END OF GREEN, 16.11.2013, LKA, Stuttgart
1. Hangman’s Joke (The Painstream)
Als damals die „Infinity“ aus dem Briefumschlag auf meinen Schreibtisch rutschte, hatte ich gleich das Gefühl, da so eine Art gepressten Weltschmerz in den Händen zu halten. Das lief mir sehr gut rein, war ich doch gerade noch intensiv damit beschäftigt, mich selbst zu erfinden: Rotwein-Session bei Totaler Mondfinsternis und so. Stundenlang konnte man dasselbe Album wieder und wieder hören.
2. Dead City Lights (The Sick’s Sense)
3. Pain Hates Me (The Sick’s Sense)
Dass man als Jugendlicher oder Gerade-Twen stärker fühlt als später, glaube ich nicht. Dass man sich als Jugendlicher von den zum Teil noch unbekannten Gefühlen eher überwältigen lässt als später, dagegen schon. Im Positiven wie im Negativen. Fast täglich kann ich dieses Überwältigtsein im Beruf beobachten. Später ist man da abgeklärter, ernüchterter. Mehr noch hat man gar keine Zeit mehr, sich im Weltschmerz zu ertränken. Was mithin schade ist. Aber deswegen steht derartig gepresster Weltschmerz ja immer noch im Plattenschrank und auf transportableren Speichermedien zur Verfügung. Und weil End of Green zum Glück von hier sind, kann man sie ebenso zum Glück auch immer wieder live sehen (warum gibt es da eigentlich nur einen Bericht auf gig-blog?).
4. Evergreen (Last Night on Earth)
5. Demons (Last Night on Earth)
Und ist sie auch mit allen Attributen des Rock-Business ausgestattet und tritt heute nicht auf einer kleinen, versoffenen Bühne auf, sondern auf der großen des Longhorn mit viel Licht und noch mehr Publikum, ist sie immer noch ein Kanal, welcher den Weltschmerz des Publikums speist. Der ist ja kein konkretes Gefühl, sondern ein undefinierbares Konglomerat aus Sehnsüchten, Unsicherheiten und Fluchtimpulsen, das dafür so universell ist, dass es die Jungen im Publikum jetzt immer noch so ansprechen kann, wie die Älteren im Publikum in ihrer Jungend und heute. End of Green sind ihrer Stimmung bei aller musikalischen Weiterentwicklung da treu geblieben.
6. Final Resistance (The Painstream)
7. Killhoney (The Sick’s Sense)
Deswegen sind sie ja auch alle gekommen: die Weißhaarigen oder Kahlköpfigen, die vielen Jungen, Heißblütigen, die kreischenden Mädchen. Vor allem letztere bekommt nicht jeder, wie einer hinter mir treffend bemerkt. Aber nicht jeder hat auch eine so geile Stimme wie der Huber, und nicht jeder hat so geile Hooklines, die man einfach mitsingen muss, ohne dass die Songs dadurch schwachbrüstig würden. Ganz im Gegenteil, da gibt es schon einiges, bei dem ich auf den da capo-Button tippe, wenn ich morgens zur Arbeit fahre.
8. Hurter (The Sick’s Sense)
9. Tragedy Insane (Last Night on Earth)
Dass die Leute vor der Bühne die mitgesungenen Worte mitempfinden, ist so offensichtlich, dass dem Huber oder unserem hauseigenen Setzer dann auch mal das eine oder andere Grinsen übers Gesicht huscht. Es ist ein guter Abend. Die Stimmung passt. Auch wenn da in den Lyrics nur von Selbstmord, Vereinsamung, Selbstmord, Verlust und Selbstmord die Rede ist. Sie haben ganz unterschiedliche Probleme, diese Teens, Twens und diejenigen, die wie ich schon lange keines von beidem mehr sind. Emotional berührt es. Dennoch.
10. Goodnight Insomnia (High Hopes in Low Places)
11. Tie Me a Rope While You’re Calling My Name (High Hopes in Low Places)
Klar drücken sich manche Textstellen etwas formelhaft aus. Klar auch kann man hier leicht von Naivität sprechen, wenn man es böse meint. Angriffsfläche bietet so eine Band zur Genüge. Ein Bekannter (vorsichtshalber nenne ich mal keinen Namen – aber keine Angst: Es ist niemand von gig-blog!) beschwert sich dann auch zwischen drin mal bei mir, dass er diese „Homomusik“ nicht länger aushalten kann. Tja, ich bin nicht deiner Meinung. Politisch inkorrekt formuliert, übrigens. Klar ist manchmal etwas mehr Wumms gut. Die anderen hier und ich mögen es aber auch gerne emotional, selbst wenn das in unserer Gesellschaft immer so ein bisschen belächelt wird. Und während alle bei „De(ad)generation“ das „Dead. Dead. Dead” mitsingen – oder den Refrain des großartigen „Tie Me a Rope …“ – oder lauthals nach dem leider nicht gespielten (also hört mal!) „I Hate“ schreien, scheint es mir nicht allein so zu gehen. Emotion geht. Ohne Friede, ohne Eierkuchen. Aber mit Freude.
