HEIMSPIEL KNYPHAUSEN, Tag 1, 23.07.2016, Draiser Hof, Eltville-Erbach
Damit ich ein Festival besuche, müssen relativ viele Komponenten stimmen. Zelten ist nicht wirklich eine Leidenschaft von mir, Horden von saufenden Leuten, denen die Bands egal sind, ebenfalls nicht. Ich weiß, dass es da einige Alternativen gibt, das „Burning Eagle“ oder das „Orange Blossom“, um nur zwei zu nennen. Aber es muss ja auch zeitlich passen, und so wurde es dieses Jahr das „Heimspiel Knyphausen“, welches ein anmutendes Festivalgelände, ein überschaubares Publikum sowie ein spannendes Line-Up verspricht. Dazu noch eine wunderbare Gruppe musikbegeisterter Mitreisender und eine Schlafmöglichkeit im nicht allzu weit entfernten Wiesbaden.
Vor Ort angekommen, überzeugt auf Anhieb vieles: Das Weingut der Familie Knyphausen liegt wunderbar im für den Weinbau bekannten Eltville im Rheingau und die Atmosphäre ist sehr entspannt, was an vielen kleinen Details liegt. Die Mitarbeiter am Eingang, die wenigen Security-Mitarbeiter – alle sind zuvorkommend und beim Anblick des Gutshofes, der Grünanlagen und der Rebstöcke ist der Stress der Vorwoche schon so gut wie abgebaut. Wenige Minuten nach unserem Einlass wartet gleich eine Überraschung: Moop Mama bauen sich vor dem Gutshof auf und verbreiten mit einem 30-Minuten-Set gute Laune. Zusammen mit dem „Pullup Orchestra“ auf dem Marienplatzfest und der „Renegade Brass Band“ als Support von Jamie Cullum bei den „Jazz Open“ sind die Münchner schon die dritte Band, die ich innerhalb eines Monats erlebe, die auf die Karte „Brass-Band“ mit Rap setzen und dabei mit musikalischem Können (seitens der Bläser und Drummer sowie der Rapper) und Gewitztheit aufwarten können. Das Publikum würdigte sie während des ersten und späteren Gigs abseits der eigentlichen Bühne mit gebührender Begeisterung.
Auf deutlich weniger Begeisterung trifft bei mir dann der erste angekündigte Act, der die Bühne betritt, Mark Berube aus Kanada, zumeist am Piano, zusammen mit Kristina Koropecki am Cello. Da bleibt leider nicht viel hängen, muss ich sagen. Schwerfällige, sich ziehende Songs bestimmen sein Set und die dazwischen getätigten Ansagen lassen vermuten, dass backstage bei Herrn Berube nicht nur der Hauswein des Barons zu Knyphausen konsumiert wurde. Erst gegen Ende geht er etwas aus sich heraus, greift sich die Akustikgitarre und das Ganze wird erheblich hörbarer. Insgesamt aber eher ein musikalisches 37°-Sole-Becken, aus dem man nun äußerst gerne in das Eiswasser-Becken der „Die Nerven“ hineinspringt, um ein vielleicht etwas schiefes Bild zu bemühen.
Auf meinem erst zweiten Gig der Stuttgarter Band Die Nerven nach dem Abschluss ihrer letzten Tour im Club Universum sind meine Erwartungen äußerst hoch. Das Taschentuch für etwaigen, spontan nötigen Hörschutz ist bereit, der Platz vor der Bühne gesichert, bereit für die Klangwucht des umtriebigen Trios. Und schon während des ersten Songs „Albtraum“ zieht Schlagzeuger Kevin Kuhn verrückte Grimassen, während er präzise den Song nach vorne drischt, und Bassist Julian Knoth sieht, seinem Blick nach zu urteilen, am Horizont vermutlich die apokalyptischen Reiter heranstürmen. Max Rieger lässt derweil unverdrossen die markant schroffen Gitarrensounds hervorkreischen. Aber trotz allem hat es nicht die Wucht, die mir seit Dezember immer noch in den Ohren klingelt. Das liegt nicht an den drei Jungs auf der Bühne – nein, sie geben alles, hauen sich rein, erzwingen zwischendrin wieder eine angespannte 30-sekündige Ruhepause vor dem nächsten Sound-Gewitter und haben mit Johnny und dem Zonk sogar noch Verstärkung aus der Heimat auf der Bühne, der sogar mit aufs Fell schlagen darf. Und so jagen sie bewährt den Sound in ihre Instrumente. Doch was vor der Bühne ankommt, klingt wie eine Ausbremsung von adrenalinfördernden 200 km/h auf übersichtliche 120. Und übersichtlich sollte ein Auftritt der Drei einfach nicht klingen, jedenfalls nicht mit diesem energiegeladenen Songmaterial und diesem Enthusiasmus, den sie auf die Bühne bringen. Auch der Text dürfte in Reihe drei vor der Bühne gerne verständlich sein. Schade, dass dies den dafür zuständigen Leuten am Sound nicht gelingt. Dazu kommt der Nachteil (den es auch schon für Mark Berube zu bewältigen galt), dass der Platz für die beiden ersten Acts äußerst beengt erscheint, was an den schon auf der Bühne stehenden Instrumenten für Sophie Hunger liegt. Was die These des nachteiligen Sounds bei Die Nerven unterstützt, ist der unglaublich präzise und präsente Sound beim den ersten Tag beschließenden Act Sophie Hunger. Welche Ursache diesem deutlichen Unterschied zu Grunde liegt, vermag ich nicht zu sagen, schade für Die Nerven ist es allemal.
Nach eifrigem Testen hat sich unsere illustre Festivalrunde auf einen weißen Rebensaft verständigt, der bei der schwülen Witterung schnell getrunken werden will. Fachgespräche werden geführt über die gesehenen Bands, Spekulationen über die Krücken des Junior-Gastgebers Gisbert getätigt, bewundernd über das knyphausen-eigene Weingut flaniert und vorfreudig über das Konzert der Schweizerin vergangenes Jahr Im Wizemann berichtet. Äußerst angenehm lässt sich das alles an und als Sophie Hunger die Bühne betritt, hat die Dämmerung bereits eingesetzt und es erheben sich nun auch alle von ihren Picknickdecken, die zahlreich vor der Bühne ausgebreitet wurden. Und Sophie Hunger haut mich und alle Anwesenden auch dieses Mal wieder um. Das Bühnensetting ist gleich, wieder sind die vier Mitmusiker mit einzelnen Scheinwerfern ausgeleuchtet und zusammen mit der Dämmerung und den nahenden Regenwolken, entsteht eine wunderbare Stimmung. Das alles trägt zu einem grandiosen Auftritt bei, aber vor allem ist dieser der überzeugenden Vorstellung Sophie Hungers und ihrer Band geschuldet, die sich heute noch etwas spielfreudiger zeigt als im November in Stuttgart, was die einzelnen Songs variantenreicher erscheinen lässt. Ich schätze jede und jeder wird an diesem Abend von den fünf auf der Bühne in den Bann gezogen. Begeistert von Sophie Hungers Bühnenpräsenz und ihrem variantenreichen Singen, den präzise groovenden und in den richtigen Momenten ausbrechenden Mitmusikern, den geistreichen Texten und der Spiellust, trifft dieser Auftritt auf einhellige Begeisterung und lässt (zusammen mit einer letzten Flasche Weißwein) den Heimweg in die hessische Landeshauptstadt noch kürzer wirken.
Sophie Hunger
Die Nerven
Mark Berube
Moop Mama