SIDO, 25.11.2019, Porsche-Arena, Stuttgart
Wisst ihr noch, wie damals alles anfing?
Eine Plattenfirma, mit Mut zum Risiko. Ein dicker Schwanz in eurem Arsch, Aggro Berlin und so.
Der süßlich verlockende Duft aus den Raucherecken in den großen Pausen Mitte der Nuller Jahre und immer auf Repeat, aus schlecht verkabelten Anlagen in Motorrollern, liefen diese aggressiven Hooklines aus Berlin und gefühlt jeder, der dazu gehören wollte, hatte ein Sägeblatt um den Hals hängen. Die ganz Tighten hatten es da bereits tätowiert.
Zu dieser Zeit wollte jeder in ‘nem Block wohn‘ und seine Drogen oben im siebten Stock hol‘n
Und heute Abend? Ganze 17 Jahre nach Aggro Ansage Nr.1 in der ausverkauften Porsche Arena duftet es wie erwartet vor dem Eingang aus allen Richtungen nach Odd. Die Alterspanne zieht sich von ganz jungen, unschuldigen Astronaut-Fans bis zu bereits ergrauten Royal Bunker und AIDS Liebhabern. Der SIDO 2019 ist natürlich nicht mehr dieser asoziale „Proll und Prolet, einer den sie nich‘ mehr woll‘n beim Comet.“ Doch die Berliner Schnauze des Goldjungen ist allem Geld und Erfolg zum Trotz immer noch weit aufgerissen.
Und dann rutscht mir hier und da mal ein Wort raus
Mit einem vielleicht nicht so angebrachten Wortlaut
Doch weil ich da keine Angst vor hab
Komm‘ ich sogar zu dir und hol mir meine Antwort ab
Bevor Siggi das Mic an sich reißt, dürfen auf der B-Stage mitten im Publikum erstmal seine Supports ran. Estikay, Beka, Harris, Bozza und Yoni. Letzterer ist ein echter Stuttgarter Junge aus Feuerbach und geht mir direkt auf den Sack mit diesem brutal nervenden Autotune. Auch nach längerem Überlegen komme ich einfach nicht darauf, wie jemand zu der Entscheidung kommt, dieser Gesangseffekt könnte einen Song auf irgendeine Weise aufwerten, also geh ich mir was zu trinken holen. Die anderen Jungs liefern ziemlich tighten, aber nicht außergewöhnlichen Hip Hop, der die Köpfe zustimmend zum Nicken bringt. Der Sound in der Halle knallt unglaublich gut, heute Abend ist ordentlich Bass am Start und alle sind bereit durch eine Ära aus Drogenverherrlichung, Sexismus, Reue, Erwachsenwerden und Altersmilde zu reisen.
Die seltsame Rauten-A-Stage wird von einem XXL-Vorhang bedeckt und kurz nachdem das Licht erlischt, kommt Papa durch einen Schlitz auf die Bühne und erklärt erstmal Wie Papa es macht.
Ich bin dieser Rapper mit den Radiosongs.
Spiel die großen Hallen,
mir ist egal, ob du kommst
Dem Anlass entsprechend lässig in Jogginghose, Basecap und Sonnenbrille. Diese wird auch den Rest des Abends aufbleiben. Gras macht ja ätzend lichtempfindlich. Man hört schon recht früh heraus, dass die Stimme heiser ist, aber Sido sagt selbst, er gibt heute alles, scheiß auf Luxemburg am nächsten Tag. Nach den letzten Zeilen des ersten Songs verschwindet Sido wieder hinter den Vorhang und der zweite Song ist gleich mal Mein Block und ein unglaublicher Lärm und Jubel schwillt in der Arena an. Es sei gleich ein Test zu Beginn, meint er, um herauszufinden, wer ihn schon von früher kennt und wer erst mit den Radio-Hits bei ihm gelandet ist. Scheinbar waren alle vor 14 Jahren schon am Start. Der Vorhang fällt und auf der Bühne ist – Nichts. Nur Sido. Und das reicht. Sido und jede Menge Bass und glasklarer Rap. Schon beim zweiten Song wird mit dem Publikum der Lautstärke-Test gemacht und die Leute auf den Rängen werden auch sogleich als alte Säcke oder die Eltern von den Kindern vor der Bühne abgestempelt, die von uns unten im Stehbereich eiskalt gefickt wurden. Mit Strassenjunge folgt gleich der nächste Hit aus meiner Jugend und ich kann immer noch jede Zeile auswendig, weil es damals wie heute einfach absolut real klingt.
Ich bin nicht böse, ich tanz‘ nur ab und zu aus der Reihe
Doch ich pass‘ auf, dass ich verhältnismäßig sauber bleibe
Ich hab‘ ’ne weiße Weste, okay, vielleicht hat sie Flecken
Ich bin ein Ghetto-Kind mit Bierfahne und Adiletten.
Die ersten fünf Songs werden alle mehr oder weniger nur für die ersten paar Strophen angespielt und so geht die Reise erstmal zurück in die tiefste Aggro-Berlin-Phase und gemeinsam mit Harris gibt es Halts Maul, Ackan und den absoluten Über-Prollsong Fuffies im Club auf die Ohren. Ich glaube dieser Song war damals mitverantwortlich dafür, dass Sido in die Top Ten der meist nervigsten Deutschen aufstieg. Aber:
Ich schmeiß‘ mit Geld weil’s der Frau gefällt!
