ORANGE BLOSSOM SPECIAL 20, Tag 3, 15.05.2016, Glitterhouse Garten, Beverungen
Tag 3 startet mit Yoga. Tatsächlich. Das OBS bietet nämlich auch ein liebevolles Rahmenprogramm mit Kinderbasteln, Seepferdchenprüfung im örtlichen Freibad (haben allen Ernstes über 10 Leute mitgemacht und wir erinnern uns an die Außentemperaturen über Pfingsten), Lauftreff und eben Yoga mit Niki Shiva. Leider müssen wir aufgrund der Wetterlage von den Weserwiesen in die Eissporthalle Beverungen ausweichen. Niki mit kroatischen Wurzeln und original in Beverungen aufgewachsen lebt zwischenzeitlich – tahtah – in Stuttgart und macht ihre Sache großartig. Nicht dass ich nicht bereits in allerbester Gemütsverfassung gewesen wäre nach diesen beiden ersten Musiktagen, aber einmal durchdehnen und tief durchatmen bewirkt wahre Wunder.
Mit leichter Verspätung komme ich endlich auch mal frischgeduscht auf dem Gelände an. Es spielt der Surprise Act. Auch so eine OBS-Besonderheit. Und obwohl wirklich fast niemand weiß, wer oder was den letzten Tag ab 11:30 Uhr eröffnen wird, ist der Garten erneut rappelvoll mit Menschen. Rembert hat sich für alte Freunde entschieden, die sowieso immer da sind, eben auch als Gäste. Die beim Grand Hotel unter Vertrag stehenden Nordfriesen Torpus & The Art Directors erreichen denkbar höchste Sympathiewerte bei kurzfristig strahlendem Sonnenschein. Ihre fulminante Americana-/Folkmusik kann im ganz positiven Sinn durchaus mit Mumford & Sons mithalten. Die Überraschung ist absolut gelungen.
An diesem Tag bleibt die aus Antwerpen kommende Chantal Acda für mich Frühstückshintergrundmusik, was fast ein bisschen schade ist. Ich mag ihre angenehmen, unaufgeregten Singer/Songwriter-Kompositionen sehr.
Xixa machen Cumbia Rock, kommen aus Tucson, Arizona und sind natürlich irgendwie mit Giant Sand und Calexico verbandelt. Die Gitarren sind aber viel härter und rockiger als bei Calexico. Eine geballte Ladung schwarzgewandete, ein bisschen bedrohlich wirkende Männer stehen da auf der Bühne mit zwei Leadgitarristen, die sich auch beim Gesang abwechseln, Keyboards, Bass und zweimal Percussion, wobei einer der Herren „nur“ ein klassisches Drumset vor sich hat. Der andere steht an Bongos, Timbales, Congas und wer weiß was noch. Es scheppert, kracht und drückt. Schön verschleppte Gitarren. Die eine Stimme klingt, als hätte man Gabriel Sullivan den Wüstensand bereits in den Babybrei gemischt, knarzig, tief, staubtrocken. Brian Lopez bekommt die Parts, die dann etwas mehr nach fröhlicher südamerikanischer Hochzeitsmusik klingen. Das Megabrett am Nachmittag.
Für die Freunde des Wikinger Hardcore scharen sich als nächstes Spidergawd aus Norwegen um ihren mittig positionierten Schlagzeuger Kenneth Kapstad. Ganz interessant auch Rolf Martin Snustad am Baritonsaxophon. Zwei Lieder geballter Männerrock sind allerdings für mich genug.
Wir wenden uns den lebenserhaltenden Maßnahmen zu und besuchen bereits zum dritten Mal Tacos Los Carnales, mexikanisches Streetfood. Passt ja auch noch ganz gut nach Xixa. Wer sich hier für die Superhotsalsa-Variante entscheidet, bekommt gratis ein Topspektakel vom Maskenmann dazu geliefert. Immer auf der Suche nach gutem Bildmaterial, muss der Fotograf daran glauben. Ich wusste gar nicht, dass man von Zu-Scharf Spontanschluckauf bekommen kann. Aber keine Sorge, er wurde kuriert und ich habe mich geopfert. Das Opfer war überschaubar, weil wirklich extrem lecker (und sauscharf).
Die nächste Band erfreute vermutlich vor allem die jüngeren Gäste. Sechs putzige Schwedenjungs machen unter dem Namen Vita Bergen feinen Indierock, etwas düster, mit viel Bass. Man hört ein bisschen Joy Division und Einflüsse von Arcade Fire, vor allem wenn Sänger William Hellström mit aller Kraft auf seine Standtrommel eindrischt. Der Auftritt wirkt (noch) ein wenig hektisch und unrund, wenn man mal von der geruhsamen, etwas seltsam anmutenden Sitzposition des Bassisten absieht. Da ist irgendwie noch ein bisschen zu viel von allem am Start und das heißt nicht, dass es nicht gefallen hätte. Die Band scheint einfach noch nicht ganz fertig im Sinne von ausgereift zu sein. Da kann durchaus noch mehr kommen.
Das krasse Gegenteil von unfertig sind Miraculous Mule, denen der Primeslot zugedacht wurde. Die drei Londoner sind schon sehr, sehr lange mit Glitterhouse liiert und wissen ganz genau, was sie da tun. Michael Sheehy spielt eine so großartige Gitarre und sieht dabei so unverschämt abgebrüht aus. Das ist feinster Bluesrock, inspiriert von Rootsmusik und Südstaatenrock und irgendwo auch noch den irischen Wurzeln der beiden Frontmänner. Faszinierend wie spielend sie es schaffen meine anfängliche Skepsis in pure Begeisterung umzuwandeln. Auch das Rätsel an wen uns Bassist Patrick McCarthy unglaublich erinnert, wird nach einigem Grübeln vom Fotografen gelöst. Es ist der feine Mann für’s Grobe, Mike aus Breaking Bad in jungen Jahren. Komischerweise mochte ich den Kerl.
Langsam kommt Abschiedsstimmung auf. Die Schlussakkorde setzten nochmal ein paar Skandinavier. Das Einar Stray Orchestra ist nicht so ganz mein Ding, obwohl Einar Stray Erinnerungen an Erlend Øye hervorruft, aber die sind vor allem optisch bedingt. Er könnte ein entfernter Cousin sein. Cello und Geige sind extrem glanzvolle und klangvolle Instrumente und auch das rein als Klavier gespielte Keyboard gefällt mir. Es fehlt aber die richtige Linie aus meiner Sicht und nach so viel außerordentlich eindrucksvollem Input über die vergangen 55 Stunden wird es natürlich auch langsam schwieriger, mich zu beeindrucken.
Ganz, ganz zum Schluss kommen aber noch die Auflösung des legendären wirklich unterirdisch schlechten 3-Tageswitzes und Remberts Abschiedsworte. Er gibt uns ein bekanntes Motörhead-Lemmy-Zitat mit auf den Weg: „Haltet Euch bis zum nächsten Jahr fern von Idioten.“ Wir werden’s beherzigen.