NITS, 27.10.2015, Im Wizemann, Stuttgart
Die Nits? Da war doch was… Ist das nicht dieses holländische One-Hit-Wonder? „In The Dutch Mountains“. Soso, machen die jetzt auch eine altersversorgungs-sichernde Revival-Tour? Weit gefehlt! Wenn die Nits auf einer Liste ganz oben stehen, dann auf der mit den unterschätztesten Bands aller Zeiten. Die Holländer haben in den letzten einundvierzig Jahren ein opulentes Œuvre mit sage und schreibe einundzwanzig Studioalben geschaffen, erfreuen sich einer eingeschworenen Fan-Gemeinde und touren unermüdlich. Im Rahmen ihrer aktuellen „Hotel Europa“-Tour finden sie endlich auch nach Stuttgart. Dem Wizemann sei Dank.
Wie zu erwarten hat sich ein Publikum eingefunden, dass die Nits wohl seit den Anfangstagen in den frühen Achtzigern kennt. Gut 250 Zuschauer dürften es sein, grau ist die vorherrschende Haarfarbe. Einer der wenigen Gigs, bei denen die Gigblog-Senioren den Altersschnitt nicht nach oben verschieben. Der kleine Club ist – ganz altersgemäß – bestuhlt. Für die rüstigeren Fans sind Stehtische aufgestellt.
Im Vorprogramm lernen wir aber erstmal den Schweizer Figaro Sportelli kennen. Solo, barfuß und mit Gitarre betritt er die Bühne unter freundlichem Applaus. Und er verblüfft uns mit einer Spieltechnik, die aus der Gitarre quasi ein Cajon mit Saiten macht. Mit einer raffinierten Schlagtechnik – die Finger schnalzen zum Beispiel einen Rimshot auf die Gitarrenkante – sowie einer Mischung aus Zupfen und Tapping entlockt er seiner Akustik-Gitarre einen ganz eigenen Sound. Schöne, einfache Folks-Songs bringt er zu Gehör, bewirbt noch kurz sein aktuelles Album, das man als Vinyl zum selbstgewählten Preis erstehen kann, und verabschiedet sich nach einer halben Stunde ins Galao, wo er noch einen zweiten Gig spielt.
Die Nits, das sind seit 1974 Henk Hofstede (Gesang, Gitarre, Keyboard) und Rob Kloet am Schlagzeug. Vergleichsweise frisch in der Band ist der Keyboarder Robert Jan Stips. Er bedient die Tasten „erst“ seit 1981. Alle drei sind deutlich über sechzig und geben sich – erfrischend anders als manch anderer Musiker – überhaupt nicht berufsjugendlich. Hofstede tritt stilvoll im grauen Anzug und weißen Hemd auf, und selbst am Ende des knapp zweistündigen Sets erlaubt er sich noch nicht mal das Ablegen des Jackets.
Die drei musizieren – wie sollte es nach all den Jahren auch anders sein? – perfekt zusammen. Es ist erstaunlich, dass der manchmal geradezu orchestrale Sound von nur drei Musikern produziert wird. Wobei Kloet ein äußerst variantenreiches Schlagzeug-Repertoire vorführt und Stips mit seinen zwei Synthesizern nicht nur die Bass-Begleitung sondern auch jegliche Art von Keyboard-Sounds produziert (hier hätte ich übrigens gerne auf den ein oder anderen cheesy Sound aus den Neunzigern verzichtet).
Die Musik ist stilistisch nur schwer einzuordnen. Natürlich lässt sich alles unter der Rubrik „Pop“ versammeln, im Laufe des Abends finden wir aber mannigfaltige Einflüsse – von New Wave über Folk, Honkytonk bis hin zu Brecht-Weill’scher Dramatik. Hofstede ist ein äußerst agiler Frontmann, spielt diverse Gitarren und Keyboard, plaudert und scherzt auf deutsch und englisch. Er erklärt die auf dem Backdrop laufenden Visuals („Blicke aus den Hotelzimmern ihrer vielen Touren“), präsentiert Hintergrund-Informationen zu ihren Songs, deren Markenzeichen sicher die intelligenten und lyrisch-assoziativen Texte sind.
Vierundzwanzig Titel spielen die Nits im Laufe des Abends. Aus allen Schaffensperioden der letzten vier Jahrzehnte. Vom 1980 erschienenen „Office At Night“ bis zu dem Publikumsliebling „Schwebebahn“ von ihrem letzten Album „Malpensa“ (2012). Hofstedes Stimme ist zwar etwas gealtert und braucht zwei bis drei Titel um warm zu werden. Aber dann stellt er sich ein, dieser Flashback in die Achtziger, als seine Stimme gerne mit der des jungen Elvis Costello verglichen wurde.
Die Fans nehmen jeden Titel mit ausgiebigem Applaus entgegen. Natürlich werden „J.O.S. Days“ und „Panorama Man“ vom Hit-Album „In The Dutch Mountains“ besonders beklatscht, aber auch ruhigere Titel wie „Boy In A Tree“ oder „The Bauhaus Chair“ werden gewürdigt. Das offizielle Programm endet mit dem bombastischen „Port of Amsterdam“, zu dem extra eine riesige Pauke herangerollt wird. Und mit stehenden Ovationen eines rundum begeisterten Publikums.
Natürlich gibt es in der Zugabe endlich „In The Dutch Mountains“. Diesen Titel, der die Nits zwar kurzzeitig einem großen Publikum bekannt gemacht hat, der aber leider auch den Blick auf eine großartige Band verstellt hat, die ein derart umfangreiches und vielfältiges Werk geschaffen hat.
Die Setlist
Radio Shoes
dAdAdA
Nescio
Ting
Boy In A Tree
The Bauhaus Chair
Schwebebahn
Soap Bubble Box
Office at Night
The Train
J.O.S. Days
Cars & Cars
Panorama Man
Ice Princess
Bike in Head
Crime & Punishment
Think It Over
Christine’s World
A Touch of Henry Moore
Dapper Street
Port of Amsterdam
Home Before Dark
In The Dutch Mountains
No Man’s Land
Toll! Ich habe die NITS ziemlich genau vor 20 Jahren am 28.10.1994 in einem kleinen Club in Erlangen bei einem beeindruckenden Konzert gesehen und wurde etwas nostalgisch beim Lesen…