ATHENA, 17.03.2019, LKA, Stuttgart
Ein Ska-Punk-Konzert am Sonntagabend? Im LKA? Oha! Da braucht es schon aber einen ganz schön mutigen Veranstalter. Sollte man meinen. Zumal die Veranstaltung recht spärlich beworben scheint. Und dennoch ist die große Halle zu gut zwei Dritteln gefüllt. Athena ist im Haus. Und wir befinden uns inmitten einer rauschenden Party. Mit einem Publikum, dass die Band feiert wie Superstars und das jeden Song komplett mitsingt. Wie kann das alles sein?
Ganz einfach: Athena ist eine türkische Band, und zwar eine sehr bekannte. Zumindest in der Türkei – und damit auch in der lokalen türkischen Community. Dort gibt es wohl Kommunikationskanäle, mit denen der deutsche Ska-Fan nicht erreicht wird. Und unsere Vermutung, dass wir ohne Türkischkenntnisse in der Minderheit und vielleicht ein wenig verloren sein könnten, bestätigt sich dramatisch. Mit einer Ausnahme sind nämlich alle Titel in türkisch, ebenso die Ansagen und der Dialog mit dem Publikum. Bis auf „Mein Bruder ist lustig“ und „Dankeschön“ hören wir von der Bühne kein deutsches oder englisches Wort. So rustikal die Özoğuz-Zwillinge und ihre Band auch aussehen (Rancid oder Sublime lassen grüßen), so unerwartet elegant ist das Publikum: zu Dreivierteln junge Frauen und Mädchen, die sich extra schick gemacht haben.
Aber die Sprache der Musik ist bekanntlich international, der Offbeat geht ohnehin weltweit direkt in die Beine und die Begeisterung ist absolut ansteckend! Hunderte von Händen sind permanent in der Luft. Entweder zum Mitklatschen oder zum Handyfilmen. Und das nicht ohne Grund. Die Band reißt vom ersten Moment an mit. Ok, die Rock-Titel haben eine gewisse Tote-Hosen-Haftigkeit, aber sobald es Richtung Reggae und Ska geht, ist die Rhythmus-Sektion unschlagbar gut. Hakan Özoğuz spielt die schärfste Offbeat-Gitarre vom Bosporus, Drum & Bass sind mit vom Feinsten, was ich in diesem Genre gehört habe. Das Keyboard synkopiert federleicht dazu und Gökhan Özoğuz mit seiner rauhen Stimme und seinen raumgreifenden Tanzeinlagen ist ohnehin der geborene Frontmann. Nur einen winzigen Makel hat der Auftritt: Aus unerfindlichen Gründen gibt es zwischen den Songs immer ein, zwei Minuten Untätigkeit auf der Bühne, womit leider auch immer ein bisschen Tempo verloren geht.
Nichtsdestotrotz: nach einem etwas ruhigeren Mittelteil (vermutlich mit etwas traditionelleren türkischen Liedern, die jedenfalls ausnahmslos inbrünstig mitgesungen werden) drehen Athena nochmal richtig auf. Und natürlich kommt dann auch „For Real“, der Hit, mit dem Athena beim Eurovision Song Contest 2004 die Türkei als Gastgeberland repräsentierten. Das ist aber bei weitem nicht der heftigste Titel im Programm, und während sich bei den Uptempo-Titeln wie „Kafama Göre“ oder „Holigan“ sonst schon längst ein beängstigender Moshpit entwickelt hätte, wird hier fröhlich gehüpft und getanzt. Zwei junge Frauen sehe ich tanzend vor mir, die eine mit Spaghetti-Tanktop und Doc Martens, die andere mit Hidschab und traditioneller Kleidung. Besser kann man den Abend nicht in einem Bild zusammenfassen. Und als wir nach mehr als zweieinviertel Stunden das LKA verlassen, freue ich mich, nicht nur einen fulminanten Gig mit vielen Gänsehautmomenten gesehen zu haben, sondern auch einen spannenden Einblick in die türkische Konzertszene bekommen zu haben.