VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
Foto: Patrick Grossien

Disclaimer zu Beginn: Ich rezensiere sonst Bücher. Über Lesungen habe ich schon was geschrieben, über Poetry-Slams, aber noch nie über ein Konzert. Die Benennung musikalischer Strömungen oder genaue Bezeichnungen von Musikinstrumenten wird man in diesem Text deshalb vergeblich suchen, nicht nur (aber auch) weil schlicht zu viele davon auf der Wizemann-Bühne untergebracht werden mussten.

Macht aber vielleicht gar nichts, denn selbst dem Veranstalter geht es in seinem Beschreibungstext zur aktuellen Supercolor-Tour ein bisschen wie mir – von „angenehm ungreifbar“ ist da die Rede und „einem ganz eigenen Stil“. Ich versuche das mal kurz zu übersetzen: Von Wegen Lisbeth haben einfach Spaß an Musik. Wo manche ihrer Songs radiotauglich und leichtfüßig-poppig daherkommen, sind andere entschleunigte Indie-Balladen, rotzige Punk-Mitgröl-Songs oder gar avantgardistische Klang-Teppiche, die eher nach „8-Bit-Game-Boy-Casio-Musik“ klingen, wie es die Band selbst einmal beschrieben hat. Das Fantastischste an VWL: Meistens sind die Songs irgendwie alles gleichzeitig. Nie zu gefällig, nie zu komplex, immer richtig gut.

Glücklicherweise hatte ich mir schon im Juni eine Karte gekauft (da wusste ich noch nichts davon, einen Text schreiben zu dürfen), denn wer später dran war, ist leer ausgegangen. Bereits im Hochsommer war dieses Ende-Herbst-Konzert restlos ausverkauft. Als wir pünktlich zum Einlass eintrudeln, sitzen schon die ersten Grüppchen vor der Bühne, lachend, in Gespräche vertieft. Es riecht nach Kartoffelecken und Zitronensprudel, man lächelt sich unbekannterweise im Vorbeigehen an, viele Paare sind da, schon vor Beginn eng umschlungen in den Ecken stehend, und vieleviele Menschen sind da, zwischen 20 und 60. Schön ist das.

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
Foto: Patrick Grossien

Auf der Bühne glitzert etwas wie ein silberner Riesen-Champignon im dunstigen Blaulicht von der Decke, es spiegeln sich darin kreisförmig aufgebaut sehr (!) viele Instrumente. Die Schweizer Vorband Panda Lux braucht aber erstmal nicht so viel Platz: Sechs Lieder und eine gute halbe Stunde lang lernen wir die vier jungen Herren kennen, allen voran den Sänger Silvan Kuntz (Stylevorbild Jesus), der butterweich von hartem Tobak singt, begleitet von schnellem Schlagzeug, Gitarre und starkem Bass – irgendwie psychedelisch, aber in einer stimmigen Uptempo-Variante. Von Kannibalismus im Liebeslied „Freunde sein“ („Gib mir dein Herz dazu ein Bier“) bis dezente Sozialkritik im Song „Fahrschein ins Glück“ ist viel Schönes dabei. Manches erinnert in Text und Musik an Faber, besonders, wenn Trompete oder Flöte mit im Spiel sind und das Gesungene fatalistischer wird. Für Faber waren Panda Lux bereits mit ihrem zweiten Album Vorband, das aktuelle „HERZ“ ist ihr viertes Werk. Wer Panda Lux gerne selbst erleben möchte, kann das ganz bald im Merlin tun – am 16.4.26 wird nicht nur der Geburtstag von Gitarrist Samu gefeiert, sondern auch erneut in Stuttgart aufgetreten.

