XIXA, 17.10.2025, Manufaktur, Schorndorf

XIXA, 17.10.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Es ist heiß, die Luft flirrt vor Hitze, weit und breit vertrocknete Ebene und Hügel, Kakteen, die hoch in die Luft ragen… wo sind der Schatten und der Mescal, die Linderung verschaffen könnten. Nun endlich dämmert es, die sich herabsenkende Nacht bringt etwas Abkühlung. Und zugleich steigen mystische Schatten auf, evozieren Geschichten der Tohono O’Odham und gar der Azteken- und Maya-Kultur, Hunde streifen umher, heulen… und dann Gitarrensound. Ich bin in der Manufaktur und lausche Xixa aus Tucson, Arizona und wurde von dem Sound genau in diese Szenerie getragen. Eröffnet wird der Abend tatsächlich mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ (Ennio Morricone). Im Club ist es düster, spartanisch sind die Musiker von Xixa ins rechte Licht gesetzt und huldigen gerade mit ihrem Opener Xolo(itzcuintli) einer mexikanischen Hunderasse, die in der Maya- und Aztekenkultur als heiliger Begleiter in die neun Ebenen umfassende Unterwelt Mictlán galt. Der Sound direkt tanzbar, düster und er nimmt gleich gefangen.

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Diese mystische Unterwelt bildet den konzeptuellen Rahmen des aktuellen Albums, eben „Xolo“, das im März dieses Jahres erschien. Xixa widmen sich einer psychedelischen Interpretation von Chicha, der peruanischen Cumbia. Was nach einem etwas nerdigen Nischenprogramm klingt, entpuppt sich jedoch als immer tanzbare und irgendwie eingängige Musik mit einem Anstrich in verschiedenen Sand- und Sonnenuntergangsfarben sowie einer fortwährenden Düsternis. Ihren Sound beschreiben Xixa mit „Mystic Desert Rock“, „Goth Cumbia“ oder auch „Latin Psych“. Und ja, die Herkunft, die Sound-Annäherung lassen dem einen oder der anderen Musikliebhaber:in die Ohren klingeln: Waren das nicht auch Calexico oder Giant Sand/ Howe Gelb? Und damit liegen sie ganz richtig, denn der Ort scheint dieses Genre geradezu magnetisch anzuziehen und auch die jeweiligen Musiker:innen finden zusammen: Gabirel Sullivan und Brian Lopez, ihres Zeichens beide Sänger und Gitarristen der Combo, spielen bereits seit 2012 zeitweise auch mit Howe Gelbs Giant Sant und bei Calexico auf.

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Die beiden genannten treten wie übrigens auch Bassist Hikit Corbel und Schlagzeuger Winston Watson komplett in schwarz auf. Corbel im Anzug, Lopez chic in Stoffhose, schwarzem Glitzerhemd und Sakko und mit Bob-Dylan-Gedenkfrisur; Sullivan etwas verwegen, mit einem schwarzen Cowboyhut, Weste, Black-Jeans, Halstuch und selbstredend tragen beide Sonnenbrillen. Beide agieren als Sänger mit eher höherer oder tiefere Stimme; beide spielen Gitarre meist in der Kombination einer akustisch, einer elektrisch. Allein diese Varianz ergibt eine sehr schöne Abwechslung in den einzelnen Songkonstrukten. Mittlerweile dürfen wir „Cumbia del Paletero“ lauschen, das auf der 2015er EP „Shift and Shadow“ erschien und das uns in einen Cumbia-Fiebertraum versetzt und weitgehendes Hüftschaukeln auslöst sowie dem sich aufreckenden und erhabenen „Soma“, das einen leichten Muse-Einschlag bekommt und der Cumbia-Verführung „Eclipse“ („eclipsed by the love we must find…“) beide vom Genesis-Album (2021).

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Ein guter Schachzug, die Rhythmus-Sektion auf Podeste zu stellen – Bassist Corbel links, der so seinem trancehaften Bass-Wiegebewegungen ausreichend Raum einräumen kann, bei denen er zumeist die Augen geschlossen hat und Schlagzeuger Watson rechts auf einem identisch hohen Podest, der sich hier in höchste Spiellaune trommelt. Überhaupt ist die Lust am Spielen durchgehend bei allen zu spüren, die ihrem Ideenreichtum hier freien Lauf lassen können und scheinbar gemeinsam immer komplett in die jeweiligen Songs abtauchen.

