PUBLIC IMAGE LTD, UNBITE, 06.10.2023, Im Wizemann, Stuttgart
Nicht zwangsläufig, aber sehr wahrscheinlich, werden viele Konzertberichte über Public Image Ltd / PIL mit jener anderen Band anfangen, die natürlich auch von Johnny Lydon an diesem Abend erwähnt wurde und als Elefant im Raum die ganze Zeit anwesend war: The Sex Pistols. Ihr gab er den Song „Shoom“ (Fuck you, Fuck off etc.). mit auf den Weg. Schon damals war die Trennung nicht einvernehmlich und die Streitigkeiten ziehen sich bis in die heutige Zeit. In seinem neuen Song LFCF des guten aktuellen Albums „End of World“ bezeichnete er die Pistols als „Liars, Fakes, Cheats and Frauds“. Abgesehen von der Vergangenheit, dürfte der aktuelle Rechtsstreit der Grund sein, mit dem Lydon verhindern wollte, dass die Songs der Sex Pistols für die Disney-Plus-Miniserie „Pistol“ genutzt werden.
So oder so: Zu eng ist die Geschichte von Lydon mit dieser Band verwoben, die als Gesamtkunstwerk einen zu großen Impact auf die Popgeschichte hatte, als dass man sie unerwähnt lassen könnte.
Inwieweit den Sex Pistols die Ehre zukommt, tatsächlich den Punk erfunden zu haben oder sie nicht vielmehr eine von Malcolm McLaren gecastete Boyband waren, die Punk nur performten, während die Ramones früher und weit ab von kulturindustriellen Erwägungen angefangen haben, dem miefigen Genre „Rock“ zusammen mit Bands wie Talking Heads, Television oder Blondie etwas anderes entgegenzusetzen, das dann schließlich mit Punk und New Wave etikettiert wurde – die Diskussionen darüber sind zahlreich und auch im Jahre 2023 noch im Gange.
Jedenfalls steht mit Lydon eine zentrale und wichtige Figur der Popkultur auf der Bühne und das Wort „Legende“ fiel nicht nur einmal bei diesem Konzert.
Was aber auch nicht unerwähnt bleiben sollte ist, dass Johnny Lydon nicht ganz von dem Phänomen verschont geblieben ist, das vor allem bei Männern ab Mitte 50 in Erscheinung tritt und immer mehr um sich zu greifen scheint, hier in Deutschland von Protagonisten wie Dieter Nuhr angeführt wird, international bei Roger Waters von Pink Floyd anfängt und bei Morrissey endet: dummes, wirres Zeug reden. Lydon hat sich für den Brexit ausgesprochen und vergisst nicht bei jeder ihm sich bietenden Gelegenheit zu erwähnen, wie großartig er Donald Trump findet. Freilich, was daran nur Provokation und Promotion ist, mag man nicht beurteilen, der britische Komiker Ricky Gervais hat dies so kommentiert: „Es gibt da diesen verrückten Mythos, dass Punk eine linke Revolution gewesen sei. War es nicht. Es war Rock’n’Roll mit Sicherheitsnadeln. Jede Art, dir auf die Nerven zu gehen, war ihnen recht. Und er macht es immer noch.“
Großen Respekt sollte man jedenfalls vor der Tatsache haben, dass Johnny Lydons persönliche Geschichte eben nicht mit der von den Sex Pistols endet, sondern er nach ihrer Trennung Public Image Ltd. gründete und vierzig Jahre später immer noch unerschütterlich auf der Bühne steht.
PIL war von Anfang an erfolgreich, der Song „Public Image“, der an diesem Abend als Zugabe gespielt wurde, wurde gleich ein Hit, wenngleich die noch größeren mit „This is not a Love Song“ und „Rise“ in der Hochphase der 80er folgen sollten. Mitte der 90er wurde die Band aufgelöst und 2009 wieder erfolgreich reanimiert.
Die Stuttgarter Unbite eröffneten ganz wunderbar den Abend und Sängerin und Bassistin Daniela Schübel ließ sich auch nicht von Saitenproblemen mit ihrem Bass beirren. Nach kurzem Suchen nahm sie den von PILs Bassisten Scott Firth und setzte den Support fort. Dieses Bassinstrument sollte im Laufe des Abends noch eine besondere Rolle einnehmen.
Unprätentiös betraten danach die vier Mannen die Bühne und eröffneten mit „Peng“ diesen Konzertabend. Die Zeit des hektischen herumwirbeln auf der Bühne, das war von Anfang an klar, sind für Lydon vorbei, was dem guten Konzert keinen Abbruch tat. Die Performance von ihm hatte, will man denn einen Vergleich ziehen, eher opernhafte Züge. Lydon in der Mitte mit Libretto, von der aus er im minimalen Radius die dann doch bekannten Grimassen und Körperzuckungen ausführte, umkreist von wirklich sehr guten Musikern.
Von Anfang an ging eine unterkühlte und dystopische Ästhetik von der Bühne aus und ich meine das im besten Sinne. Der Titel der Tour und des gleichnamigen Albums „End of the World“ war Programmatik und Taktgeber war Scott Firth und sein grollender Bass, der gnadenlos Song für Song anschob und zusammen mit dem maschinenhaft präzisen Drummer Bruce Smith einen Sog entwickelten, der den ganzen Abend anhielt und mit „Rise“ nach gut eineinhalb Stunden endete.
„I could be wrong, I could be right“ – für Lydon sicher mehr als nur ein Songtext zum Abschluss und er ließ es sich nicht nehmen zu versprechen, nächstes Jahr – „same time, same place“ – wieder in Stuttgart vorbeizuschauen.
Bis dann, Johnny!