20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

20 Jahre Kunstmuseum Stuttgart, was für großartige, spannende Ausstellung durfte man hier schon sehen. Von „Otto Dix, Hommage à Martha“, das Museum hat eine der größten Werksammlungen des, der „Neuen Sachlichkeit“ zuzurechnenden, 1891 geborenen Künstlers, über zeitgenössische Positionen wie „Ragnar Kjartansson. Scheize – Liebe – Sehnsucht“, „Tobias Rehberger – I do if I don’t“ und der, bis zum Februar dieses Jahres, zu sehenden Ausstellung „Sarah Morris. All Systems Fail“. Zeitgenössische Ausstellungen, die sowohl auf formal ästhetischer, als auch konzeptioneller Ebene unsere Zeit in ihrer Komplexität und Vielfalt abbilden und reflektieren. Erwähnt seien auch die Ausstellungen der Reihe „Frischzelle“, in der, junge, herausragende Positionen museal gewürdigt werden.

Erwähnen möchte ich hier exemplarisch Claudia Magdalena Merk, deren teils dystopisch anmutenden Gemälde, ausgeführt in einer im Gegensatz dazu stehenden poppigen Farbigkeit, ein Spiegel unserer Zeit und eine Vorschau einer düster drohenden Zukunft bieten und Simone Eisele, die in ihrer Installation mit unterschiedlichsten Elementen der Popkultur spielend, vielfältigste Assoziationsebenen evozierte. Popkultur und Musik spielten bei vielen gezeigten Ausstellungen eine Rolle. Bei Kjartanssons Installationen gab es ein Werk zu sehen, das in Zusammenarbeit mit der Band „The National“ entstand und Sarah Morris visualisiert in ihrer „Soundgraph“ Bilderserie musikalische Amplituden.

Bei so viel Zeitgenossenschaft, popkulturellen und musikalischen Bezügen liegt es nahe, den zwanzigsten Geburtstag mit vielen großartigen, diesen hohen künstlerischen Ansprüchen gerecht werdenden Bands und Musiker*innen, die Stadt und Region zu bieten haben, mit einem Open-Air-Konzert ordentlich zu feiern.

Leider war es mir terminlich nicht möglich, schon zu Beginn vor Ort zu sein, um die ersten Acts Sentinel Sound, Netzer und Futsch zu sehen. Mein erster Live-Act heute ist nun

PHILIPP JOHANN THIMM

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

Der Multiinstrumentalist studierte unter anderem Violoncello am Leopold-Mozart-Konservatorium in Augsburg und später E-Gitarre an der Popakademie Baden-Württemberg. Dass Thimm eine umfassende musikalische Ausbildung genossen hatte, wird schnell klar; mixt und loopt er doch mit einer ungeheuren Gelassenheit verschiedenste Instrumente wie Glockenspiel, Flöte, Cello und unterschiedlichste kleine percussive Objekte, schichtet sie zu komplexen Soundscapes, ergänzt durch analoge Synthie-Modulationen. Hier treffen einerseits eine minimalistische Klarheit, die mich bei den Streichersequenzen an das Kronos Quartet und Kompositionen von Philip Glass erinnert, und eine repetitive, technoide Rhythmik aufeinander. Eine Fusion aus zeitgenössischer E-Musik und Techno. (Thimm arbeitete mit Größen der elektronischen Musik, wie zum Beispiel Ellen Allien, Moderat und Apparat zusammen.) Opernhaus meets Club, Musik für die intellektuelle Reflektion und den exzessiven Clubabend gleichermaßen.

Dieses großartige Rave am Nachmittag kann ich mir leider nicht bis zum Schluss anhören, da es im dritten Stock des Museums gleich eine kurze Performance geben wird. Aber zum Glück wird es wohl dieses Jahr, wie Sara Dahme bei der Anmoderation erwähnte, noch ein Album von Thimm geben. Das ist definitiv auf meiner „Muss-Ich-Haben-Liste“ vorgemerkt.

Performance FUTSCH

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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Im dritten Stock angekommen, sitzt Dennis Ströbele, der Schlagzeuger von Futsch an seinem minimalistischen Drumset vor Gemälden von Markus Oehlen, einem Künstler den man zu den Hauptvertretern der „Neuen Wilden“ zählt und der in den Punkbands Charley’s Girls, Mittagspause und den legendären Fehlfarben spielte. Vom Punk zum Großkünstler kann man seinen Werdegang durchaus beschreiben. In diesem Kontext passt die von Dennis gespielte Slow-Version des Pink Floyd Klassikers „Money“ perfekt. Gitarrist Matthias Krebser verteilt währenddessen Ein-Euro-Münzen an das Publikum, um diese nach dem Stück wieder als Spende, das gewogene Publikum gab, mehr als es zuvor erhalten hatte, für einen guten Zweck einzusammeln.

Performance LEVIN GOES LIGHTLY

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

Im Untergeschoss, vor der Skulptur „Gartenzwerg in Schokolade“ (1972) des Künstlers Dieter Roth (1930 – 1998), gibt Levin von Levin Goes Lightly eine Soloperformance. Vom Publikum abgewandt, gibt er für das Symbol deutschen Spießbürgertums ein kurzes Konzert. Kühle Synthie Dynamik und ein zurückgenommener, fast schon klagender Gesang. Frei nach Beuys erklärt der Musiker dem Zwerg die Musik.

