DAF, 16.12.2023, Staatsgalerie, Stuttgart
Nur noch einer. Robert Görl hat DAF, die Deutsch Amerikanische Freundschaft, nach dem überraschenden Tod von Sänger Gabi Delgado weiterleben lassen. Der Verlust des lebenslangen künstlerischen Partners hinterlässt eine große Lücke. Ein neues DAF-Album ohne Delgado erschien schon bald darauf, sowie erste DAF-Konzerte ohne Delgado, aber mit Görl als Sänger, dem eine neue Rolle in der Band zuteilwird. Vergangenen Samstag trat er nun gemeinsam mit Produzentin und Musikerin Sylvie Marks in der Stuttgarter Staatsgalerie auf.
Ein bewusst gewähltes Setting der Veranstalter als Brücke und Verbindung zu Kunst, Avantgarde, Punk, Beuys und Pop. Kaum eine Band könnte in diesem Kontext besser passen als DAF.
DAF ist das Gesamtkunstwerk Deutschland. Das ist totale Oper. DAF ist genauso stark, genauso wichtig wie Wagner.
sind die Worte von Jonathan Meese über seine erklärte Lieblingsband. „Die sind so präzise gewesen. Wie die getanzt haben! Ich kann mir das ohne die Musik angucken“. Auf den heutigen Abend bezogen, bekommen diese Worte eine neue Bedeutung.
„Kunststoff, alles ist Kunst“ singt Görl kurz nach 22 Uhr im Vortragssaal der Staatsgalerie. Leicht tänzelnd steht der 68-Jährige im schwarzen Hemd in der Mitte der kleinen Bühne, hält sich gelegentlich am Mikrofon fest und blättert sich von Song zu Song. Vor ihm ein Notenständer mit ausgedruckten Texten. An seiner Seite ist Sylvie Marks, gemeinsam haben sie das besagte und womöglich letzte DAF-Album produziert, das wie die heutige Performance den adäquaten und schönen Titel „Nur noch einer“ trägt. Kurz bevor Delgado im März 2020 starb, war ein neues DAF-Album geplant. Robert Görl produzierte es also ohne ihn – und sang. Für Görl scheint das Album auch eine Art Abschiednehmen zu sein. Die Musik entstammt noch aus dem Frühwerk der Band. Ein in allen Punkten außergewöhnliches DAF-Album, eineinhalb Jahre nach Delgados Tod erschienen.
Mit schwarzer Spitzenmaske steht Marks links von Görl hinter einem Pult voller Moogs und Korgs, zuständig für die Musik. Früher war dies der Part von Görl bei DAF, nun spielt er als „musikalischer Direktor“ der Band nicht mehr, sondern singt.
„Im Schatten“, „Kunststoff“, „Wir sind wild“, „Das Pur Pur Rot“ und „Gedanken lesen“, die ersten Titel des Konzerts. Allesamt von besagtem neuen Album in exakter Reihenfolge der Tracklist vorgetragen, bis nach ca. einer halben Stunde „Der Räuber und der Prinz“ mit der vertrauten spieluhrartigen Melodie erklingt, der Song mit der wohl schönsten Video Live-Performance aus dieser Zeit.
Die neueren Songs, „Das Geschenk“ sticht hier noch hervor, sind aber insgesamt weniger ekstatisch als das bekannte Frühwerk, wirken eher fragmentarisch und machen heute den größten Teil des Sets aus. Sicher auch, weil Görl mit der neuen DAF-Performance die Rolle des Sängers einnimmt, die Songs von „Nur noch einer“ alle von ihm gesungen. Die wenigen alten Tracks, sie sind natürlich anders und ungewohnt. Freilich ist es DAF, weil Robert Görl DAF ist, in diesen Momenten wird das Fehlen von Gabi Delgado aber sehr bewusst.
Delgados Energie auf der Bühne war alles, eine Wucht und Intensität als elementares Zusammenspiel von Musik und Darbietung. Durchdringend, rasend und elektrisierend. Die ekstatische Performance stieß wie die Musik vor den Kopf, eins mit der radikalen Härte, Aggressivität und dem spielerischen Wahn. Liebe und Wut. Was DAF ausgemacht hat.
Zur heutigen Performance ist es ein Unterschied, gar eine andere Band. Sicher, Görl ist nicht Delgado, er kann und muss diese Lücke gar nicht ersetzen. Nur steht eben DAF drauf. In großen Lettern auf der Bühne, in Klängen und Worten ist es DAF. Und auf den großformatigen Projektionen der beiden Musiker, die das gesamte Konzert über der Bühne thronen. Bilder für die Ewigkeit. Auf die gesamte Breite des Raums werden den ganzen Abend über wechselnde Textzeilen von DAF projiziert. So sehr Gabi Delgado heute im Raum präsent ist, wenn sein junges Gesicht immer wieder projiziert zu sehen ist, fehlt er an diesem Abend an diesen Stellen. Als bleibende Erinnerung an die Intensität der Konzerte von DAF.
