GURU GURU, 02.10.2010, Laboratorium, Stuttgart

Guru Guru

Foto: Steffen Schmid

Vor dem Bericht über die Show von Guru Guru, einer authentischen, deutschen Band, die den Begriff „Krautrock“ mit geprägt hat, eine kleine Abhandlung zu diesem Style:

Immer wieder hört und liest man von Protagonisten dieser Szene, die die Kategorisierung als unzutreffend bezeichnen oder kategorisch ablehnen. Es sei ihnen nicht verübelt, wurde der Begriff „Krautrock“ doch Ende der sechziger Jahre als abwertende Bezeichnung von (experimenteller) Rockmusik aus Deutschland, von England aus kreiert.

Heute hat sich der klangschöne Begriff fest etabliert im Sprachgebrauch des Musikjournalismus oder einfach Musikinteressierten, und fast immer, wie ich finde, lässt das Erkennen oder Behaupten von Kraut-Einflüssen auf Musik schließen, die es meistens wert ist, genauer betrachtet zu werden. Immer wieder gab es Wellen von Kraut-Hypes, in Gang gesetzt von amerikanischen und britischen Musikern, die ihren deutschen Helden Tribut zollen. Als Beispiele sollen für die späten 70er Bowie und Brian Eno herhalten, Stereolab und Sonic Youth Anfang der 90er Jahre, und Primal Scream, die Ende der 90er, Anfang der 0er Jahre zweifellos ihre späten Sternstunden hatten – schwer beeinflusst von Can, Neu! & Co. Diese Bands haben damit auch nie hinter dem Berg gehalten. Anfang des neuen Jahrtausends wurde via dem Label Grönland, das Herbert Grönemeyer gehört, die zuvor entweder gar nicht, oder nur als schlechte inoffizielle Versionen zu habenden Alben von Neu! wieder aufgelegt, was zweifellos wieder einen Hype angeheizt hat. Seither habe ich ein Auge auf die Einflüsse und Reissues und ein Ende ist nicht in Sicht. Noel Gallagher wurde nicht müde den Einfluss der von ihm spät für sich entdeckten Neu! auf das letzte Oasis Album zu erwähnen. Die BBC hat erst kürzlich eine sehr sehenswerte Dokumentation ausgestrahlt; auf der üblichen Quelle kann man diese in mehreren Teilen anschauen. Eine Band der Stunde namens Soulwax hat unter dem Namen „Die Verboten“ ein – wie sie es selbst nennen „Krautkrockprojekt“ aktuell am Laufen, der englische Tausendsassa Riton hat mit „Eine Kleine Nacht Musik“ eine traumhafte Platte mit deutschen Titeln veröffentlicht, außerdem hat er ein tolles Mixtape mit ausschließlich deutschen Künstlern zusammengestellt, das es kostenlos zum Download gab – und damit wären wir wieder bei Guru Guru, die auf diesem Mix mit „Globetrotter“ natürlich nicht fehlen dürfen.

Guru Guru

Foto: Steffen Schmid

Zum Einfluss der Band des Abends muss noch zum besten gegeben werden, dass die großen Pavement, nicht zufällig die gleiche Idee für ein Plattenartwork hatten, nein, Stephen Malkmus hat in einem Interview den Klau für das Cover von Wowee Zowee (1995) – nichts weniger als das White Album des Alternative Rock der 90er – bei Känguru (1972) zugegeben.

Wie wir erfahren, spielt die Band im neunten Jahr (!) in Folge Anfang Oktober im bestuhlten Laboratorium. Knipser Schmoudi und ich drücken den Altersdurchschnitt deutlich nach unten, unter den meist ergrauten Köpfen müssen wir auffällige Farbtupfer bilden. Obwohl wir frühzeitig ankommen, gibt es für uns nur noch im hintersten Eck die letzten zwei Plätze, die Band – gegründet 1968 – zieht also immer noch ganz ordentlich Publikum in die Konzerthäuser. Gründungsmitglied Mani Neumeier ist immer noch dabei – und das mit stolzen 70 Jahren. Der Rest der Band ist von dieser Zahl noch ein Stück entfernt – das Alter merkt man den Herren auf der Bühne aber ohnehin kaum an.