ILDIKÓ

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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Zurück auf dem kleinen Schlossplatz spielt bereits die Newcomerin Ildikó. Sehr deeper Sound und souverän vorgetragene Lyriks. Und zu sagen hat Ildikó was, hier wird nicht über Belanglosigkeiten oder Konsumaffirmation gerappt. Bedrückende und aggressiv machende Zustände in unserer Gesellschaft werden thematisiert. Männliche Übergriffigkeit und das Thema Femizide. Ein Thema, das weder in der bürgerlichen Öffentlichkeit, noch in der Politik die bei weitem dringend nötige Aufmerksamkeit erhält. Texte die heute, in einer Zeit des antifeministischen Backlashs, von größter Dringlichkeit sind. Und nicht nur auf inhaltlicher Ebene wir hier Qualität abgeliefert, auch musikalisch ist das sehr spannend. Klassischer Hip-Hop gepaart mit einer in Teilen an die Kühle des Industrial erinnernden Soundscapes, bringen neue Aspekte in dieses Genre. Ohren aufhalten, von Ildikó wird man bestimmt noch einiges hören.

Nun geht’s aber gleich wieder zurück in die Ausstellungsräume zu

MAX RIEGER

Der Sänger, Gitarrist und Songwriter von Die Nerven erzählt im ersten Stock, wie ihm das Gemälde „Peacemaker“ seit seinem kurzen Kunststudium immer mal wieder begegnet ist, ohne es bis dato jemals im Original gesehen zu haben. Die Arbeit zeigt, obwohl K. R. H. Sonderborg (1923 – 2008) ein Vertreter des Informel war, ein Maschinengewehr. Dieses Maschinengewehr, erzählt Rieger, weckt in seinen Umrissen Assoziationen mit der Küstenlinie von Sylt.

Als nächstes Konzert steht nun

DEXTER & URBAN BEATS COLLECTIVE

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

auf der Bühne. Dexter aka Felix Göppel, der auch schon als Produzent von Casper, Cro und dem letzten Album von Gaisma (sie wird nachher noch als Keyboarderin bei Levin Goes Lightly auf der Bühne stehen) in Erscheinung trat, bietet mit dem Urban Beats Collective eine Fusion aus Old-School-Hip-Hop und klassischem Jazz. Ein sehr relaxter Sound ist das, die Musik groovt und die Hooklines sind catchy. Die luftig-leichte Querflöte bildet einen ephemeren Gegenpaart zur Rhythmussektion mit den erdigen Beats und dem vibrierenden Bass.

Kurz bevor dann

LEVIN GOES LIGHTLY

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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auf die Bühne kommt, wird es zunehmend voller auf dem kleinen Schlossplatz. Levin Goes Lightly spielen heute als Trio. Neben Levin sind noch Julia Kalb am Bass und Alisa Scetinina aka Gaisma am Keyboard auf der Bühne. Schlagzeuger Paul Schwarz und Gitarrist Thomas Zehnle entspannen gerade im Urlaub. Durch die Dreierbesetzung ist der Sound natürlich ein anderer; der Einsatz einer Drum Machine macht ihn massiver, ja schwerer. Das ist heute Abend weniger New-Wave und Post-Punk, dafür mehr Club mit kleinen 70er Discoanleihen. Spannend ist diese Soundmetamorphose allemal und es ist interessant zu hören, wie auch in der reduzierten Besetzung die Musik von Levin funktioniert, was für die absolute Qualität der Musik und der Musiker*innen spricht. Mitreißend tanzbar ist das Set und als der Track „She’s Dancing“ gespielt wird, setzt heftiger Regen ein, was der ausgelassenen Stimmung aber keinen Abbruch tut: dancing in the rain.

Zum Abschluss betreten

DIE NERVEN

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

die Bühne und wie es auch nicht anders zu erwarten war, geht es gleich ordentlich nach vorne. Nur wenige Bands haben live eine solch zwingende Energie. Brachial ist es und doch mit viel Gefühl gespielt. Das Gewitter über Stuttgart bleibt zum Glück aus, dafür erschüttert das Klanggewitter von Die Nerven die Bühne und elektrisiert das Publikum.

Gefeiert wird aber nicht nur die Band, auch Max Riegers Oma, die im Publikum ist, wird gefeiert, hat sie doch heute Geburtstag. Eine herzliche Umarmung vom gerührten Enkel gibt es und ein Happy Birthday Ständchen vom Publikum. Max meint: „besser wird es heute nicht“. Doch wer die Band kennt, der weiß: Max, Julian und Kevin können immer noch eine Schippe drauflegen. Songs werden heute Abend gespielt, die schon lange nicht mehr live zu hören waren und erstaunlicherweise kein bisschen gealtert sind. In einem Song heißt es „alles wie gehabt“ und das bringt es auf den Punkt, bei Die Nerven ist es in einer Hinsicht immer wie gehabt, es gibt bei ihren Auftritten keine negativen Überraschungen. Wie gehabt, darf man bei jedem Gig einer kompromisslos grandiosen Liveperformance beiwohnen. Ein Nerven Konzert macht einfach Glücklich!

20 JAHRE KUNSTMUSEUM, 19.07.2025, Kleiner Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

Als Fazit ist zu bemerken, dass dem Kunstmuseum Stuttgart mit dem Festival eine absolut stimmige Liaison aus bildender Kunst, Performance und Livemusik gelungen ist. Wir dürfen uns auf die nächsten zwanzig Jahre mit spannenden Ausstellungen und herausfordernden Positionen zur Gegenwart freuen.

20 Jahre Kunstmuseum – Performances

Die Nerven

Levin Goes Lightly

Dexter & Urban Beats Collective

Ildikó

Philipp Johann Thimm

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