eine Tänzerin und ein Schlagzeuger mit so elektrischem Effektgerätegebimsel liefern eine hochprofessionelle und bestens durchstudierte Show, nur bei mir springt der Funke nicht über. Deutsche Texte über Frauenprobleme im Großstadtleben werden nicht dadurch besser, dass man dazu rumrobotet, alles repetitv des öfteren wiederholt singt und Elektrobeats drumbappt. Wikipedia sagt dazu „Elektro-Soul-Pop“ und die Eigenbezeichnung der Band für diesen Musikstil ist nach der Wissensseite „Electric Ladysound“. Mir ist das „Electric Ladyland“ lieber. Ich weiß auch nicht, woran es liegt, dass die Texte für mich im Laufe des Konzerts immer mehr nach Ina Müller klingen, aber so isses halt. Die Show haut um mich herum alle aus den Latschen, zwei Einlagen der Tänzerin, bei denen niemand singt, werden euphorischst gefeiert und jeder Witz in den Zwischenmoderationen der Frontfrau bewiehert. Es lag nicht an den Schreibtischlampen, an den Mikros, die Outfits waren auch toll. Laing sind nicht meine Tasse Tee, so einfach ist das, und so bin ich sehr erleichtert, als das Saallicht angeht und „Maniac“ von Michael Sembello einen großen, glücklichen Menschenhaufen und mich aus der Halle spült.

Laing

Foto: X-tof Hoyer

Dagobert

Laing

3 Gedanken zu „DAGOBERT, LAING, 26.01.2015, Wagenhallen, Stuttgart

  • 26. Januar 2015 um 22:36 Uhr
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    Ganz großer Artikel, lieber Christian!

  • 27. Januar 2015 um 08:25 Uhr
    Permalink

    Dankeschön für’s Kompliment Holger!

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