FRANK LÜDECKE, 09.10.2010, Renitenztheater, Stuttgart

Foto: Thomas Grünholz

„Ähm, entschuldigen Sie?“
„Ja?“
Lächeln, Charme auf Anschlag. „Also wir suchen das Renitenztheater.“
„Das ist letzte Woche umgezogen, wissense.“
Lächeln gefriert. Augenlid zuckt. Zehn vor acht.
„Ach so?“
Gegenlächeln. „Ist jetzt im Hospitalviertel. Da müssense in Richtung Liederhalle, wissense.“
„Hospitalviertel, hm.“

Es gibt in ganz Europa nur noch ein Land,
in dem weniger Kinder geboren werden als in Deutschland
– das ist der Vatikan.

Der Berliner Frank Lüdecke zählt sich zur Gattung der politischen Kabarettisten. Soll heißen: Er setzt nicht auf Schenkelklopfer und Slapstick, verzichtet auf billige Parodien, präsentiert statt dessen ein weitgehend ordentlich pointiertes Statement-Allerlei zu gesellschaftspolitischen Themen und jede Menge Statistiken. Ein echter innerer Zusammenhang zwischen den Stellungnahmen, ein grundlegendes Thema sozusagen, fehlt, und so kommen vor allem Lüdeckes Fernsehauftritte, gestutzt auf das 4:3-Format, geschrumpft auf Zehnminutenportionen, weitgehend charakterlos daher. Das, und so viel sei vorweggenommen, ist auch auf der Bühne nicht anders. Aber in der Breite eines Soloauftritts wesentlich amüsanter.

Viele Menschen in Deutschland würden
ihre Kinder ja sehr gerne zuhause betreuen.
Das Problem: Sie haben keine.

Die Reise durch Lüdeckes Welt der Statements startet bei bösen Bankern und deren Derivaten, ein recht willkürlich gesetzter, ungefährlicher und äußerst dankbarer Startpunkt. Der Touristenführer Lüdecke setzt die Sightseeingtour durch das politische Deutschland ebenso willkürlich in Richtung Familienpolitik (Kindermangel, Grippenplätze) fort, schlägt einen Haken, landet bei Hartz-IV (hier darf ein aktueller 5-Euro-Gag nicht fehlen) und von dort aus, immerhin ist der Weg nicht weit, in Ostdeutschland. Der Titel seines Programms, „Verwilderung“, hat mit dieser bunten Ossi-Kiste voller Lachgranaten zu tun, Lüdecke greift hinein und zieht den Themenstrauß „Bevölkerungsrückgang, Frauenmangel im Osten“ heraus. Ein gewiss glamouröses Exemplar, das sich für einen Song eignet, und ja, Lüdecke singt wirklich und macht das richtig gut.

Altenpflege war ja urspünglich mal gedacht
als Strafe für Wehrdienstverweigerer.

Die Gitarre klingt aus, zurück zu Lüdeckes gesellschaftspolitischem Multithemenpark: FDP-Bashing zu Ihrer Linken, Crossboarder-Leasing zu Ihrer sehr Linken, Bürgergeld zu Ihrer Rechten, Schwarzarbeit zu Ihrer sehr Rechten, Hartz-IV (weils so schön war), zuletzt Altenpflege stramm voraus. Ohne erkennbaren programmatischen Grund verweilt Lüdecke beim Thema Altenpflege, wechselt pflichtgemäß ins exemplarische Privatleben eines Kabarettisten und kommt auf „seinen Vater“ und dessen polnische Pflegerin „Graschina“ zu sprechen. Witzig, durchaus, kurzweilig, ja, allerdings bleibt ein Rest Ratlosigkeit.

Die Sache mit den Managergehältern
ist ja durch eine Umfrage ins Rollen gekommen.
Mit der Frage: „Finden Sie,
dass die überhöhten Managergehälter
… zu hoch sind?“

Mit zunehmender Reisedauer auf dem Jakobsweg der politischen Schlaglichter (mit Wackelkamera) entpuppt sich jener Rest Ratlosigkeit als steter Begleiter, der angesichts eines wohlwollenden Publikums allerdings nicht wirklich auffällt. Er wandert eher stumm mit, als Wasserträger, vorbei an Themen wie Internet kontra Blog-Facebook-Narzissmus, Jugend kontra Bildungsbürgertum, vorbei an Klüngeleien bei Olympiabewerbungen. Bis zum Ende, das leider recht zäh ausfällt, weil sich Lüdecke mit Hirnforschern, dem Freien Willen und dem Hormonhaushalt des existierenden Menschen als solches befasst – was beinahe in Fremdwörter-Klamauk endet.

Aber nur beinahe.

Artikel drei.
Das sind die Teile des Grundgesetzes,
die McKinsey noch nicht überarbeitet hat.

Inhaltlich lässt sich also auch hier kein wirkliches Programm ausmachen. Konsequent vermeidet Lüdecke zudem allzu große Brüche mit manchen Allerweltsmeinungen und (linken) Klischees, ein Umstand, der seinem Auftritt eine nicht von der Hand zu weisende Biederkeit verleiht.

Was den Bühnenauftritt von Frank Lüdecke (für mich überraschend) trotzdem erlebenswert macht, sind die bisweilen geistreichen Pointen, die auf eine eigene Art durchkomponiert und nicht allein auf Wohlgefallen ausgelegt sind. Es ist Lüdeckes bescheidene Art, die uneitle Selbstironie, die beispielhafte Interaktion mit dem Publikum. Hier spult jemand eben nicht sein Programm herunter und zischt dann ab, er ist mit Leib und Seele dabei, spielt drei gelungene Zugaben (drei richtig gute Songs, Lüdeckes Stärke), schwingt sich dann von der Bühne direkt zum Ausgang. Und das nicht nur, um CDs zu verkaufen, sondern auch, um sich mit den Leuten auszutauschen.

Wer politisch interessiert ist und (unverschämte) 22 Euro über hat, darf sich einen solchen Abend getrost gönnen. Einmal im Jahr.

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