CASTLE RAT, TYPHUZZ, 28.10.2025, Die Stadtmitte, Karlsruhe

Wie bei Viren sind auch im Metal Rekombinationen eine Möglichkeit, sich im Gewusel der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Zeiten des wöchentlichen Hörens des Corona Podcasts sind ja gottseidank schon länger her, aber an dieses Rekombinationsdings musste ich während des Castle Rat Auftritts denken. Für mich zumindest war die Kombination aus Fantasy-Kostümierung und Doom-Metal neu. Die starke Resonanz in Medien und heute Abend scheint diesen Wettbewerbsvorteil zu unterstreichen. Und auch ich werde heute Abend, bad wordplay, mit dem Castle Rat Virus infiziert sein.
Karlsruhe ist wirklich ein erstaunlich starker Konzertstandort. Das Jubez, Substage, Alte Hackerei, Kohi, P8, Tollhaus kannte ich schon von diversen, starken Bookings. Fehlte noch „Die Stadtmitte“. Zentral gelegen, wie könnte es anders sein bei dem Namen, ist der angenehm klein-große Konzertsaal schon gut gefüllt als wir pünktlich um 20 Uhr aufschlagen. Typhuzz aus genauebendiesem Karlsruhe haben gerade angefangen. Bedenken, dass hier auf die Schnelle irgendwelche lokale Dilettanten ins Vorprogramm gehievt wurden, kann man nach paar Sekunden gleich in die Tonne treten. Was man hier zu hören bekommt, ist stark. Wirklich stark!

Das Trio zelebriert bei bestem Sound Doom-Metal, und zwar in der Geschmackrichtung „70ies-Black Sabbath“. Nicht die originellste Inspirationsquelle, und so ist die Musik der Karlsruher auch nicht im Geringsten eine irgendwie geartete Neuerfindung des Rades. Aber sie machen es sehr, sehr gut. Die hohe Stimme von Max Mörmann dringt gut durch den mittel- bis basslastigen Sound des doomigen Rocks, ähnlich wie bei den Birminghamer Urvätern, oder wie bei von ihnen beeinflussten Kapellen wie Witchfinder General. Dazu gesellen sich Kopfnicker-Riffs über einem treibendem Rhythmus-Fundament, in dem vor allem Schlagzeuger Sebastian Örtle Akzente setzt. Alles nicht neu, aber so gut dargeboten habe ich diese Art Musik schon lange nicht mehr gehört.

Das berümte Henry Rollins Zitat „You Can Only Trust Yourself and the first 6 Black Sabbath albums“ könnte man für Typhuzz korrigieren auf „the first 4 albums“, denn den proggigere Drang von Sabbath Bloody Sabath oder Sabotage vermag ich nicht rauszuhören. Ist aber auch nicht schlimm. Das so kurzweilige wie musikalisch hochwertige Set endet konsequenterweise mit einem Cover von Witchfinder General, und zwar „Free Country„.
Während des Wartens auf den Hauptact spinne ich den Einstiegsgedanken etwas weiter. Ein Blick auf das Publikum zeigt für ein Doom Konzert deutlich mehr Frauen und jüngere Personen als üblich, und eine Person, die sich mit Elfen-Ohren geschmückt hat. Das Castle Rat Konzept scheint Früchte zu tragen. Doch „Schhh, Ruhe“, ein langbärtiger Magier kommt auf die Bühne, drapiert ein geheimnisvolles Buch zwischen Kerzen und gibt dem Ganzen noch eine Verzauberung mit. Das Konzert geht los.