Die Show beginnt mit einem wie es Neumeier nennt „Beitrag zur Weltmusik“ – irgendwas japanisches trägt Drummer Neumeier in einem seltsam anmutenden Hut vor. Das erste klassische Stück des Abends hört auf den Titel „Dark Blue Star“ und ist verdammt gut. Eine starke Rocknummer mit unpeinlichen Soli – uns gefällt es ab der ersten Minute. Dass dieses Stück aus dem Jahre 2007 stammt, lässt schon staunen – ich hätte eigentlich ausschließlich mit Stücken aus der früheren Bandgeschichte gerechnet, insbesondere die auf dem wegweisenden deutschen Brain-Label in Zusammenarbeit mit dem legendären Konrad „Conny“ Plank erschienen sind. Was ich aber auch noch nicht wusste – die Band hat unzählige Alben veröffentlicht, ein reichhaltiger Fundus aus dem sie sich heute bedienen können. Bei der Bühnenerfahrung ist es keine Überraschung, dass die Herren bestens eingespielt sind, und immer wieder nicht alltägliche Instrumente wie eine indisch oder orientalisch anmutende Flöte, oder eine Lap Steel Gitarre zum Einsatz kommen, die je nach dem eben orientalischen oder amerikanischen Flair verbreiten. Der Gesang wechselt, die meisten Stücke dürfte aber Neumeier gesungen haben. Bei „Living in the woods“ verlässt er seinen Stammplatz am Schlagzeug, und trommelt an der Front in grünblauem Licht den hypnotischen Beat zu dieser Nummer, die zu den Highlights gehört – auch die Brücke zu Robin Wood und den Aktionen im Schlosspark ist schnell geschlagen. „Oben bleiben“.

Guru Guru

Foto: Steffen Schmid

Keine Minute wird es langweilig, weil die Band sich als dermaßen vielseitig präsentiert, mal wieder Classic Rock, dann wieder Jazz und Funk, oft experimentell wirkt es gelegentlich wie eine sehr interessante Jam-Session.

Die offizielle Pause sei den alten Herren gegönnt, denn danach geht es mit brandneuen Stücken weiter, die noch keinen Namen haben – aber auch die klingen saugut. Kaum zu glauben. Jetzt kommt mal ein Stück, dass mir bekannt ist, „Ooga Booga“ von der oben erwähnten Känguru. Starke Nummer, und wie Neumeier uns wissen lässt – seit 1972 im Liveprogramm. Überhaupt Neumeier, es muss noch erwähnt werden, was für ein unglaublich guter Drummer und sympathischer Typ (Bayer) er ist, was nicht nur beim folgenden alle staunen lassenden völlig unpeinlichen Solo zu sehen ist. Eine Achterbahn von schnell nach ganz langsam, von laut nach leise. Weiter geht seine Solo-Nummer mit einem aus dem Rucksack gezogenen vielteiligen Blech- Service, dass er auf der Bühne verteilt, und mit den Trommelstöcken bearbeitet. Was sich zunächst chaotisch anhört, klingt nach und nach immer besser, jeder Schuss ein Treffer – super Show. Zugaben gibt es auch noch, natürlich darf der „Elektrolurch“ nicht fehlen, die Nummer mit dem schrägen Text vom Elektrolurch in der Lüsterklemme. Dann wird noch eine amtliche Punknummer aus dem Ärmel geschüttelt, die wahrscheinlich den treuen Fans bekannt ist, uns und genug anderen Anwesenden bestimmt auch nicht, was keinen daran hindert den „Text“ mitzugröhlen. Nochmal: Unglaublich.

An alle: Nächstes Jahr, Anfang Oktober – Krautrock mit Guru Guru im Laboratorium wird 10 – wir sehen uns.

5 Gedanken zu „GURU GURU, 02.10.2010, Laboratorium, Stuttgart

  • 3. Oktober 2010 um 21:20 Uhr
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    grad noch mal bestätigen lassen: mein Vater hat die Jungs 1968 an der Uni Stuttgart (K1 oder K2) live gesehen. all hail to the hippies!

  • 4. Oktober 2010 um 00:13 Uhr
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    …daher sein Interesse an Pilzen…

  • 7. Oktober 2010 um 16:29 Uhr
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    Hab das „Mixtape“ gleich mal runtergeladen und höre es gerade.

    Sehr interessanter Bericht!

    Hatte die letzten Jahre immer mal wieder überlegt, zu GuruGuru ins Lab zu gehen, hätte ich wohl mal tun sollen. Hoffentlich geht das dann nächstes Jahr.

  • 8. Oktober 2010 um 09:58 Uhr
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    Nächstes Jahr gibt es für die Gigblogger aus Stuttgart eine Anwesenheitspflicht.

    Mixtape – gefällt es?

    Die Doku auch unbedingt anschauen!

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