XIXA, 17.10.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Das auf der 2019 erschienenen EP „The Code“ veröffentlichte „Kvumbia Okvult“ leitet den mystisch-konzeptuellen Part des neuen Albums sehr gut ein, das von Sullivan mit dem Verweis auf den „Höllenhund“ angekündigt wird. Denn es folgen davon drei Songs, die uns entführen in die auf dem Album lose erzählte Geschichte eines jungen Mädchens namens Arcoiris, das durch alle neun Ebenen von Mictlán reist, natürlich geführt von ihrem heiligen Beschützer El Xolo: „Apanoayan“, das eingängig-traurig von der ersten Ebene von Mictlán berichtet. In „Xolo des Galaxia“ tanzen wir im Cumbia-Rhythmus gemeinsam mit Arcoiris und ihrem Begleiter durch die Galaxie und schließlich landen wir im Happy End „Find Your There“, das musikalisch an den Vorgänger anknüpft, das uns aber nun im Wechsel des Stimmenspiels und mit seiner Leichtigkeit in andere Sphären abgleiten und hüftwiegen lässt.

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Es gibt ein bis zwei Punkte während des Auftritts, an denen Gefahr droht, sich allzu sehr in einer getragenen und gediegenen Soundlandschaft zu verlieren. Doch Xixa gelingt es jeweils zum richtigen Zeitpunkt, einen sanften Richtungswechsel vorzunehmen und gegenzusteuern. Die rund 100 Neugierigen und wenige eingefleischte Fans (zum Teil aus München angereist) schwanken, so scheint es, in einer Trance-ähnlichen Melancholie von teilweise euphorischen Auf-der-Stelle-Bewegungen mit breitestem Grinsen bis hin zu ungläubigem Staunen, das durch mit offenem Mund auf die Bühne starren erkennbar wird. In jedem Fall ist bei allen die Begeisterung enorm, was sich doch zumindest am immer wieder aufbrandenden und scheinbar sich steigernden Beifall ablesen lässt.

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So dürfen alle an der musikalischen Welt von Xixa weiter teilhaben bzw. in sie eintauchen, die sich durch das bisherige Œuvre der Band mäandert und sowohl vom 2021 erschienen Vorgänger-Album „Genesis“ also auch vom Debüt „Bloodline“ einiges Songmaterial umfasst. „May they call us home“ lassen die Standbewegungen in Rage geraten, während „Tumstone Rashomon“ wieder mit einem heftigen psychedelischen Anstrich im Gewand von „Spiel mir das Lied vom Tod“ daherkommt. Schließlich wird den Gästen in der Manufaktur noch eine seltene Ehre zuteil, denn Xixa spielen „Ghost of Tom Joad“ von Bruce Springsteen. Eine traurige Ballade aus der Wirtschaftskrise der 30er Jahre in den USA. Tom Joad ist die Titelfigur eines Romans von John Steinbeck, „Früchte des Zorns“ aus dem Jahr 1939, das eben die Folgen dieser massiven Krise beschreibt.

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Dieses Konzert ist wie ein finsterer, düsterer Trip, aus dem es kein Entrinnen gibt und man will da auch gar nicht heraus. Denn der Düsternis von Xixa entspringen auch sowas wie Vertrautheit und Lebensfreude, die einen infizieren. Diese skurrile Mischung lässt anscheinend niemanden heute Abend los. Und so folgen noch weitere Kleinode aus den bisherigen Veröffentlichungen, die einen hoffen lassen, dass diese Abend nicht mehr aufhören möge. Doch bereits im Zugabenteil angelangt, kommt auch „Bloodline“, Titelsong des 2016 erschienen Debüts zu Gehör – mit einem stampfenden Beat und heißer Sonne, die gleich von neuen Schatten abgelöst werden wird. Zum Abschluss bekommen wir den Tanz der Jaguare („La Danza De Los Jaguares“) vom aktuellen Album und werden von Xixa trunken, besoffen von der Musik und beseelt von lebensbejahender Düsternis in eine ganz andere Nacht entlassen.

XIXA, 17.10.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Schön: Alle vier Musiker kommen nach dem Konzert in den Saal, mischen sich unters Volk und unterhalten sich und sind jederzeit bereit, Devotionalien mit ihrer Unterschrift zu versehen – für die einen ein ganz besonderes Andenken, für die anderen angemalte LPs oder T-Shirts. Aber wie heißt es so schön: Jede:r nach seinem eigenen Kult (oder so ähnlich).

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