Das Quartett ist ein absoluter Blickfang. Die Musiker*innen spielen nicht nur Instrumente, sondern sie sind Charaktere, die Rollen in dem Fantasykonzept von Castle Rat. Der Drummer ist der „Druid“, der Gitarrist der „Count“, der Bassist der „Plague Doctor“ und die Sängerin und Gitarristin die „Rat Queen“. Fakt: Count, Druid und Rat Queen sehen verteufelt hot aus. Beim Bassisten steht eine Pestmaske der ästhetischen Beurteilung im Weg. Als Teil der ganzen Performance hat die Band noch eine „Tänzerin“ dabei, die einmal als weißer Wolf, und ein paarmal als, ebenfalls hotte, „Rat Reaperess“ auftaucht. Der Auftritt nimmt uns auf eine Reise mit, wie diese Vier versuchen die Rat Reaperess aka Gevatter Tod aka (erst gestern gelernt) Freund Hein zu besiegen.

Showelemente mit Musik im Heavy Rock haben eine lange Tradition. Arthur Brown, Alice Cooper, Kiss, GWAR und Ghost fallen einem mindestens ein. Castle Rat kann man in dieser ehrenvollen Tradition sehen. Und sie machen es wie die besten der genannten Bands (Alice Cooper und Ghost, imho), dass die Musik auf sich allein gestellt bestens funktionieren würde. Das Können an den Instrumenten ist hoch, das Zusammenspiel bombenfest. Der Count schafft es neben hyperaktivem Gepose technisch anspruchsvolle wie dramaturgisch gut aufgebaute Soli zu spielen. Der Plague Doctor zeigt bei einem Bass Intro, was er in der Lage ist zu spielen. Und der Druide an den Drums versteht sein Drumming neben taktgebender Virtuosität auch als Fitnessprogramm, so oft wie er immer wieder aufsteht.

Und trotzdem ist die Rat Queen, Ideatorin und Kompositorin des Ganzen, aka Riley Pinkerton der zentrale Punkt des mannigfaltigen Geschehens. Ein Lächeln gibt es während des Auftritts nie, ihre Rolle als leader of the pack verlangt höchste Konzentration in Sachen Musik und Tod bezwingen. Die Stimme und wie sie eingesetzt wird, gefällt mir außerordentlich gut. Oft zurückhaltend gesungen, manchmal spooky gedoppelt vom Gitarristen, schraubt sie sich in gewissen Momenten zu ungeahnten Höhen und Lautstärken empor. So funktioniert Dramaturgie.

Überragend, wie das Publikum von Anfang an dabei ist. Die Band wird umarmt und gefeiert. Und wir sind ja schließlich Teil des Spektakels, des „realms“. Die Ansagen an das Publikum sind Teil der Gesamtstory. Faszinierend, dass ein so durchprogrammierter Auftritt der Lockerheit und der Energie der Musik keinen Abbruch tut. „Feed The Dream“ ist ein Knaller von einem Song, aber „Unicorn“ schießt für mich den Vogel ab. Ein epischer, langsamer Doomsong, der vor Stimmung und Atmosphäre nur so strotzt.

Der dramaturgische Höhepunkt des Abends ist der „Sun Song“ vor der Zugabe. Ein Schwertduell zwischen der Rat Queen und der Rat Reaperess. Vermeintlicher Sieg, dann doch vermeintlicher Tod der Rat Queen, aber der Plague Doctor erweckt sie mit irgendeinem geheimnisvollen Blut wieder zum Leben. Sie singt mit blutverschmiertem Gesicht „Now, is Forever“, die Halle antwortet „In this realm“. So corny wie großartig, weil aber auch das ganze Publikum mit voller Leidenschaft mitspielt.

Obwohl die Geschichte auserzählt ist, bekommen wir noch zwei wundervolle Zugaben. Das ruhige „Cry For Me“ könnte man sich auch auf einem Soundgarden Album vorstellen. „Siren“ ist dann der flottere Abschluss eines ziemlich denkwürdigen Konzertabends. Es dürfte interessant zu beobachten sein, wie die Karriere der Band weiterverlaufen wird. Der unbedingte Wille sein Ding durchzuziehen war jede Minute des Abends spürbar. Abschließen möchte ich aber mit diesem schönen, jeden Kammerjäger verstörenden, Zitat aus einem Interview des Schlagzeugers zum Ratten-Thema: „We view rats in a very positive light. I mean, I think they’re fucking metal as hell.”
