FAITH NO MORE, 22.06.2009, Jahrhunderthalle, Frankfurt

Faith No More

Foto: Steffen Schmid

Die meisten Reunions stinken. Diese hier aber duftet: Mike Patton, Billy Gould, Mike Bordin, Roddy Bottum und Jon Hudson, die 1997 Faith No More zu den Akten legten, kramen sie nun 2009 wieder aus. Stilsicher, den Arsch noch immer offen, weit draußen und die einzige Band, die das mit dem Crossover je wirklich verstanden hat.

Da kann man schon mal nach Frankfurt fahren. In die Stadt, die wenig versteht von Fußball und auch nicht viel mehr von Wein. Mit der Architektur sieht’s schon besser aus: Die Jahrhunderthalle erinnert von außen an eine sehr große Schildkröte, der jemand einen Kugelschreiber in den Kopf gerammt hat. So was kommt in den besten Nachbarschaften vor. Gerade wenn man den Kopf nicht schnell genug einzieht.

Harmful sind schon drinnen und noiserocken mit sophisticated Brachialgewalt, aber leider wenig Charisma. Funktioniert dann aber doch besser im kleinen Club. Trotzdem: Das bollert wie Kopf gegen harte Gegenstände schlagen. Schön regelmäßig, mit Gefühl und schön humorlos.

Faith No More wiederum können noch immer über sich selbst  lachen. Spielen den Fummel-R’n’B Klassiker  „Reunited“ von Peaches & Herb als Warmmacher. „We’re so excited, because we’re reunited“. Trifft sich gut. Excited ist hier eh jeder. Wer nicht die Arme nach oben reisst und laut brüllt, hat keine oder steht zu dem Zeitpunkt noch in den unmenschlich langen Schlangen an den Getränkeständen. Das sind keine Orte für Euphorie. Der Rest tobt. Völlig zu Recht.

Mike Patton im schicken Anzug hat nix verlernt. Goldkehlchen, der Typ. Der Mann ist Sänger, Schreihals, Rampensau, Dirigent und Entertainer in einem. Coole Sau auch. „Hey, toll, dass ihr euch noch an uns erinnern könnt. Ist schließlich auch schon zwölf Jahre her.“ Dann: Ans-Publikum-Ranschmeissen in Perfektion: „He Du da, dich kenn‘ ich doch. Hattest du früher nicht einen Bart?“. Was das restliche Handwerk angeht, gibt’s eh keine Diskussion: Wenn Patton einen Ton nicht trifft, dann liegt das daran, dass er ihn nicht treffen will. Basta. Setzen. Das ist so ähnlich wie bei Chuck Norris und seinen Roundhousekicks.

Mike Bordin am Schlagzeug hat ebenfalls eine Mordsgaudi. Er rotzt die kompletten 80 Minuten gemütlich auf seine Mitmusiker und trifft auch beängstigend oft. Gerade bei Patton ist das sehr schwierig. Der rennt naturgemäß sehr viel auf der Bühne. Hyperaktiv. Bei „The Gentle Art Of Making Enemies“ schreit er sich die Seele aus dem Leib, dreht sich wie blöd um die eigene Achse, wirft sich auf den Boden und wiederholt dabei immer wieder die Zeile: „Never felt this much alive“. Glaubt man ihm sofort.

Dass der Altersdurchschnitt der geschätzt 6000 Leute im Mittdreißiger-Bereich liegt, wird bei „Easy“ deutlich: Da wird noch schön analog das Feuerzeug in die Luft gehalten. Nicht das Telefondisplay. Obwohl meine Begleiter sich vorneweg noch über die Vorzüge des neuen iPhones ausgetauscht haben. Die wissen, was sich gehört. Schlecht für die Quote auf You Tube, gut für die Leidenschaft.

