ANDY FRASCO & THE U.N., SWIM BIRD FLY, WE ARE RINAH, 08.08.2015, Umsonst & Draußen, Stuttgart
„Superlative sind am schlimmsten“. Grundregel Nr. 7 für gutes Schreiben. Aber ich sag’s gleich: Auf die Regel ist heute gepfiffen. Was der kalifornische Knallkopf Andy Frasco gestern auf dem Umsonst & Draußen veranstaltet hat, hat sich sofort in meine ewige Konzert-Bestenliste katapultiert. Und zwar sowas von! Später mehr davon.
Es gibt einige Musik-Events, Bands und Locations, die für ein Stuttgarter Konzertblog eigentlich ein Muss sein sollten, die aber – warum auch immer – bisher nicht bei uns aufgetaucht sind. Das soll sich ändern. Und das Umsonst & Draußen, das jetzt bereits zum sechsunddreißigsten Mal stattfindet, gehört auf jeden Fall dazu. Höchste Zeit also, nach sechs Jahren Gig-Blog, dem Festival auf der Uniwiese im Pfaffenwald einen Besuch abzustatten.
Schon zu meinen Studentenzeiten stand das links-alternative Festival für drei Tage Party, musikalische Höhe- und Tiefpunkte, Diskussionen um „Verräterbier“, Horden gefährlich aussehender Punks und aus der Zeit gefallener Hippies. Und ich stelle fest: Es hat diesen „Charme“ nicht verloren. Es ist weiterhin demonstrativ nichtkommerziell, eingerahmt von Infoständen aller möglicher Polit-Initiativen. Die Schlangen am Bierstand sind immer noch rekordverdächtig. Wie sich angesichts dieses Versorgungsengpasses das Fest über den Getränkeverkauf finanzieren will, bleibt mir schleierhaft. (Obwohl man den Menschen hinter der Theke attestieren muss, dass sie schaffen wie die Wilden.) Aber sonst passt alles: ein Traumwetterchen (locker fünf Grad kühler als im Kessel) und viel Platz für die Picknickdecken auf der großen Wiese mit Blick auf die Hauptbühne.
WE ARE RINAH
Ich gebe zu: von We Are Rinah habe ich noch nie etwas gehört. Eigentlich schade, denn die Mischung aus Rock, Klezmer und Ska gefällt. Und nicht nur mir. Es dauert nicht lange, und die sechs haben die ersten Tänzer auf die staubtrockene Wiese gelockt. Und Stefan von Stuttgigs raunt mir zu: Wenn man den Klezmer bzw. die Klarinette durch Irish Folk und Geige ersetzt, hätte man soundmäßig (die leider schon längst vergessenen) Coalminer’s Beat beieinander. Kann man so stehen lassen.
SWIM BIRD FLY
Direkt im Anschluss marschieren wir zur Zeltbühne, denn da haben wir die Gelegenheit, gleich mal wieder über eine Stuttgarter Institution zu berichten. Swim Bird Fly, die Band um die Sängerin Barbara Padron-Hernandez und den Gitarristen Johnny Park, hat mich schon mehrfach schwer begeistert, unter anderem bei einem denkwürdigen Gig im völlig überfüllten Galao. Zuerst finden aber nur wenige Zuschauer den Weg ins dunkle Zelt. Im Verlauf des Gigs füllt sich dieses aber immer mehr. Kein Wunder, denn was hier nach draußen dringt, macht neugierig. Anspruchsvoller Indie-Rock mit Ausflügen in Psychedelic, Kraut- oder Postrock und dazu die vermutlich markanteste Frauenstimme Stuttgarts.
Wenn man die hagere Padron-Hernandez sieht, mag man kaum glauben, welch mächtige Stimme diese Frau hat. Sie singt, sie schreit, sie faucht und kreischt. Quasi die südländische Halbschwester von Björk. Sie schmeißt sich in jeden Titel rein und funkelt finster ins Publikum. Keine leichte Kost, aber große Musik. Eine Band, die diszipliniert ihren äußerst dichten Sound produziert und vituose Soli platziert. Grandios! Zum angekündigten Album-Release im Schocken werden wir wieder da sein!
ANDY FRASCO & THE U.N.
Den absoluten Höhepunkt des Abends, Andy Frasco & the U.N., verdanken wir wahrscheinlich Micha Schmidt, Stuttgarts unermüdlichem Veranstalter-Urgestein, der auch Mitorganisator des UD ist. Dreimal schon hatte er den kalifornischen Blues-Rocker mit der markanten Krause in Stuttgart, und jedes mal vor einem minimalen Publikum, wie sich sogar Frasco erinnert. Und dabei soll er, so erzählen damals Anwesende, jeweils eine Live-Show abgeliefert haben, die ihresgleichen sucht. Schwer vorstellbar, aus der Konserve klingt seine Musik doch eher konventionell.
Was sich dann aber in den nächsten fünfundsiebzig Minuten in dem gut gefüllten Zirkuszelt abspielt, ist ein Rockkonzert der absoluten Extraklasse, immer hart an der Kante der kompletten Ausrastung entlang. Kaum sind die sieben Musiker auf die Bühne gestürmt, eröffnen sie mit ihrem programmatischen Track „Smoking Dope ’n Rock’n’Roll“ einen Reigen von krachenden Rock’n’Roll-Nummern, der umgehend den gesamten Laden in Bewegung setzt. Natürlich hat er eine formidable Band dabei – mit Superman am Bass und Eddie Murphy am Saxophon – aber es ist Frasco mit seinem hyperaktiven Rumgehibbel und urkomischen Ansagen, der das Publikum zu immer neuen Höchstleistungen antreibt.
Der Uptempo-Ska „It’s been a Struggle“ ist der erste in einer Reihe unwiderstehlich tanzbarer Titel, der den immer größer werdenden Moshpit in Bewegung hält. Das obligatorische Crowdsurfing zu einer im Publikum platzierten Schnapsflasche gehört ebenso zur Frasco-Konzert-Folklore wie einige heftige Cover-Versionen, in diesem Fall „Fight For Your Right“ von den Beastie Boys und „Killing In The Name“ von Rage Against The Machine. Spätestens jetzt gibt es kein Halten mehr, die Musiker springen herunter in die tobende Masse und holen sich ihre blauen Flecken ab.
Was für ein Glück, dass dies eine der heftigst tourenden Bands überhaupt ist und so freuen wir uns jetzt schon darüber, dass Fresco und seine Mannen ihren nächsten Besuch in Stuttgart schon für Dezember ankündigen. Und wenn dann auch viele, die es jetzt vollmundig ankündigen, doch wieder nicht da sein werden. Wir sind es garantiert.
Kann die Berichte nur unterschreiben!
Mir klingelt von Andy Fresco noch heute der Schädel! Und falls mich das Schicksal im Dezember nicht gerade nach Timbuktu verschlägt, werde ich da sein.
Aber so was von geil dieser Samstag,
swim bird fly höre ich seither ständig, wie eben, und Andy Frasco war wie ein Gewitter, jedoch nicht kühlend im Saunazelt.
Legendär!