DAGOBERT, 28.01.2017, Merlin, Stuttgart
Nur wenigen Musikern wird eine derart intensive Gig-Blog-Berichterstattung zuteil wie dem Schweizer Schlagersänger Dagobert. Alles, wirklich alles ist schon doppelt und dreifach über ihn geschrieben worden. Aus einer Schnapslaune heraus habe ich mich spontan entschlossen, ein zweites Mal meinen Senf dazu abzugeben. Und nun sitze ich hier und frage mich: gibt es überhaupt noch etwas Neues zu berichten? Nicht viel. Es reicht, die Unterschiede zu beschreiben.
Das Setting ist kaum anders als bei meinem letzten Dagobert-Gig 2014. Beide Konzerte finden im Rahmen des Pop Freaks Festivals statt, 2014 ist es der Opener, 2017 das große Finale. Beide Male ist die Bude proppenvoll. Festival-Kurator Arne Hübner lässt es sich nicht nehmen, den Star persönlich anzukündigen. Als alten Bekannten guten Freund des Merlins.
Einen ganz wesentlichen Unterschied gibt es aber: Trat Dagobert beim letzten Mal mit nur einem Begleitmusiker an und spulte den gesamten restlichen Sound als Halb-Playback vom iPod ab, so hat er dieses Mal eine echte – und dazu noch ausgezeichnete – Band mitgebracht. Und so sehr ich eine gute Live-Band normalerweise schätze, in diesem Fall hätte ich gerne auf sie verzichtet.
Der große Spaß beim letzten Dagobert-Konzert bestand für mich darin, gemeinsam mit Künstler und Publikum mit wohligem Schauer auf dem schmalen Grat zwischen Ironie und Peinlichkeit zu balancieren. Jederzeit gewahr in den Abgrund von Kitsch und Plattitüden gerissen zu werden. Das ganze Konstrukt funktionierte nur, weil Talmi-Retorten-Sound und große Gesten in so herrlich schrägem Kontrast standen. Wenn nun aber professionelles Musizieren, technischer Aufwand (wann haben wir schonmal eine Lightshow mitsamt Kunstnebel im Merlin) und Schlagerposen in perfekter Harmonie präsentiert werden, dann ist es halt nur noch das, was es vorher karikierte: ein ganz normales Schlagerkonzert.
Beim Publikum kommt dies trotzdem sehr gut an, lange Textpassagen und die Refrains werden lauthals mitgesungen. Wie früher nimmt dies Dagobert – der übrigens nicht zu altern scheint – mit nahezu unbewegter Miene entgegen. Was ich früher als Bemühen interpretierte, möglichst jeden Eindruck ironischer Distanzierung zu vermeiden, wirkt heute auf mich so, als wenn er dies alles tatsächlich ernst meine. Und ohne diese Doppelbödigkeit bleibt von der Musik nicht viel übrig, was mir Spaß machen könnte. Oder ist diese neue Qualität das Merkmal für die auf die Spitze getriebene Persiflage, die vom Original noch weniger zu unterscheiden und deshalb besonders feinsinnig ist? Dann hätte ich den Witz wohl leider nicht verstanden. Sorry dafür.
Ein bisschen sehe ich es so wie du. Am Anfang war es irgendwie krasser auf einem Dagobert-Konzert zu sein. Weil er so verstört schien und einfach sein Ding durchgezogen hat und keiner im Publikum genau wusste, was das jetzt eigentlich soll, ihm aber jeder zugehört hat, weil er nunmal so schön ist. Dann kam der Mensch für Klavier und Gitarre hinzu, und hat ihn begleitet. Dann die Band (Maxl <3). Und dann ist das so: Dann ist es weniger verrückt und weniger krass und man kann alles mitsingen. Ich weigere mich aber, einfach die Schlager-Schublade aufzumachen und ihn da herzlos reinzudonnern. Wegen Schubladendenken ist nie gut.