NIKKI LANE, RUBY BOOTS, 30.05.2017, Goldmark’s, Stuttgart
Wenn sie nächstes Jahr wieder in Stuttgart spiele, möchte sie aber bitte im größeren Saal nebenan oder noch besser, draußen, irgendwo im Freien auftreten. „Because it‘ way too hot“. Recht hat die schlanke Frau mit den schwarzen Haaren und stechend blauen Augen. Der Schweiß läuft in Strömen und Bierausdünstungen dampfen durch den Raum. Für einen hochsommerlich-schwülen Dienstagabend ist das Goldmark’s, jener ideale Ort für wilde Konzerte in Stuttgart, gut besucht. Spätestens nach ihrem letztjährigen Stuttgart-Debüt hat sich auch über den Rolling-Stone-Leserkreis hinaus herumgesprochen, dass kaum jemand derzeit spannenderen Country-Rock spielt als Nikki Lane. Und nachdem sie ob der Hitze etwas bräsig beginnt, nimmt das Konzert schnell fahrt auf und liefert den passenden Soundtrack für die geradewegs südstaatlich-gewittrige Atmosphäre vorm und im Club. „Highway queen don’t need no king“, singt Lane und beschwört ihr Bühnen-Alter-Ego herauf, schließlich ist „Highway Queen“ auch der Titel ihres aktuellen, gefeierten dritten Albums und steht in Intarsien auf dem Griffbrett ihrer Gitarre. Ja, Lane füllt die Rolle der im Country viel zu lange unterrepräsentierten emanzipierten Frau mit großen Songs, Gesten, herrlicher Selbstironie und postfeministischer Haltung: „It ain’t who she loves, it’s who she’s holding“.
Die in North Carolina aufgewachsene 33-Jährige, die in New York und LA lebte und, wie allenthalben erzählt wird, erst spät zur Musik fand, ist seit einigen Jahren in Nashville angekommen und, obschon unheimlich hübsch und in Latzhose und gestreiften Shirt auch modisch eine exzellente Figur machend, so viel mehr als die Südstaaten-Schönheit, zu der sie gern stilisiert wird. Vielmehr hält Lane schließlich die weibliche Selbstbestimmung hoch, die Loretta Lynn, aber vor allem Dolly Parton und Emmylou Harris im Country angedeutet haben. Und obendrein ist sie wie die Letzgenannten eine großartige Songwriterin.
Doch vom traditionellen Country und auch der Outlaw-Bewegung eines Waylon Jennings oder Willie Nelson, zu der sie gern gerechnet wird, entfernt sie sich zumindest in der wilden Performance im Goldmark’s ein ganzes Stück. Früh wischt sie sich den Schweiß von der Stirn und wundert sich, warum in deutschen Clubs Klimaanlagen nicht so verbreitet sind wie in den Staaten. Ihr Bassist und Gitarrist lösen das Problem ganz pragmatisch, indem sie mit zunehmender Konzertdauer ihre Hemden einfach immer weiter aufknöpfen. Unangehme Machismen sind ihnen aber zum Glück fremd und so tragen die hervorragenden Mitmusiker an Schlagzeug, Bass und (Slide-)Gitarre einen gehörigen Anteil zum Gelingen des Abends bei. Sie treiben den Sound und zeigen problemlos, warum Country-Rock in 70ern mal eine große Sache war.
„700.000 Rednecks“ kommt mit markerschütterndem Schrei als Einstieg so wunderbar rumpelnd daher, wie es der Songtitel verspricht: „Seven hundred thousand rednecks / No, there ain’t no one gonna make me stop“, singt sie, während der Song chaotisch ausufert, um urplötzlich mäandernd zu verstimmen. „Gone, Gone, Gone“ vom Vorgängeralbum ist wohl so etwas wie ihr Hit und wird mit etwas holprigen Start überraschend früh im Set verspielt. Dann beginnt der Abend richtig gut zu werden. „Love’s on Fire“, ein grandioses Duett, singt sie mit ihrem Gitarristen, und weckt nicht nur zufällig angenehme West-Coast-Assoziationen, klingt das Stück doch wie Jackson Brownes „Take it Easy“ – also wie die Eagles in ihrer guten Zeit, und ja, das ist ein Kompliment.
Solide sind die beiden akustischen Solozwischenspiele. Vor allem das auf Zuruf gespielte „Seein‘ Double“ ist wahrlich brillant, ein schönes Stück Pop, näher am Beat der 60er als am Country-Rock der 70er orientiert. Doch Lane liegt ganz richtig, als sie erklärt, beim Spielen habe sie gemerkt, dass der Song mit Band noch besser geklungen hätte. Als diese schließlich zurückkehrt und die so sympathische wie stimmgewaltige Ruby Boots mitbringt, die mit einer überaus ansprechenden Auswahl ihrer einwandfreien Countrysongs das Vorprogramm bestritt und den Rest des Abends als zweite Sängerin bereichert, beginnt mit „Sleep with a Stranger“ die fulminante zweite Hälfte des Konzerts. Lane hat jetzt richtig Spaß, lacht ansteckend laut, kommt ins Plaudern und erzählt unter anderem, wie sehr ihr seit ihrer letzten Tour deutscher Spargel gefehlt habe. Das Konzert wird dabei immer energischer. Aufgrund der deutlicher werdenden Soulanleihen der Songs muss man an Holly Golightly denken. Mitunter wird es gar funky wie im mit Ruby Boots im Duett gesungenen Jessi Colter-Cover „Why You Been Gone So Long“ und das sonst so gefällige „All Or Nothing“ bekommt am Ende ein peitschendes Südstaatenrock-Gitarrensolo verpasst.
Nicht nur die Phalanx treu ergebener Herren sogenannten besten Alters, die das komplette Konzert in der ersten Reihe stehend durch die kleinen Displays ihrer Digitalkameras verfolgen, blicken schmachtend zur Bühne, als das Konzert polternd mit „Right Time“ auf die Zielgrade geht. Als Zugabe „Jackpot“, jene Las-Vegas-Satire, die gleichzeitig das Glücksspieler-Sujet des Country augenzwinkernd in die Gegenwart transferiert, bevor mit Bob Dylans „You Ain’t Goin‘ Nowhere“ im kanonischen Byrds-Arrangement noch einmal die eingangs proklamierte These der Highway Queen aufgegriffen und konterkariert wird: „Whoo-ee, ride me high / Tomorrow’s the day / My bride’s gonna come“ und überhaupt „Buy me a flute / And a gun that shoots“.
Am Ende ist man der Hitze zum Trotz beglückt und stellt noch einmal für sich fest, dass Lane nicht nur tolle Songs schreibt, sondern ihr auch das Spiel mit Country-Stereotypen Dank ihres Charismas mühelos gelingt. Ohne sich anzubiedern hat sie sich in die große Country-Tradition eingeordnet, und wenn sie mit meist geschlossenen oder halbgeöffnenten Augen und kräftiger Stimme singt, klingt das eher nach Maria McKee von Lone Justice als an nach Dolly Parton, wie mir der geschmackssichere und sehr zufrieden wirkende DJ Joe Whirlypop zuraunt. Recht hat er. Genau wie Eric Pfeil übrigens, der uns das Konzert als Pflichttermin empfohlen hat. Die hohen Erwartungen zu erfüllen, war Lane ein Leichtes. Mit ihrer enormen Ausstrahlung, großen Songs und Spielfreude hat sie sich scheinbar mühelos übertroffen. Man darf sich auf das nächste Gastspiel freuen, ob im Goldmark’s, im Universum oder tatsächlich irgendwo unter freiem Himmel.
Ruby Boots
Nikki Lane