Ich kann’s mir leisten, weil ihr Mann mein Tape bestellt!“
Wer kann, der kann. Doch genug von den damaligen Hochgenüssen lyrischer Romantik. Dieser Sido ist schon lange Geschichte und tatsächlich ist auf den letzten Alben alles viel nachdenklicher, ruhiger und resümierender geworden. Wir waren ja alle mal jung und haben Dinge getan, die wir heute sicherlich anders angehen würden. Doch auch, wenn alles ein wenig ernster und besonnener geworden ist, liefert Sido mit Leben vor dem Tod von seiner neuen Platte wieder so einen Song, dessen Inhalt man bedenkenlos zustimmen kann. Leider kommt Monchi von Feine Sahne Fischfilet dabei nur vom Band, aber Sido gibt sein Bestes, mit Hilfe von DJ Desue, den gesanglichen Teil wohlklingend zu performen.
Natürlich macht auch Sido sich in der Mitte des Sets auf zur kleineren Bühne in der Hallenmitte. Als Überbrückung läuft derweil auf den LED-Wänden ein Video mit der Anleitung, wie man die Russenhocke richtig macht, um sich nicht zu blamieren und vor allen Dingen, wie man Bljad richtig ausspricht. Bildungsauftrag auch erfüllt. Wieder gibt es ein kleines Hook-Verse-Hook-Medley zusammen mit seinen Supports, und Michael Jordan würde sich sicher freuen, wüsste er, dass Sido ein Loblied auf seine Signature-Nikes geschrieben hat.
Tret mir nicht auf meine Jordans
10 Meter Radius, halt Abstand du Drecksau
Die Schuhe seh’n wie geleckt aus, mach kein‘ Fleck rauf
Und dann freue ich mich auf meinen Sido-Lieblings-Song. Ich habe schon ein Grinsen ins Gesicht bekommen, als ich ihn vorab auf der Setlist gelesen habe. Auf der kleinen Bühne grüßt Sido auch mal die hinteren Ränge, erkundigt sich, ob alles cool ist, wobei es ihm aber eigentlich scheißegal ist und setzt zu Schlechtes Vorbild an. Ein Lied wie gemalt, das jeder Mutter die Wutadern auf der Stirn anschwellen ließ und jeder Möchtegern Schulgangster sich sagte: So mach ich es.
„Ich hab kein‘ Respekt, ich bin zu keinem nett
Und wenn dein neues Handy weg ist, hab ich’s eingesteckt
Ich bin ein Rüpel, ein Raudi und ich kann Nerven sägen
Gib mir ’ne Glotze und ’nen Joint, ich brauch nicht mehr zum leben
Den Weg zurück auf die Hauptbühne geht Sido durch die Menge. Das ist ein langer Weg voller schwitzender Menschen, die alle mal einen Teil von Schlechtes Vorbild ins Mikro singen/rappen/lallen/brüllen dürfen. Ganz David Copperfield-mäßig wurde auf der großen Bühne, während der Blick auf die Kleine gerichtet war, ein Schlagzeug aufgebaut und da sitzt jemand Besonderes. Vom Band kommt Ein Teil von mir für ein paar Augenblicke und dann erklärt Sido, als er diesen Song geschrieben hat, war sein Sohn sechs Jahre alt. Heute sitzt er mit 19 am Schlagzeug, so alt, wie damals Sido, als er ihn bekommen hat. Und zusammen spielen sie Papa ist da und Löwenzahn. Da gibt es doch keine bessere Art seinem Sohn zu sagen, egal was ist, Papa ist da. Natürlich darf auch Astronaut nicht fehlen und Sido entschuldigt sich bereits vorab, genauso wie bei Tausend Tattoos, dass die Songs sicherlich dem einen oder anderen schon richtig auf die Eier gehen, weil sie gefühlt überall rauf und runterlaufen. Mit einem Augenzwinkern, er macht ja gut Kohle damit, um sich mal einen Trainingsanzug von Gucci zu gönnen.
So. Im Großen und Ganzen wars das nun eigentlich. Super Show, super Stimmung. Die Stimme hat gehalten und keiner wurde verletzt. Wir können dann gehen.
Achja…
Den Leuten fällt es auf wir reden ständig über Scheiße
Egal ob flüssig, fest, braune oder weiße
Sie fragen, ob ich nur über Analsex reden kann
Doch es geht nicht anders, ich bin der Arschfickmann
Seit diesem Tag sing ich den Arschficksong
Und der geht…
Dadadadadadaaaa… dadadadadadaaaaa…
Natürlich durfte dieser Song nicht fehlen. Die Eltern werden ihren Kindern vielleicht ein wenig etwas zu erklären haben auf dem Heimweg, aber das wird schon. Und wer darüber nicht lachen kann, der sollte sich selbst sagen:
Das ist der Ernst des Lebens?
Erstmal ein‘ bau‘n
Suka Bljad.