BILDERBUCH, ADI ULMANSKY, 25.03.2015, Wagenhallen, Stuttgart

Bilderbuch

Foto: X-tof Hoyer

Bilderbuch hat sich vor einiger Zeit zum Ziel genommen, „mehr Sex in die deutsche Musik zu bringen“. Wenn man dann hört, dass mit Bilderbuch der Soul durch die Jogginghose kommt (Spex), Sprite nun unser Dom Pérignon ist (Zeit) und sie gar die österreichischen Beyoncés sind (Welt) haben sie es wahrscheinlich geschafft. Auf ihre eigene perfide Art und Weise. Zudem sind sie auf den ganz großen Bühnen Deutschlands angekommen.

Aber ganz so einfach zu akzeptieren ist das nicht, wenn man eine Band irgendwann lieben gelernt hat, diese sich seitdem, wie Bilderbuch, aber um mindestens 150° gedreht hat. Aus der sympathischen Jugendband, die über Geschichten aus Bilderbüchern singt, wurde zuerst eine als Geheimtipp gefeierte Indie-Rock Band und nun mittlerweile eine gestandene Art-Pop-Band mit eigenem Genre. Die aber nicht weniger sympathisch ist. Und wenn man dann große Abende wie den heute in den Wagenhallen nicht verpassen möchte, muss man hin und die Entwicklung ganz einfach so hin nehmen.

Adi Ulmansky

Foto: X-tof Hoyer

Die Vorband gibt, so wie auf der (fast) kompletten Tour, Adi Ulmansky aus Israel. Wobei Band ein bisschen zu viel gewollt ist. Adi tanzt zu Elektrobeats aus dem Laptop. Gesang gibt es natürlich auch ein bisschen. Musikalisch bewegt sich das Ganze irgendwo zwischen DJ-Elektro und R’n’B. Viel Konzertstimmung will allerdings nicht aufkommen.

Aber das soll Bilderbuch schnell wieder wettmachen.

Das Intro vom Band hört sich stark nach längst vergessenen Rock-Ikonen an. Und auch das erste Lied ist eine Ode an The Police, Guns n’Roses und Konsorten. Denn der Opener des aktuellen Albums „Willkommen im Dschungel“ fungiert auch live als Anheizer. Eigentlich gar nicht nötig, denn das Publikum ist sofort da und hängt nicht nur an den Lippen von Maurice Ernst. “Du bist hinter meinem Hintern her”, singt er schon im zweiten Lied. Und diese einzige Zeile umreißt den unsubtilen Humor der neuen Bilderbuch ganz gut. Als drittes Lied hauen die vier Wiener den geheimen Hit des neuen Albums „Rosen zum Plafond (Besser wenn du gehst)“ raus.

Bilderbuch

Foto: X-tof Hoyer

Die drei ersten Lieder sind vom aktuellen Album „Schick Schock“. Was auf CD ein wenig dünn und sehr minimalistisch klingt, wird live, vor allem durch einen unglaublich klaren und präsenten Bass und ein sehr voll klingendes Schlagzeug, zu einem echten Brett. Abgerundet von den wuchtigen Gitarrenriffs und der unverwechselbaren Stimme von Maurice Ernst. Insgesamt klingt das Ganze dann, auch wegen der opulenten Schlagzeugfills, wirklich wie bei den ganz großen Rockgrößen. Nur neu und immer mit dem gewissen Etwas. Auch das erste alte Lied „Calypso“ fügt sich in den Elektro-Rocksound der Band perfekt ein. Und spätestens bei „Karibische Träume“ ist auch der letzte Fan der Vorgängeralben abgeholt. Während dem mittlerweile bekannten, aber dadurch nicht weniger genialen, Bongo-Schlagzeug-Part des Liedes singt Maurice: „Schon seit Tagen riecht das Wasser nach Gift, doch wer nicht trinkt der nicht vergisst.“ Diese Zeile verglichen mit dem Verdacht, dass jemand auf seinen Hintern aus ist, zeigt die Wandlung von Bilderbuch: Die Texte waren schon immer abstrakt, aber früher viel unterschwelliger. Nicht so offensichtlich. Heute singt die Band gerade heraus über die ungesunden Softdrinks oder einen verbotenen Spliff. Dazu sind die Instrumentalisierung und die Arrangements auf den ersten Blick viel einfacher. Und elektronischer. Im Ganzen wohl das Erfolgsgeheimnis der Band. Dazu kommt noch der ach so gekonnte Stilmix. Sowohl auf dem Album, als auch live.