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
Foto: Patrick Grossien

Und dann geht es los, das Instrumente-Verschieben, das Hin- und Her-Huschen auf der Bühne. Ein paar Minuten Stille, es folgt statisches Rauschen, als würde sich das silberne Champignon-Ding vielleicht doch noch als UFO herausstellen – aber nein: Die ersten Töne vom Hit „Westkreuz“ lösen sich aus dem Brown Noise. Unterm aufgeblasenem Silber-Ding leuchten die Lisbeths schummrig-orange im Kreis. Sänger Matthias Rohde sitzt am Synthesizer, Kopf an Kopf mit Robert Tischer, der da eigentlich hingehört. Vertraut sieht das aus, vertieft, als wären wir im Publikum halt auch bei einer Probe dabei oder beim Jammen im Keller. Nix mit Superstar-Gehabe oder klassischem „Hallo, heyho, naaaa?“. Um für Stimmung zu sorgen, reichen bei VWL die Songs völlig aus:

„Wenn meine neue App recht hat
Rauch‘ ich jetzt zehn Kippen weniger
Da spar‘ ich zwei Euro dreißig
Da krieg‘ ich vier Bier bei Edeka“

Der Saal tobt, es wird mitgesungen und geklatscht ab Textzeile 0,5. Zum Tanzen ist kaum Platz und trotzdem wird geshaked, was das Zeug hält. Beim zweiten Song „Chérie“ bleibt zum Refrain kurz das Licht an. Voll beleuchtetes Publikum brüllt aus voller Kehle „MACH ES GUT, CHÉRIE“. Die Bandmitglieder werfen sich amüsierte und heftigst stolze Blicke zu. Sänger Matze – inzwischen mit Gitarrist Doz vorne stehend – plaudert nach den ersten Songs tiefenentspannt mit uns. Man wolle ja immer was Charmantes zu der Stadt sagen, in der man auftrete, was manchmal schwierig sei (Beispiel Wiesbaden), aber bei STUTTGART, da falle das leicht, denn hier habe man das erste große Konzert gespielt, circa 2014 als Vorband für Annenmaykantereit in der Rosenau. Viele der Songs, die damals gespielt wurden, könnte man heute eventuell wiedererkennen. Denn: „Wir spielen heute viele alte Songs. Und viele neue. Und mittelalte. Es wird einfach ein sehr langes Konzert“. Die Menge rastet aus.

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
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Laut Mythos wurde die Berliner Band 2006 in der 7. Klasse während einer ausgefallenen Sport-Stunde gegründet. Inzwischen sind die fünf bereits drei Alben älter; im Dezember dieses Jahres wird das vierte Studioalbum „Strandbad Eldena“ erscheinen. Noch nicht streambar ist der Song „Gleichgewicht“, der heute technische Probleme mit sich bringt. Lachend duckt sich erst der Sänger weg, dann sind alle am Grinsen und müssen kurz pausieren. Matze kichernd: „Wir spielen ein Live-Konzert, das war anders geplant“ – wie sympathisch kann man bitte?!

„Da hat man kurz nicht aufgepasst
Und hat sich plötzlich voneinander Kilometer weit entfernt
Hab’n wir da groß was mitzutun?
Ich denke nein
Das wird die Plattentektonik sein“

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
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Mit dem nächsten Track funktioniert dann wieder alles und kurz ist es im Saal ganz ruhig. Man merkt: Bei den neuen Liedern können noch nicht so viele mitsingen. Deutlich erwachsener sind sie, ein bisschen weniger frech, dafür philosophischer und dezent melancholisch. Gerade beim sanft ins Mikro geraunten Text von „Mars“ muss ich an Element of Crime – oder, wie bei „Strandband Eldena“, an Tocotronic – denken. Nur halt in frischer, in jünger, quasi featuring Gen Z. Es geht um eine andere Lebensrealität; der Slang, die Orte, das Sehnen werden für eine neue Generation vertont. Quarterlife-Crisis, Sinnfragen und Liebeskummer schimmern durch, sind aber nie dramatisch oder unumstößlich.

