DAS WETTER, GLORIA DE OLIVEIRA, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart

GLORIA DE OLIVEIRA, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Profi-Ausgehtipp für mittwochs: Bei sechs Grad und Nieselregen sollte man sich unbedingt nochmal vom Sofa herunterquälen! Bereut man selten.

Auch heute hat es sich gelohnt, dem Durchhänger zur Wochenmitte die Stirn zu bieten. Im Merlin findet der Pop-Freaks-Nachholtermin mit Redaktionsmitgliedern der Zeitschrift Das Wetter aus Berlin, plus Konzert von Künstlerin und Musikerin Gloria Endres de Oliveira statt.

Der erste Termin im Januar musste aufgrund des Bahnstreiks verschoben werden. Morgen wird zwar schon wieder gestreikt, aber diesmal findet die Show trotzdem statt. Keine Ahnung, wie die Künstlerinnen morgen heimkommen (alle Daumen gedrückt), aber schön, dass sie da sind.

Der Saal ist bestuhlt und locker gefüllt. Bei freier Platzwahl sichern wir uns Sitzplätze in der ersten Reihe. Mir gerade recht, wenn schöne Veranstaltungen nicht komplett überlaufen sind (vgl. Rumer-Konzert).

DAS WETTER, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Das Wetter ist ein vierteljährlich erscheinendes Kulturmagazin aus Berlin, das eben erst zehnjähriges Jubiläum gefeiert hat. Auf der mit Stühlen und kleinem Tisch bestückten Bühne nehmen gegen halb neun die beiden sehr entspannt wirkenden Wetter-Mitarbeiterinnen Katharina Holzmann und Olga Hohmann Platz. Redaktionsmitglied Katharina berichtet, dass Autorin Olga kurzfristig eingesprungen sei, da Chefredakteur Sascha Ehlert für ein Interview nach New York reisen musste. Ein sehr mondäner Entschuldigungsgrund, wie selbstironisch angemerkt wird.

Olga und Katharina lesen jeweils einen kurzen Text aus dem Jubiläumsband „Das Wetter – Buch für Text und Musik“ (Kiepenheuer & Witsch). Olga den Text „Hardliner Overliner“ von Nina Sternburg, Katharina die (erfundene?) Geschichte eines unkonventionellen Interviews der Autorin Kat Kaufmann mit dem Rapper Taktlos. Anschließend kündigt Olga an, noch einen kurzen Auszug aus ihrem Debütroman „In deinem rechten Auge wohnt der Teufel“ (Korbinian Verlag) vorzutragen.

Moment mal, liest sie den Roman etwa vom Handyscreen ab? Nein, die Autorin sucht nur einen Song, den sie uns als Einstieg vorspielen möchte. „Der ist sehr bekannt, kennt ihr vielleicht auch,“ wird uns in Aussicht gestellt. Etwas scheppernd erklingt eine altmodische Aufnahme klassischer Klaviermusik, dazu zunehmend schräg klingender, opernhafter Frauengesang. „Mozart“, löst jemand aus der hinteren Reihe fachmännisch auf. Die Arie der Königin der Nacht aus der Oper Die Zauberflöte, um genau zu sein.

DAS WETTER, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Wie wir erfahren, ist auf der Aufnahme Florence Foster Jenkins (1868-1944) zu hören, die als „Diva der falschen Töne“ und „schlechteste Opernsängerin der Welt“ gilt. Dem überschaubaren eigenen Talent trotzen und unerschrocken weitermachen mit der Kunst, das hat natürlich hohes Identifikationspotenzial.

Foster Jenkins ist dann auch Thema von Olgas Romanauszug. Wie das wohl in die restliche Romanhandlung passt? Das interessiert mich und ich würde gerne direkt weiterlesen. Leider hat Olga keine Exemplare zum Verkauf dabei. Muss also im Nachgang erworben werden.

Ich bin generell kein Riesenfan von Lesungen, aber diese hier war wirklich unterhaltsam. Fühlte sich eher an wie ein kurzweiliger Live-Podcast. Gerne wieder.

Das musikalische Thema des Romanauszugs leitet passend über zum zweiten Act des Abends, der keineswegs talentfreien, ganz im Gegenteil, Künstlerin und Musikerin Gloria Endres de Oliveira.

GLORIA DE OLIVEIRA, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Begegnet ist mir der Name erstmals als Fotocredit unter den herausragend schönen Pressefotos von Stella Sommer zum Album „Silence Wore a Silver Coat“ (2022).

Im Rahmen der Berichterstattung zum Pop-Kultur Berlin Festival 2023 fällt mir auf, diese tolle Fotografin macht auch selbst Musik, das ist ja interessant. Sphärischer Synthpop-Sound, dazu die pastellige Vintage-Ästhetik mit bauschigen Kleidern und wallendem Haar. Was soll ich sagen, voll meins.

Entsprechend groß ist die Freude, als ich sehe, Gloria de Oliveira tritt beim Pop Freaks-Festival im Merlin in Stuttgart auf. Das aktuelle Album „Oceans of Time“ (produziert mit Dean Hurley, einem Musiker aus dem David-Lynch-Umfeld) habe ich mir einige Male angehört und bin gespannt, wie das live umgesetzt wird.

Wir sehen zunächst eine verdunkelte Bühne mit wabernden Nebelschwaden. Rosa Plastikrosen sind ums Mikro geschlungen. Dann betritt die Künstlerin, flankiert von ihrem Gitarristen, die Bühne. Gloria de Oliveira trägt ein ausladendes weißes Kleid mit Glitzerelementen und Puffärmeln, dazu lange weiße Handschuhe. Ich tippe auf Vintage-Funde, sind aber alles Designerstücke.

GLORIA DE OLIVEIRA, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Als Intro dient der Text Im Nebel von Hermann Hesse, sehr schön und stimmungsvoll vorgetragen. Dann vermischen sich düstere Synthwave-Beats und hypnotischer Gesang zum ersten Stück. Die Gitarre sorgt für verhallte Akzente. Durchaus passend, dass wir alle nach wie vor sitzen. Tanzen kommt heute weniger in Frage.

Auch Gloria de Oliveira bewegt sich nur wenig auf der Bühne, geht ab und zu ein paar Schritte zwischen Synthesizer und Mikrofon hin und her. Ansagen bleiben sparsam. Die Songs gehen fast ineinander über und lassen eigentlich kaum Platz für Applaus. Wir möchten unsere Begeisterung zeigen und klatschen trotzdem. War hoffentlich ok.

GLORIA DE OLIVEIRA, 06.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Meine Favoriten sind „Something to Behold“ und „Ashore of the Cosmic Sea“. Wenn ich es richtig gehört habe, wurde sogar ein Sound-Schnipsel aus Carl Sagan’s Cosmos verarbeitet. Die Songs nur mit Gitarrenbegleitung finde ich besonders schön. Gloria de Oliveiras softe, glockenklare Stimme darf wegen mir gerne noch viel mehr im Vordergrund stehen.

Als Zugabe gibt es die Jobim-Komposition „Insensatez“, einen Lieblingssong aus der Kindheit der deutsch-brasilianischen Künstlerin, wie wir erfahren. Sehr gute Wahl.

Ein kurzer, aber beeindruckender Auftritt einer vielseitig talentierten Künstlerin. Ich freue mich sehr darauf, Gloria de Oliveira beim Maifeld Derby wiederzusehen, gerne auch mit größerer Live-Besetzung.

Das Wetter

Gloria de Oliveira

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