JACQUES PALMINGER & 440 HZ TRIO, 12.10.2025, Merlin, Stuttgart
„Ich werde Euch auf angenehme und liebevolle Weise beleidigen“.
Immer her damit, wenn der Wortwirbler Jacques Palminger heißt und seine Texte auf einem flauschigen Flokati aus melodiegetragenem Sechziger-Jazz und mehrstimmigem Gesang angeflogenen kommen. Konsequenterweise hieß auch das erste Album JZZ & LYRK.
Das Merlin ist an diesem Sonntag gut gefüllt, und interessanterweise hat sich heute Abend nicht die Stuttgarter Konzertblase eingefunden, sondern anscheinend vielmehr die Kenner der speziellen Hamburger Subkultur, in der Jacques Palminger eine der langwirkenden und zentralen Figuren bildet.
Zur Einordnung: Jacques Palminger, bürgerlich Heinrich Ebber, ist ein deutscher Musiker, Schauspieler und Autor. Bekannt wurde er als Mitglied des Künstlerkollektivs Studio Braun (mit Rocko Schamoni und Heinz Strunk), das für seinen absurden Humor bekannt ist. Als Peak ihrer Arbeit kann „Fraktus“ gelten; die Mockumentary erzählt das Comeback der erfundenen 1980er-Jahre-Band Fraktus, die dann aber tatsächlich zu Leben erweckt wurde, mit Album und Tour, verkörpert durch Studio Braun. Prädikat Kultfilm, Hilfsbegriff.
Musikalisch ist Jacques Palminger im Bereich Dub, Spoken Word und Chanson aktiv und arbeitet oft mit anderen Künstlern wie Erobique zusammen. Verweise: am Freitag spielte Sophia Kennedy im Merlin, deren erste Tour von Erobique begleitet wurde, Erobique spielt am 7.11. im Kulturquartier/Proton. Stuttgart ist voll von Hamburgern.
Und wäre ich nicht größer als eine Ameise, würde ich doch in jeder Zelle spüren, dass wir uns hier auf einer kosmischen Ja-Straße befinden.
Die Musik beginnt und hört nie wieder auf.
Das ursprünglich als Trio gestartete 440 Hz Ensemble ist mittlerweile auf fünf Mitglieder angewachsen. Mit dabei sind der frühere Die-Sterne-Organist Richard von der Schulenburg, Bassist John Raphael Burgess, Olve Strelow am Schlagzeug, Lieven Brunckhorst an Saxophon, Flöte und Klangschale sowie Lydia Schmidt – auch Lydia Pfefferkorn genannt – als Sängerin.
Ich bin kein Roboter, kein Automat, kein Android
Ich bin nur ein Mensch, der Fehler macht, über die jeder Computer lacht.
… singen die 440 Hertz im Song „Ich bin kein Roboter“, aber die fünf Musizierende haben es drauf: die komplexen Rhythmus- und Tempiwechsel stimmen, die Soli und Harmonien klingen, lediglich beim mehrstimmigen Gesang beweisen sie, dass sie keine Automaten sind, wie schön. Kennt noch jemand die Animationsserie Herr Rossi sucht das Glück und den entsprechenden Song dazu? So klingt das heute Abend.
An den Sonnenstrahlen hänge ich meine Tränen zum Trocknen auf.
Jacques Palminger trägt seine skurrilen Texte mit sonorer Stimme und ernsthafter Dringlichkeit vor und entführt uns Zuhörende damit in eine Art Kurz-Entrückung. Die neueren Songs von Blixa Bargeld bei den Einstürzenden Neubauten sind dem gar nicht unähnlich (Verweis: Unter der Grenze). Zurück zu Palminger: Bestes Beispiel für einen solchen Trip ist die Muckschuh Fantasie, in der er beim Zahnpasta-Auftragen in eine Art Traumwelt gerät, und wir mit ihm:
Langsam und widerwillig schob sich eine buntgestreifte Raupe heraus
Dieser cremige Wurm machte ein mürrisches Gesicht
Und als er in voller Größe auf meiner Zahnbürste lag
Da sah ich, dass er am unteren Ende seines Körpers einen orientalischen Pantoffel trug
Und ich erkannte sofort, dass es ein Muckschuh war
Wir werden, begleitet von der warmen Jazz-Musik, in eine Ad-hoc-Hypnose versetzt – und ohne Zugabenrunde wieder ins Hier und Jetzt zurückversetzt. Krass.
Wir glauben nicht an UFOs, wir glauben an Tartufos
Die Set-List
Die Musik beginnt
Roboter
I und Aua
Sternentänzer
Raggazina
Beachfreaks
Pinguin
[Pause]
Zwergplaneten
Muckschuh
Ewigkeit
Spanky
Sehnsucht der Sterne
Es ist mein Leben
Ganz normales Leben
