JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
Foto: Steffen Schmid

Dass mit Jean-Michel Jarre und Kraftwerk die beiden wichtigsten Vertreter der elektronischen Musik auf demselben Festival spielen, ist schon ein echter Booking-Coup der diesjährigen JazzOpen. Für Fans die einmalige Chance einer vergleichenden Betrachtung. Allerdings nicht für mich. Nach dem Karlsruher Schlosskonzert 2023 konnte ich mir eine weitere Steigerung des Kraftwerk-Erlebnisses nicht vorstellen und habe es lieber ausgelassen.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Der Schlosshof ist mit 6.400 Zuschauern sehr gut gefüllt, aber nicht ganz ausverkauft. Um mich herum höre ich vorfreudige Konversation in Französisch. Stuttgarts Nähe zur französischen Grenze dürfte für einige Landsleute die Gelegenheit sein, eines der eher raren Konzerte der französischen Elektronik-Ikone zu besuchen. Erster Eindruck, als der fast 77-Jährige – der eine wirklich lange und beeindruckende Vita mitbringt – die Bühne betritt: Moderatorin Stefanie Anhalt hat in ihrer Einleitung nicht übertrieben, Jean-Michel Jarre wirkt tatsächlich wesentlich jünger. Spannend wird sein, wie seine Musik gealtert ist.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Genial ist schon mal der Bühnenaufbau, zwölf hochauflösende LED-Stelen in lockerer Anordnung nutzen die Tiefe der Bühne und bilden optisch die Brücke zwischen der riesigen Rückwand-Projektion und den beiden seitlichen LED-Wänden. Eine Armada von Laser-Projektoren und unzählige Scheinwerfer lassen Großes erwarten.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Nach dem Opener „Magnetic Fields“ lässt Jarre mit „Epica Oygene“ erste Elemente seiner berühmtesten Melodie „Oxygene“ anklingen, und sofort stellen sich nostalgische Erinnerungen an den etwas ungelenken Futurismus der Serie „Mondbasis Alpha“ ein, die in der deutschen Version mit diesem Song als Soundtrack versehen wurde. Wer nun aber glaubt, eine nostalgische Retro-Show zu bekommen, sieht sich getäuscht. Jean-Michel Jarre verneigt sich in einer seiner Ansagen nicht umsonst vor der deutschen Musikavantgarde inklusive des „Berlin Techno“, er beweist auch, dass seine Sounds absolut zeitgemäß sind. Das 2016 erschienene „Exit“ ist zum Beispiel ein treibender Techno-Track, in den er ein Statement von Edward Snowdon zum Thema „Privatsphäre und öffentliche Daten“ eingebettet hat.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Gleich anfangs stellt er klar, dass er bei elektronischer Musik und Jazz große Gemeinsamkeiten in Haltung und Struktur sieht. Und um alle Zweifel auszuräumen, ob das Dargebrachte nicht eventuell komplett vom Band kommt, setzt er bei einem Song eine Brille mit Minikamera auf, sodass das Publikum einen Blick auf seine Hände und die unzähligen elektronischen Gerätschaften bekommt, die er live bedient. Darunter sind auch Vintagegeräte wie z.B. ein „Rehberg Synthi“ zu erkennen.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Überhaupt ist der Einsatz versteckt eingebauter Kameras sehr raffiniert. Mal sieht man sein übergroßes Auge auf allen Monitoren, mal werden seine Füße gezeigt, die im Gleichtakt mit animierten Comic-Figuren tanzen. Die große Technik-Schlacht bekommt etwas sehr Menschliches, was auch durch seine charmanten und glaubhaft zugewandten Ansprachen ans Publikum unterstrichen wird. Einzig ein paar Songs mit einem leichten Hang zum Bombast sind mir etwas zu kitschig, aber sie gehören halt auch zum Œuvre des Meisters.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Sein ausdrückliches Lob an die Soundtechnik kann man nur unterstreichen: Das „d&b Soundscape„-System, das die Lokalmatadoren aus Backnang hier aufgebaut haben, ist tatsächlich einer der Gründe, warum dieses Konzert zu einem bleibenden Erlebnis wird. Unfassbar transparent und räumlich, beeindruckend druckvoll, aber nie zu laut werden Jarre’s vielschichtige Kompositionen in den Schlosshof gestellt. Den prophylaktisch platzierten Gehörschutz kann ich zum ersten Mal seit Langem bei einem Konzert dieser Größe entfernen.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Mindestens gleichwertig zur musikalischen Darbietung ist die optische Untermalung. Das oben beschriebene Setting ist nicht nur technisch raffiniert und ermöglicht allen Zuschauer:innen – auch denen am Rand – ein fast immersives Erlebnis, es wird auch zu jedem Song passend mit überaus kunstvollen Visuals bespielt. (Dies war einer der Kritikpunkte am Kraftwerk-Gig, den ich gehört habe: Wer nicht in der Mitte des Zuschauerbereichs stand oder saß, konnte die Rückwand-LED, auf der alle wesentlichen Visuals abgespielt wurden, nur teilweise oder gar nicht sehen)

