BROILERS, 14.03.2014, MHP-Arena, Ludwigsburg

Broilers

Foto: Dominic Pencz

Der Grund für einen freitagabendlichen Ausgang nach Ludwigsburg sind die Broilers. Nun muss man vielleicht zunächst ein wenig Klarheit ins Noir bringen, bevor man unbeschwert die Musik genießen kann: So mag es gewiss kein Geniestreich gewesen sein, seine Band „Broilers“ zu nennen, wenn man aus dem Düsseldorf kommt, nur damit ein „Oi“ darin enthalten ist. Andererseits muss man in die Gegenwaagschale werfen, dass es eben genau diese Broilers nun seit nicht weniger als zwanzig Jahren gibt und sie trotz ihres bescheuerten Bandnamens mehr denn je Erfolg haben – und zu Recht.

Dann muss man dem „unwissenden“ Konzertgänger (derer es immer mehr werden bei den Broilers Auftritten) noch etwas Szene-Geschichtsunterricht angedeihen lassen: Die Skinhead-Bewegung hat ihren Ursprung in den englischen Arbeitervierteln der 60er Jahre und ist demnach eine offenkundig linke Sache. Aus eben dieser entwickelte sich Anfang der 80er auch die Oi! Szene, in der auch die Broilers groß geworden sind. Und aus eben dieser kommt nun der Vorwurf des Verrats! Ja, richtig gelesen! Denn genau dessen werden die Mannen und die Frau von den Broilers bezichtigt. Seit sie deutlich mehr Platten verkaufen, als sie es sich jemals erträumt hätten. Seit sie es gewagt haben, die Enge der Oi!-Szene hinter sich zu lassen und bereits seit 2010 auch auf größeren Festivals vertreten waren.

Broilers

Foto: Dominic Pencz

Aber der Grund des Grolls ist aus Sicht eines Musikliebhabers wohl eher marginal, denn die vermeintliche Abkehr von Szene-Wurzeln und von der verdammten Sucht nach Rhythmus, Rock und dem Herausschreien von weiß der Teufel welchen Emotionen hin zu Label- und Top-Ten-Hörerkonformen Liedformen aus rein kommerziellen Gründen (was man wiederum nach solch einer langen und superstarlosen Arschaufreißkarriere auch keinem verübeln könnte), ist so nicht nachzuvollziehen. Nein, vielmehr handelt es sich hier um die nicht zu vermeidende Weiterentwicklung von reifenden, höchst professionellen Musikern, die nicht auf der Stelle treten sondern die Fähigkeit besitzen, über den Tellerrand zu blicken. Und dem, was im Fall der Broilers teilweise mit harscher Entrüstung – Ausverkauf, Szeneverrat, Mainstream etc. – quittiert wird, muss man zugunsten der eingefleischten Musiker entgegenhalten: Chapeau! Denn es ist eine durchweg positiv zu bewertende musikalische Entwicklung, die da hingelegt wurde, was jedoch in naturgemäß dogmatisch verhafteten sogenannten Szenen eher mit einem zweifelhaften Blick beäugt wird (was nicht unbedingt für Szenen an sich spricht).

Aber kommen wir doch mal zum eigentlichen Konzert! Nach einer langen Umbaupause mit Vorhangpanne, kann es losgehen. Ach ja: es sei angemerkt, dass die aus Boston stammende Vorgruppe Jaya the Cat, die eine Mischung aus Piraten-Punk-Reggae und Schunkel-Spaß-Punk, welcher von einem grau-vollbärtigen Sänger unbestimmbaren Alters vorgetragen wurde, darbietet, zwar wohlwollend wippend goutiert wird, jedoch nicht davon ablenken kann, weshalb die sogenannte MHPArena ausverkauft ist: den Broilers.

Broilers

Foto: Dominic Pencz

Nach einem eingespielten Intro des Sham 69-Klassikers „If the Kids are united“, einschließlich großflächig projizierter schwarzweiß Bandgeschichte geht es los mit einem Paukenschlag: „Ist Da Jemand“, der aktuellen Single des Noir-Albums, das sechste in der Bandgeschichte. Und ab der erste Note ist das Eis zwischen Publikum und Musikanten gebrochen, das es wahrscheinlich gar nie gegeben hat. Denn das Publikum besteht aus gefühlten 99% Broilerfans, die sich durchgehend als 100% text- als auch pogosicher erweisen. Es wird getanzt, geklatscht, gesungen, Mosh-Pits am laufenden Band abgefeiert und die Laune ist einfach unbeschwert und ausgelassen. Es gibt Hymnen und Sing-alongs, Reggae, Ska und die entsprechende Mischformen mit deutschen, nicht unintelligenten Texten. Dazu kommen immer häufiger die Bandmitglieder an Saxophon und Trompete zum Einsatz, die der Party in der Arena, die sich längst in einen Hexenkessel verwandelt hat, noch zusätzlichen Schweiß treiben lassen. Teilweise erinnern einzelne Songs dann doch irgendwie an die Toten Hosen (zu denen es nicht nur herkunftsmäßig Verbindungen gibt), was der Eigenständigkeit des Broiler-Punkrocks nichts anhaben kann.

Broilers

Foto: Dominic Pencz

Der Stadion-Mitgrölfaktor des Liedguts steigt und man ahnt, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis die Broilers in noch größeren Hallen und auf den ganz großen Open-Airs auftreten werden, nachdem nun „Noir“ ganz vorn in den Albumcharts steht. Auch wenn dies ein bisschen wehmütig macht: Auf der anderen Seite ist es irgendwie auch ein gutes Gefühl, dass sehr viele Leute MUSIK mögen, die echt, authentisch, schweißtreibend und gewachsen und nicht gecastet und gesupervoiced ist! Die harten, tätowierten Jungs (Sammy Amara, Voc. und Git., Andreas Brügge, Drums, Ronald Hübner, Git., Christan Kubczak, Keyboard, Piano, Orgel) und das Mädel (Ines Maybaum am Bass) machen einfach Spaß, sammeln Sympathiepunkte und sind trotz des sehr professionellen Auftretens rotzig, frech, unaufgeregt und erfrischend unkonventionell.

Nach den obligatorischen 90 Minuten geht es zu Ende und die Broilers verabschieden sich von Ludwigsburg – nur um unter durchgängig tosendem Applausgegröle nochmals für weitere 35 Minuten ein echtes Feuerwerk an Zugaben abzufeuern. Natürlich Klassiker ohne Pause und das pogowütige Publikum zeitigt keinerlei Ermüdungserscheinungen und tanzt bis zum bitteren Ende.

Ja! Auch ohne Oi!-Punk-Affinität oder das korrekte Szenegefühl kann, nein sollte man ein Broilerskonzert besuchen! Wer Spaß hat an dieser Mischung aus Punkrock, Ska, Reggae, deutschen Texten mit Witz und Verstand, der muss kein gebürtiger Oi!-Skin sein, sondern wird als Musik- und Live-Fan definitv auf seine Kosten kommen!

Broilers

Foto: Dominic Pencz

2 Gedanken zu „BROILERS, 14.03.2014, MHP-Arena, Ludwigsburg

  • 19. März 2014 um 09:59 Uhr
    Permalink

    Kämen sie aus Schwaben würden sie halt „Göckele“ heißen, aber wo wäre das „oi“ ?

  • 24. März 2014 um 09:04 Uhr
    Permalink

    Goickele, ist doch klar.

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