KADAVAR, SLOMOSA, ORB, 21.10.2025, Im Wizemann, Stuttgart

KADAVAR, Foto: Michael Weiß

Ein Dreier-Pack Psychedelic-, Heavy-, Hard- und Stoner-Rock mit einer Brise Doom sowie Kraut- und 70er-Rock-Anleihen. Das klingt definitiv ziemlich verführerisch und dieser Verführung erlagen an einem Dienstagabend schätzungsweise noch rund weitere sieben- bis achthundert Anhänger dieses Genres, das sich als Nische doch hoher Beleibtheit erfreut. Erfreulich auch der merkliche Anteil an weiblich lesbaren Personen in der Halle des Wizemann bei einer doch sonst deutlich männlich geprägten Besucherschaft in dieser Rock-Ecke.

ORB, Foto: Michael Weiß

ORB machen den Anfang (nicht zu verwechseln mit The Orb, den legendären Ikonen der britischen Rave-Bewegung). Die australischen Psych-Rocker, die als Trio mit Bass, Schlagzeug und Gitarre auftreten, wurden offensichtlich musikalisch in erster Linie durch Black Sabbath und Psychedelic-Rock aus den 70er Jahren sozialisiert. Diese Wurzeln sind deutlich zu hören und manifestieren sich in endlosen Gitarren-Improvisationen und Instrumental-Parts. Gelegentlich gibt Gitarrist Zak Olsen auch einige, wenige Gesangszeilen zum Besten. Insgesamt ein sehr solide dargebrachter, aber doch schon leicht abgenutzter Einstieg für den Abend.

SLOMOSA, Foto: Michael Weiß

Slomosa aus Norwegen, eher seltene Gäste, starten ihren Auftritt als Einheizer für den Headliner Kadavar und das hat die Kapelle aber so was von drauf. Denn innerhalb kürzester Zeit zünden sie die Bude an und das Publikum ist on fire! Nach nur zwei Songs, „Cabin Fire“ und „Rice“ vom jüngsten und erst zweiten Album „Tundra Rock“ (2024), haben sie die Halle fest im Griff. Als dann noch, man könnte sagen, der kleine Hit „In My Mind’s Desert“ vom 2020er-Debüt anschließt, ist es geschehen: Das Publikum hüpft, tanzt, schreit und rastet aus – und ja, es sind offensichtlich Fans an Bord.

SLOMOSA, Foto: Michael Weiß

Benjamin Berdous, der auch Gitarre spielt, hat eine großartige Stimme, mit der er die Oktaven von Coolness bis Inbrunst problemlos abdecken und Zuhörer mitreißen kann. Der Gitarrensound, mit dem Tor Erik Bye die Songs kickstartet und mit viel Feingefühl aufbrausen lässt, ist sowas von staubtrocken, dass man erst mal schlucken muss. Jard Hole verausgabt sich mit Hingabe am Schlagzeug und Bassistin Marie Moe verkörpert die pure Spielfreude und kann sich kaum im Zaum halten, bangt bei dem Groove und hat scheinbar den Spaß ihres Lebens auf der Bühne. Die Songs sind treibend, die Riffs mörderisch und man kann nicht anders, als in das kollektive Head-Bangen zu verfallen. Das ist authentischer und schweißtreibender Riff-Rock vom Feinsten. Selbstredend sind hier auch Vorbilder zu hören: Screeming Trees, Pixies, Kyuss und Queens of the Stone Age und vieles mehr schimmert durch und blitzt auf, aber dennoch im Slomosa-eigenem Sound. Ein Auftritt, der diesen überschäumend-begeisterten Abschied wohlverdient hat!

SLOMOSA, Foto: Michael Weiß

Es dauert nicht lange und die sehnlich erwarteten heutigen Stars des Abends beginnen ihre Darbietung. Wobei ich nach dem überzeugenden Slomosa-Auftritt dachte, dass es schwer werden könnte. Das Kadavar-Logo ist groß und schön angeleuchtet und die Herren Christoph „Lupus“ Lindemann (Gesang und Gitarre), Simon „Dragon“ Bouteloup (Bass), Jascha Kreft (seit 2023 Gitarre und Keyboard) sowie Christoph „Tiger“ Bartelt (Schlagzeug) betreten nach und nach die Bühne. Der äußere Eindruck von Kadavar könnte zu den Vorgängern kaum größer sein: Man gibt sich modebewusst, wenn auch im genretauglichen Style, in Hemd und Stoffhose und im Falle des (sehr großen) französischen Bassisten mit Hut, die Schuhe sind poliert. Die Band macht fast einen arty Eindruck. Wobei ich mir habe sagen lassen, dass sich der Kleidungsstil (zumindest in den Anfangstagen) basierend auf Geldnot und das Angebot Berliner Second-Hand-Läden entwickelt hat.