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Jean-Michel Jarre, der es schafft, trotz KI-Skepsis der künstlichen Intelligenz auch eine poetische Sicht abzugewinnen, beweist dies durch ästhetische, teilweise verträumt-poetische Bilder, die größtenteils KI-generiert sind und die Inhalte der jeweiligen Songs kongenial untermalen. Sie sind weit entfernt vom allgegenwärtigen „AI Slop„, der jegliches ästhetisches Empfinden und Intelligenz beleidigt.

JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
Foto: Steffen Schmid

Nach gut 100 Minuten (oder waren es mehr? Die Zeit verging wie im Flug) wendet sich Jean-Michel Jarre augenzwinkernd an das Publikum. Man habe ihn den ganzen Abend mit Handies gefilmt, jetzt drehe er den Spieß um. Mit seinem Telefon filmt er das völlig begeisterte Publikum, das ihm wiederum mit den Handylichtern eine ganz eigene Lightshow zurückgibt.

Keine Frage: Dieses Konzert hat Maßstäbe in vieler Hinsicht gesetzt. Der ewig junge Jean-Michel Jarre hat nachdrücklich bewiesen, dass er seinen Legenden-Status absolut verdient hat. Und mein Konzert Nummer 1.479 wird eine Aufnahme in meine ewige Bestenliste bekommen.

Setlist

Magnetic Fields
Epica Oxygene
Oxymore
Sex in the Machine
Oxygene 2
Arpegiateur
Zoolookologie
Equinoxe 7
The Architect
Zero Gravity
Exit
Industrial Revolution
Robots Don’t Cry
Herbalizer
Oxygene 19
Équinoxe 4
Brutalism
Oxygene 4
Epica
Stardust

Rendez-Vous
Magnetic Fields 2

3 Gedanken zu „JEAN-MICHEL JARRE, 11.07.2025, JazzOpen, Schlossplatz, Stuttgart

  • 13. Juli 2025 um 10:59 Uhr
    Permalink

    Sehr schön! Das hätte ich auch gerne live erlebt, aber 85 EUR für ein Ticket der günstigsten Preiskategorie war mir einfach zu teuer. Die 3 Alben Oxygène, Equinoxe und Magnetique Fields sind mMn unsterbliche Klassiker der elektronischen Musik, die man am besten LAUT und via Vinyl-Schallplatte genießt – die Räumlichkeit der Sound-Effekte kommt auf Vinyl einfach besser rüber als bei CDs oder Streaming.

    Kleiner Fun Fact am Rande: Maurice Jarre, der Papa von Jean-Michel Jarre, war übrigens ein erfolgreicher und sehr produktiver Filmmusik-Komponist, der unter anderem für die Filme von Sir David Lean komponiert hat. Der Soundtrack für den Klassiker „Lawrence von Arabien“ stammt unter anderem von Maurice Jarre.

  • 13. Juli 2025 um 21:17 Uhr
    Permalink

    Nicht „billig“, aber eines Der Erlebnisse, wo so ein Preis -für mich- angemessen ist; die „Nebenkosten“ (Vor Ort Verpflegung) könnten etwas niedriger sein, aber daran muss(te) man sich ja leider inzwischen auch gewöhnen. Quasi unmittelbar nach dem Verlassen des inneren Platzes keinerlei Ausschank mehr zu bekommen, ist aber definitiv ein No-Go (für das aber JMJ nichts kann).

  • 14. Juli 2025 um 08:08 Uhr
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    Die Bilder sind ein absoluter Augenschmaus!

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