12. De(ad)generation (The Painstream)
13. Don’t Stop Killing Me (The Painstream)
Das liegt vielleicht daran, dass ich diese Einflüsse wie offensichtlich ein guter Teil des Publikums schon so früh aufgenommen habe. In der Jugend ist man ja leicht beeinflussbar. Peter Steele (RIP) zeichnet da verantwortlich. Wobei eigentlich ja schon viel früher. Das mit dem Weltschmerz konnte meine Muttermilch nämlich auch gut. Pete Steele aber ist es ja nicht nur bei mir. End of Green sind Type O Negative schon immer verpflichtet. Seelenverwandt und so.
14. Death in My Veins (Songs for a Dying World)
Type O stand am Anfang. Und dann haben die Bands eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Bei „Killhoney“ hört man es zum Beispiel deutlich heraus. Natürlich sind das nicht die einzigen Einflüsse. „Die Lover Die“ und das nicht gespielte „My Crying Veins“ sind ein bisschen Placebo-mäßig, wenn auch härter. Keine schlechte Wahl. Und natürlich ist da auch Raum für ganz eigene Entwicklungen. Es gibt noch mehr Bands, über die man praktisch dasselbe sagen kann. A Pale Horse Named Death etwa.
15. Holidays in Hell (The Painstream)
16. Weakness (Dead End Dreaming)
Zwischendrin hatte ich End of Green mal aus den Ohren verloren. Vielleicht auch so eine Alterserscheinung. Wir haben da so ein bisschen eine On-Off-Beziehung. Aus irgendeinem Grund bekam ich von „Dead End Dreaming“ nichts mit. Und nachdem ich über „High Hopes in Low Places“ höchst erfreut war, war ich kürzlich etwas irritiert, dass vor „The Painstream“ noch ein Tonträger erschienen ist.
17. Drink Myself to Sleep (Dead End Dreaming)
Aber von so etwas darf man sich heute nicht ablenken lassen. Es zählt nur der Moment. Und der ist eigentlich nur Musik. Laut, heavy, manchmal sehr langsam, sehr tief. Mit haptischer Qualität. Die Musik fährt in den Magen und zerrt an den Lungen. Wenn es in den Lyrics von „Drink Myself to Sleep“ dann heißt „I need another drink“, ist man gerne bereit zuzustimmen.
18. Die Lover Die (The Sick’s Sense)
Ein eventuelles Gemeinschaftsgefühl mit den anderen Zuhörern ist mir egal. Das mag manch einer anders empfinden. Trotz des gänzlich unterschiedlichen Genres ist es dasselbe wie bei Nick Cave am vergangenen Mittwoch in Offenbach. Die Musik zählt. Und auch wenn sich das sicherlich nicht auf eine Band (oder eine Musikrichtung) beschränken lässt, ist das hier doch ein Teil des Soundtracks unseres Lebens.
19. Dead End Hero (Dead End Dreaming)
20. Emptiness – Lost Controll (Last Night on Earth)
Zwischen den alltäglichen Störgeräuschen: Wie viel kann man für sich aus so einem Konzert heraus holen? Wie lange trägt das uns dann im Alltag weiter? Nach ein paar Tagen Festival können es schon Wochen sein, bis die Erinnerungen zurücktreten und die Realität einen wieder einholt. Ich habe mich schon lange auf dieses Konzert gefreut. Und manch ein jüngerer aus dem Publikum heute wird auch eine Weile darauf gespart haben. Wie weit reichen zwei Stunden Schnellladung? Wir werden sehen. Gründlich ist sie ja.
21. Death of the Weakender (The Painstream)
Das ist aber sicher: Wenn ich morgen einen Kater bekomme, dann sicherlich nicht von der Musik. Und Weltschmerz ist eher eine Lebensentscheidung.
P. S.: Einen Heiratseintrag haben wir auch noch bekommen:
Sehr geniale Bilder!