Bilderbuch

Foto: X-tof Hoyer

Eben diesen viel beschworenen Stilmix treibt Bilderbuch bei „Gigolo“ komplett auf die Spitze. Zerbrechliches Klavierspiel, Videospiel-Samples und ein Maurice Ernst der wirkt wie die Reinkarnation von Falco. Eine Hymne ans schnelle Leben. Direkt danach kommt mit „Softdrink“ sofort der erhobene Zeigefinger, und Adi Ulmansky, die in dem Lied den Rap-Teil von MC Bishop übernimmt.

Das Feature ist auch eine Demonstration der unglaublichen Bühnenpräsenz von Bilderbuch. Selbst mit auffälligem Outfit und lautem Geschrei geht Adi gegenüber der geballten Manpower komplett unter. Mike Krammer an der Gitarre fasziniert einfach total. Phillip Scheibl am Schlagzeug und Peter Horazdovsky am Bass haben offensichtlich herrlich viel Spaß. Und Maurice Ernst hat selbst beim Spielen von einzelnen Tönen auf seinem winzigen Midi-Keyboard mehr Ausstrahlung als ein ganzer Stall Rampensäue.

Bilderbuch

Foto: X-tof Hoyer

Dass der Sänger bei seiner Bühnenshow irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn pendelt, merkt man immer wieder bei seinen Ansagen. Vor „Plansch“ teilt er uns mit, dass wir auf einer Rock-Messe seien und wir uns nun selber mit dem Lied taufen sollen. Wie genial auch Gitarrist Mike ist, sieht man vor allem bei diesem Gitarrensolo. Und wenn man dann sieht, mit welchem Ego er seinen eigenen Schatten am Dach der Wagenhallen bewundert, weiß man, dass er sich sehr bewusst darüber ist, wie gut das eigentlich ist, was er da gerade macht.

Die Krönung des Konzertes zelebriert Bilderbuch mit ihrem Smashhit „Maschin“. Noch einmal bekommen wir die geballte Wiener Melange zu spüren. Was aber während des ganzen Konzerts schon die besonderen Momente ausgemacht hat, macht auch bei „Maschin“ wieder den Unterschied: die leisen Momente an ungewöhnlichen Stellen. Mal geht es aus einem kleinen Break ganz leise raus. Mal verläuft ein Lied leise im Sand. Beendet wird das Set dennoch mit einem Knall. Wie es sich gehört.

Bilderbuch

Foto: X-tof Hoyer

Eigentlich kann man da nichts mehr draufsetzen. Bilderbuch schon. Mit “Kopf Ab” präsentiert die Band noch einen echten Klassiker (Bilderbuch schrieb das Lied als sie ca. 15 Jahre alt waren). Die Meute flippt aus. Und dann schlägt die zweite große Stunde von Mike Krammer. Den Wohlfühlhit „OM“ eröffnet er alleine mit seiner Gitarre und einigen Loopgeräten. Wie gewohnt herrlich unkonventionell und mit verschrobenem Rhythmus. Ich kann nur noch staunen.

Zum Abgang wieder Stadionrock aus der Dose. „We Are The Champions“ wäre durchaus passend gewesen. Insgesamt einfach krass und immer ein bisschen an der Grenze zum Wahnsinn. Nicht mehr und nicht weniger. Wie man in Österreich sagen würde: bischt deppert!

Bilderbuch

Foto: X-tof Hoyer

Hier für Detailverliebte noch die Setlist:

Willkommen im Dschungel
Schick Schock
Rosen zum Plafond (Besser wenn du gehst)
Calypso
Barry Manilow
Karibische Träume
Gibraltar
Feinste Seide
Gigolo
Softdrink
Ein Boot für uns
Plansch
Joghurt auf der Bluse
Spliff
Maschin
——–
Kopf ab
OM

Bilderbuch

Adi Ulmansky

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