Kurz für die Buchhaltung: „Reunited“ ,“From Out Of Nowhere“, „Stripsearch“, „King For A Day“, „Take This Bottle“, „Epic“, „Introduce Yourself“, „Last Cup Of Sorrow“, „Land Of Sunshine“, „Easy“, „The Gentle Art of Making Enemies“, „Caffeine“, „Cuckoo For Caka“, „Suprise, You’re Dead“, „Evidence“, „Midlife Crisis“, „As The Worm Turns“, „Just A Man“, „Be Agressive“, „Ashes To Ashes“ – Reihenfolge? Keine Ahnung. War mit Klatschen, Freuen und „Jaaahhhh!“-rufen beschäftigt. Soll mir ja keiner nachsagen, ich wüsste das hier nicht zu schätzen. Und ich schwöre beim Gott des guten Geschmacks: Ich hab‘ mich kaum beschwert, über die Lieder, die sie nicht gespielt haben.

Und weil Rock’n’Roll dann eben doch von den großen Momenten lebt, gibt’s auch noch einen für die Galerie: Bei „Midlife Crisis“ hält Patton plötzlich die Klappe, Licht erhellt die Jahrhunderthalle und jeder singt die Zeilen

„You’re perfect, yes, it’s true / But without me you’re only you / Your menstruating heart / It ain’t bleedin‘ enough for two.“

Dann übernehmen Faith No More wieder das Ruder. Gott, sind die gut. Hab ich gesehen. War dabei. Werde ich euren Enkeln noch von erzählen. Und von der Schildkröte…

11 Gedanken zu „FAITH NO MORE, 22.06.2009, Jahrhunderthalle, Frankfurt

  • 24. Juni 2009 um 10:37 Uhr
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    Ja, dank „Midlife Crisis“ musste ich am Dienstag eher die Klappe halten…
    Und, Mann!, mein Nacken schmerzt heute noch!

  • 24. Juni 2009 um 11:22 Uhr
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    Ich kenn FaithNoMore nur wenig, eher Mr. Bungle, aber: sehr schwungvoll und mitreissend formuliert. Großartig!

  • 24. Juni 2009 um 12:58 Uhr
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    Kann mich nur anschliessen. War ein genialer Abend, auch wenn ich mein iPhone dann doch mal in die Höhe gerissen habe und mir ‚Kindergarten‘ sehr gefehlt hat.

    Hut ab, dass du Mike Bordins Rotzeinlagen so gut sehen konntest. Habe ich nicht erkennen können. ;)

  • 24. Juni 2009 um 14:41 Uhr
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    Das Zauberwort mit „B“: Brille.

  • 24. Juni 2009 um 14:55 Uhr
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    Ich wollte mich gegen Ende ja auch mal über die Songauswahl beschweren, aber dann kam As The Worm Turns. ’nuff said!

  • 24. Juni 2009 um 14:56 Uhr
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    @Onkel Inge: Der Herr Setzer hat Recht, Brillen helfen bei solchen Beobachtungen immens!

  • 24. Juni 2009 um 20:40 Uhr
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    Hätt ich mir ja denken können, dass der Björn da war. Und ja, in deinem Alter ist Vorsicht angesagt, was Kopfnicken anbelangt. Schnell sind da die Wirbel durcheinander…

    Noch was zu Bordins Rotzeinlagen: Entweder ist im auf dem Southside der Rotz in der Nase gefroren, oder ich brauch auch ne Brille.

  • 25. Juni 2009 um 15:05 Uhr
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    Das letzte mal hab ich die Herren von Faith No More anno ’96 in Ludwigsburg gesehen…
    Da kann ich es mir nicht entgehen lassen, wenn sie mich schon mal in meiner Frankfurter Diaspora besuchen, Herr Schmoudi!
    Und nach drei Tagen hab ich mich auch wieder gut erholt, es steckt noch Leben in den alten Knochen!

    @ topic: Vom Rotz hab ich nix gesehen, bin aber auch halbblind. Dafür aber viele Displays bei „Easy“, es wurde viel fotografiert…

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