„Säh’st du mehr aus wie Jesus, wär‘ ich eBay-Millionär
Ich seh‘ in jedem Toastbrot ständig dein Gesicht
Ich schau‘ dem Typ vom Ordnungsamt nur zwei Sekunden in die Augen und er weiß sofort, mein Roller hat kein Licht
Doch einer neuen US-Studie zufolge
Hast du nichts damit zu tun“

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
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Vom Songtitel „Bitch“, der 2016 den großen Durchbruch gebracht hat, distanziert sich die Band heute. „Wir möchten das nicht mehr so gern singen, aber ihr könnt ja einfach ein anderes Schimpfwort dafür nehmen – da fällt euch bestimmt was ein“. Gesagt, getan – die Stelle wird ausgelassen und im Publikum zwanghaft versucht, etwas ähnlich Griffiges zu finden.

Zwischen den Songs gibt es immer wieder längere Jam-Sessions, die einen in eine andere Dimension katapultieren. Die manchmal schwindelerregend blinkende Lichtshow und ein echtes Wasserspiel auf der Bühne tragen ihr Übriges zum immersiven Von-Wegen-Lisbeth-Erlebnis bei. Meine Begleiterin fasst nach dem Konzert trocken zusammen: „In meinem Kopf war das der Berlin-Part“. Nach dem Berlin-Part also und nach vielen tollen alten, neuen und mittelalten VWL-Highlights, geht das Konzert mit „Madame Tussauds“ nach 2 Stunden langsam dem Ende zu – 20 gigantisch-gute Songs wurden bis hierhin gespielt, der Saal dampft saunaähnlich vor sich hin, es wird geschunkelt, genickt, unablässig mitgesungen.

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
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Zum Glück entlässt die Band uns nicht ohne eine bunte Tüte aus verträumten und absolut tanzbaren Zugaben in die kalte Nachtluft. „Elon“ verleitet zu einer spontanen Gruppen-Tanz-Einlage, bei der der gesamte Saal wortwörtlich in die Knie geht. Und mit „Wenn du tanzt“ werden zum allerletzten Mal auch wirklich sämtliche unterkühlte Muskeln durchgeschüttelt, die sich davor aus Platzgründen nicht in Bewegung getraut hatten. Dann erst gehen die Lichter wieder an und man kann Merch kaufen, die überreizten Stimmbänder mit Spaßgetränken kühlen oder mit dem tollen Team am Stand der Seebrücke schwatzen. Zur Rausschmeißermusik wird auf der Fläche Standard getanzt.

„Denn, dass
Diese Welt nicht zusammenfällt, liegt nur
Allein an deinen Beinen“

Lieber Matze, lieber Doz, lieber Robert, liebe Julians – ich weiß, ihr wollt mein Sushi gar nicht sehen und diesen Text sicher nie lesen, aber: Das war das coolste Konzert, auf dem ich je sein durfte, und für mich seid ihr die beste Band der Welt. Ganz liebe Grüße aus Stuttgart, Eure Lina.

VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Patrick Grossien
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Setlist Panda Lux

Freunde Sein
Optimist
Niemand
Staub
Bar Franca
Fahrschein ins Glück

Setlist Von Wegen Lisbeth

Westkreuz
Chérie
Das Zimmer
Auf Eis
Gleichgewicht
Mars
L.OST
US-Studie
Portugal
Drüben bei Penny
Widersprüche
Strandbad Eldena
Opti
30 Segways, ein Ferrari
EZ Aquarii
Meine Kneipe
Wieso
Bitch
Sushi
Madame Tussauds
Meerschwein
Elon
Wenn du tanzt

Von wegen Lisbeth

Panda Lux

Ein Gedanke zu „VON WEGEN LISBETH, PANDA LUX, 20.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart

  • 26. Oktober 2025 um 18:54 Uhr
    Permalink

    Toller Text, tolle Fotos, tolles Konzert ☺️

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