Klammert man die ganz frühe Phase der Band aus, so waren DAF immer zwei. Ohne Delgado, aber auch ohne Görl ist DAF schwer vorstellbar. Das letzte DAF Konzert der beiden, vermutlich Ende 2019.
Es ist ja immer die Frage: Wenn ein Musiker mit einer solch zentralen Bedeutung für eine Band geht, geht dann auch die Band? Scheinen einige unersetzbar und immanent wichtig für das Wesen des Musikprojekts, schaffen es andere Bands weiterzuexistieren. Bei The Fall und Mark E. Smith, eine ähnlich bedeutsame Wirkung und Werk wie DAF, schien das z.B. unmöglich: Mark E. Smith war The Fall. Ein Weiterführen war hier nie eine Frage. Und auch DAF ist ohne Gabi Delgado kaum vorstellbar.
Zwischen den Songs verliert Görl nicht viele Worte. Doch er lächelt oft dankbar, wenn er ins Publikum blickt. „Wir denken an Gabi“, sagt er ganz zu Beginn, es sind zugleich die Schönsten. Das Publikum im gut gefüllten Vortragssaal der Staatsgalerie dankt ihm höflich. Sind die meisten dann eben doch einfach froh, dass es DAF durch die Fortführung Görls noch gibt und man die noch die Möglichkeit hat, die Band live zu sehen? Die Alternative wäre nun mal das definitive Ende DAFs. Die Band nicht komplett aufgeben zu müssen und eben diesen Fortbestand als Option: Das kann man gut nachvollziehen.
Auf „Als wär’s das letzte Mal“ folgt zum Ende hin natürlich der Überhit „Der Mussolini“, der für einen kurzen Ausbruch sorgt: Ein kleiner Moshpit vor der Bühne entsteht direkt als die Musik einsetzt. Der wohl bekannteste DAF-Song wird als Überraschung angekündigt. Görl fragt nach Wünschen, blättert im Ordner, es wird „Sato-Sato“, Sylvie Marks singt mit. Die Setlisten gleichen den von kürzlich gespielten Shows des neuen DAF-Duos.
Nach 75 Minuten ist „Mit dir“ die letzte Zugabe des Konzerts und zugleich ein kleiner, charmanter Ausreißer des gesamten Sets: Der zarte, sich zurücknehmende Hit ist der Höhepunkt von Görls erstem Solo-Album „Night Full of Tension“ (1984), erschienen quasi unmittelbar nach der (ersten) Auflösung von DAF. Eine verspielte und heitere, beschwingte Platte, gemeinsam mit Annie Lennox entstanden.
Am Ende bleibt es ein ambivalenter Abend. Die Kraft dieser Band mit Gabi Delgado – Es war mit der heutigen Performance von Görl und Marks eine andere DAF, vielleicht so wie die vielen unterschiedlichen Phasen der Band, ist es nun eine neue, völlig andere. Unbestritten ist und bleibt jedoch Robert Görls immens bedeutendes Werk mit DAF als eine der wichtigsten und prägendsten Bands Deutschlands. Wie Ted Gaier von den Goldenen Zitronen vor über 20 Jahren treffend schrieb:
Eine neue Musik schien aufzuräumen mit allem Miefigen, Langhaarigen und Selbstgefälligem. (…) Das war der der Stoff, der langhaarige Friedensbewegte und gutbürgerliche Häuslebauer:innen gleichermaßen rotsehen ließ.
Gut so. Gut, dass es DAF gab und gibt. Es bleibt eine Band mit enormer Nachwirkung.
Sehr schade, dass Twin Noir nicht mal eine Erwähnung in eurer Review findet!
Grüße, Bernd
Hallo. Also. DAF schön und gut. War auch ganz arg toll. Aber eine Frage hab ich: Habt ihr eigentlich den Arsch offen, kein einziges Wort über die überkrasse Performance von Twin Noir zu verlieren?
Die Jungs haben erstens unnormal abgeliefert und zweitens ganz nebenbei auch dafür gesorgt, dass es das Event überhaupt gab (um an diese Info zu kommen, muss man nicht mal lange recherchieren). Inklusive des Grundkonzepts, dass der ganze Abend über Analog Equipment lief, um den Charme eines 80er Jahre Konzerts zu rekonstruieren.
Aber jo. Absolut feine medien-headline-geile Stuttgarter Berichterstattung. Good Job! :*
PS: Bester Song im Set: „Ich muss raus aus dieser Stadt“
Ich will mich der Kommentarspalte hier komplett anschließen: nicht nur schade, ich kann mir keinen erdenklichen Grund nennen hier kein Wort über die fantastische Show und Organisation der Band Twin Noir zu verlieren. Alles sonst schön und gut, aber das finde ich zum schämen.
Liebe Grüße, aus Stuttgart!
Leo