KADAVAR, Foto: Michael Weiß

Aber als Fan ist einem klar, was folgt. Kadavar fackeln nicht lange, sondern hauen einem als Opener „Lies“ um die Ohren, den es noch gar nicht gibt, weil das neue Album erst im November erscheint (es ist aber bereits mit Band-Unterschriften vorab am Merch-Stand erhältlich). Wir tauchen in einen psychedelischen Trip ein, der einen sofort in den Kadavar-Rausch holt. Es folgen unmittelbar das stonige „Black Sun“ und das wuchtige „Living In Your Head“, beide vom nach der Band betitelten Debüt (2012). Es folgt der namensgebende Titel für die Tour „I Just want to be a Sound“ des gleichnamigen und bis dato jüngsten Album, das eine eher poppige Note anschlägt, aber bei Publikum sehr gut ankommt. Dazu gibt es eine schöne Anekdote: Dieser formulierte Wunsch, sich ganz dem Klang hinzugeben bzw. sich selbst im Klang genug zu sein, geht wohl auf Basser Bouteloup zurück. Auf die Frage, weshalb er keine Social Media-Kanäle pflege, soll er genau das gesagt haben: „I just want to be a Sound“. Und was soll man sagen, die Band scheint genau das seit nunmehr 15 Jahren zu verfolgen und anzustreben.

KADAVAR, Foto: Michael Weiß

Der Kadavar-Trip geht weiter, es folgen kultige Beiträge wie „Last living Dinosaur“ vom 2015 erschienenen Kult-Album „Berlin“, das definitiv auch einen Black Sabbath-Einschlag besitzt oder „Die Baby Die“ („Rough Times“ von 2017), die allesamt die Stimmung schon auf ein sehr hohes Level anschwellen lassen. Und man ist sich nicht sicher, aber haben Licht-Effekte zugenommen, hat sich der Einsatz von Bühnen-Nebel erhöht? Falls ja, ist das genau richtig so und war womöglich von langer Hand geplant. Doch als Lindemann mit einer der seltenen Ansagen ankündigt, dass die ruhigen Songs nun vorbei seien, reicht dies schon, um den Saal weiter eskalieren zu lassen. Es folgt „Regeneration“, „Total Annihilation“ (vom noch nicht erschienen Album) sowie „Doomsday Machine“ („Abra Kadavar“, 2013) und „Creature of the Demon“ (nochmals vom 2012er-Debüt). Der Sog dieses ausgefeilten Spannungsbogens für diesen Trip, bestückt mit mehr älteren, aber umso packenderen Songs, wird von Stück zu Stück stärker und man traut seinen Ohren nicht, als man Lindemann sagen hört: „Habt’er noch Bock? Wir ballern jetzt noch zwei raus und dann sehen wir uns bald wieder!“

KADAVAR, Foto: Michael Weiß

Und es folgen direkt, wenn man so will, die beiden Zugaben „Come Back Life“ („Abra Kadavar“, 2013) und „All Our Thoughts“ (wieder vom Debüt-Album, 2012), beide meiner Meinung nach noch einmal echte Highlights (eigentlich wie alle anderen Songs davor auch). Meine Befürchtungen, Kadavar könnte es schwer haben, sind nicht mehr existent. Kadavar sind ein Gesamtkunstwerk: Die perfekt in Szene gesetzte, ausgeklügelte, fast perfektionistische Darbietung wirkt nie künstlich oder glatt und schafft es auch, Emotionen aus den Lagern Roh- und Wildheit zu transportieren. Die Idee geht auf und der Kadavar-Trip zeigt Wirkung, denn sie haben es einmal mehr geschafft, das Publikum restlos high zu spielen. Live-Musik kann etwas von einer existenziellen Erfahrung haben und macht definitiv glücklich. Ich möchte nur Sound sein!

Kadavar

Slomosa

ORB

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